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04.03.2016

Handelstatort Brenner, ein Thriller

Jetzt ist schon wieder was passiert: Voraussichtlich ab April wird die Brenner-Grenze kontrolliert, wirtschaftlich wie politisch eine sensible Angelegenheit.

••• Von Daniela Prugger

BOZEN. Der Brenner ist heute Symbol in vielerlei Hinsicht. Die einen, die deutschsprachigen Traditionalisten und Patrioten in Südtirol – der nördlichsten und reichsten Provinz Italiens –, werden ihn noch lange als „Unrechtsgrenze” betrachten: 1918 wurde das Gebiet von Italien besetzt, im Anschluss annektiert. Die anderen, die Liberalen, Wirtschafts­treibenden und europäisch Denkenden, empfinden den Brenner seit Jahren eher als Brücke denn als Grenze: In wirtschaftlicher genauso wie in kultureller und politischer Hinsicht ist der meistbefahrene Pass im Alpenraum die wichtigste Verbindung zwischen dem Süden und dem Norden Europas.

Doch dann kam die Flüchtlingskrise. Sie bestimmt seit vergangenem Sommer nicht nur die mediale, sondern auch die politische Agenda. Italien ist gemeinsam mit Griechenland und den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla schon sehr viel länger mit direkten Ankünften von Flüchtlingen und Migranten konfrontiert als Österreich. Doch als attraktives Ziel galt von Anfang an Europas reicher Norden. Die Entscheidung der EU-Innenminister vom 10. Oktober 2014, gemeinsam gegen „illegale Migration” vorzugehen und der Beschluss zwischen Italien, Österreich und Deutschland, trilaterale Flüchtlingskontrollen in Zügen und im Straßenverkehr einzuführen, fielen ohne großen medialen Rummel. Seitdem wurde in den täglich zwischen Mailand/Verona und München verkehrenden Eurocity-Zügen wer hinsichtlich seiner Hautfarbe auffiel um die Papiere gefragt und wer keine vorweisen konnte, am Bahnhof Brenner aus dem Waggon geworfen.

Die Musterprovinz

Doch an die mittlerweile geplanten Grenzkontrollen hat vor einem Jahr, als das Schengen-Abkommen de facto bereits beschnitten wurde, wohl noch keiner gedacht. Schließlich gilt es als eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union. Pendler, Studenten, Touristen, Geschäftsreisende – insgesamt 8,5 Mio. Fahrten über den Brenner wurden im Jahr 2014 verzeichnet.

„Es gibt Ideen, für die es sich zu kämpfen lohnt, wie ein vereintes Europa ohne Grenzen”, meinte der Südtiroler Landeshauptmann ­Arno Kompatscher (SVP) vor Kurzem in der ORF-Diskussionsrunde ‚Im Zentrum'. Ja, der Beitritt zur Europäischen Union hat vielen Mitgliedsstaaten nicht nur die Freizügigkeit beschert, sondern vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht Gutes getan. Auf die Beziehungen zwischen Italien und Österreich heruntergebrochen und in Zahlen ausgedrückt: Im Jahr 2014 machte das bilaterale Handelsvolumen über 16 Mrd. € aus. Davon entfielen 8,22 Mrd. € auf österreichische Warenexporte nach Italien und 7,99 Mrd. € auf Importe aus Italien. „Die Handelsbeziehungen sind vor allem mit den Regionen Norditaliens besonders intensiv”, erklärt Rainer Will, Geschäftsführer des Österreichischen Handelsverbands.

 

Der Sündenfall

Das Konsumklima in Italien kränkelt seit der Wirtschaftskrise chronisch vor sich hin – zuletzt gab es aufgrund des moderaten Einkommenswachstums immerhin eine leichte Steigerung. Südtirol ist und bleibt die große Ausnahme, die autonome Musterprovinz. Die Konsumentenstimmung war im Februar überdurchschnittlich positiv (Konsumklimaindex: +14,4 Punkte), so das Wifo in Bozen.

Sparsamkeit, aber auch die Bereitschaft, für Qualität viel Geld zu bezahlen, bestimmen das hiesige Kaufverhalten. Statussymbole – allen voran Markenklamotten, Autos und Immobilien – sind Teil der Südtiroler Lebensfreude; als Materialisten im engeren Sinne würde sich hier entgegen der Außenwahrnehmung wohl trotzdem keiner bezeichnen. Die von der Kirche gepredigte Bescheidenheit, das Konservative, das Brave und Anständige gründen das Fundament einer gesellschaftlichen Fassade, die mit aller Kraft versucht wird aufrecht zu erhalten – die Betrugsaffäre um die Energiegesellschaft SEL, die Millionenvorschüsse auf die Pensionen der Landtagsabgeordneten, die Anfeindungen im Internet gegen Asylsuchende und andere Kulturen lassen sie bröckeln.
Die Flüchtlingskrise hat die Fragilität Europas aufgezeigt: Im Zweifel die Grenzen schließen, jeder ist sich selbst der nächste, besonders in Österreich. Das Innenministerium in Wien macht ernst und umschreibt mit dem Euphemismus „Grenzmanagement” das, wovor sich Italien so fürchtet. Der Außenhandel und die freie Warenzirkulation sind die tragenden Säulen der Wirtschaft in der Region Trentino-Südtirol. Die Region exportierte im Jahr 2014 Waren im Wert von 7,2 Mrd. €; als Exportschlager gelten neben Maschinen vor allem pflanzliche Waren. Ganz vorn mit dabei, wie könnte es anders sein: Äpfel.

Hauptschlagader der Alpen

Während der innereuropäische ­Absatz im Jahr 2014 weiter zurückging, nahm die Ausfuhr von Pflanzen und Pflanzenerzeugnissen in Nicht-EU-Länder 2014 im Vorjahresvergleich um 77 Prozent zu. 98 Prozent dieser Exporte waren ­Äpfel. „Die ab April geplanten Grenzkontrollen werden den Verkehrsfluss erheblich behindern und unweigerlich zu Wartezeiten führen”, befürchtet Georg Lun, der Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) der Handelskammer Bozen. „Unsere Exportunternehmen sind ebenfalls von den erhöhten Transportzeiten und Kosten betroffen.” Noch schlimmer wäre es, „wenn etablierte Geschäftsbeziehungen unter den Verzögerungen nachhaltig leiden”.

Die Brenner-Achse ist die meist befahrene Verbindung zwischen Italien und Europa. „Aufgrund der Kontrollen an den zentralen deutsch-österreichischen Grenzen kam es bereits im Landverkehr zu einer Verknappung des Laderaums und zu starken Schwankungen der Laufzeiten”, erklärt Will und ergänzt: „Sollte es im Laufe der nächsten Monate zu den erwarteten Grenzkontrollen kommen, müssen sich die Händler und Logistiker Alternativen überlegen.” Neben den politischen und gesellschaftlichen Risiken und Nebenwirkungen bleibt die Staatsgrenze eine historisch sensible Angelegenheit für die Bewohner Tirols und Südtirols.

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