••• Von Daniela Prugger
Es ist bereits dunkel draußen, doch das kleine Geschäft nahe der Wiener Innenstadt ist auch abends gut besucht. Die Situation ist alles andere als stressig, fast schon entspannt. Die Männer, die eintreten, warten geduldig zwischen den hölzernen Vitrinen, bis sie an der Reihe sind. Sie schweigen, lauschen gespannt der Beratung, lassen ihre Blicke anerkennend über die ausgestellten Waren schweifen. Sie wissen, was sie wollen – Pfefferpatronen, Waffen-Öl, eine Doppelflinte. „Ich habe keinen Waffenschein und möchte eine Flinte zur Verteidigung des Eigenheims”, sagt ein unauffälliger Mann Ende 30. Er ist groß gewachsen, trägt Windjacke und Brille. „Die Wartefrist dauert drei Tage, richtig?”, hakt er nach und bewundert die schwere Waffe mit dem hölzernen Schaft, die ihm über die Theke gereicht wird. Den Lauf, empfiehlt ihm der Inhaber, könne man noch kürzen. Wegen der leichteren Handhabung im Haus, versteht sich. Im Falle eines Einbruchs müsse man sich mit der Flinte in der Hand schließlich auch am Gang schnell umdrehen können.
Starke Nachfrage
Die Doppelflinte gehört wie die Einlaufflinte und Bockdoppelflinte zu den Schusswaffen der Kategorie D. Sie können in Österreich ohne Waffenschein oder Waffenregistrierkarte erworben werden. Die rund 63.200 Exemplare, die sich derzeit landesweit im Umlauf befinden, sind nicht meldepflichtig. Einzige Auflage: Der Käufer oder die Käuferin muss mindestens 18 Jahre alt sein. Nach einer waffenpsychologischen Verlässlichkeitsprüfung verlangen nur Faustfeuerwaffen oder halbautomatische Langwaffen (Schusswaffen der Kategorie B). Seit gut einem Jahr wird das Thema Waffenkauf auch medial stark besetzt. Seither ist das Interesse von Privatpersonen an Selbstverteidigungskursen, Pfeffersprays und Waffen gestiegen. Vor gut einem Jahr – das war jener Zeitpunkt, als sich auch in Österreich die Flüchtlingskrise zugespitzt hat. 973.816 legale Waffen hat das Bundesministerium für Inneres (BM.I) am Stichtag 1. November 2016 gezählt (Dezember 2015: 914.443). Die Zahl der Waffenbesitzer beläuft sich landesweit auf 287.913 (Dezember 2015: 262.231). Das bedeutet, dass auf eine Person in der Regel mehrere Waffen kommen.
„Die Polizei ist immer da”
Alexander Marakovits, Sprecher des Innenministeriums, führt den Umstand, dass das Interesse für Waffen gestiegen ist, nicht nur – aber vor allem – auf die Flüchtlingskrise zurück. Das subjektive Sicherheitsgefühl in der Gesellschaft habe sich verändert, so Marakovits. Das habe eben auch dazu geführt, dass die Bürger und Bürgerinnen versuchen, „sich nicht nur auf die Sicherheit der Polizei und der Behörden zu verlassen, sondern auch zu Eigenschutzmaßnahmen greifen”. Es sei schwer zu sagen, ob es sich dabei um konstruierte Ängste handelt. Jede Angst müsse man irgendwo auch ernst nehmen. „Ich kann nur sagen, dass die Polizei immer da ist. Aber wenn eine Person sicherer einschläft, weil sie eine Waffe im Haus hat, dann ist das auch okay.”
Bewerten möchte Marakovits die Situation nicht: „Wenn die Kriterien erfüllt sind, dann steht es jedem Österreicher und jeder Österreicherin zu, sich eine Waffe anzuschaffen. Wie problematisch dieser Umstand ist, können wir nicht sagen. Die Waffe allein ist ja nicht ausschlaggebend dafür, dass etwas passiert.”
Waffenkauf aus Vorsorge
Die Psychologin Karin Busch-Frankl sieht das etwas anders. Natürlich steige das Risiko, eine Waffe anzuwenden, wenn man sie besitzt. Die Mehrzahl jener, die zur waffenpsychologischen Begutachtung kommt, „gibt an, dass sie Schießsport betreibt”. Andere wiederum befürchten, dass sich das Waffengesetz verschärft – sie tätigen sozusagen einen Vorsorgekauf für Zeiten, in denen ihnen eine Waffe gelegen kommen könnte.
Häufig komme zur Sprache, dass eine diffuse Angst aufgrund der politischen Entwicklung steigt. „Auch Menschen, die allein wohnen, sagen, sie würden sich mit einer Waffe sicherer fühlen. Dabei ist das immer stark zu hinterfragen. Da die Waffe ja verschlossen in einem Safe sein muss, stelle ich es mir schwierig vor, sie im Falle eines Angriffs zeitgerecht in der Hand zu haben”, gibt Busch-Frankl zu bedenken.
Depressionen
Bei Straftaten spielen Schusswaffen in Österreich derzeit eine untergeordnete Rolle, heißt es aus dem Bundeskriminalamt. Kritiker – vor allem aus dem Lager der Grünen – empfinden das Waffengesetz aber als viel zu schwach. Bei der waffenpsychologischen Verlässlichkeitsprüfung selbst handelt es sich, laut Busch-Frankl, um einen Test, bei dem „schon sehr viele durchkommen”. Ihr Fazit: Die Prüfung abzuhalten, sei „sicher besser, als nichts zu machen. Aber es kommen auch viele Leute durch, die keine Waffe haben sollten.”
Zwar seien psychische Erkrankungen – etwa Depressionen und Alkoholmissbrauch – ein Ausschlusskriterium. Aber die psychologische Begutachtung erfolgt lediglich beim Erstantrag der Waffenbesitzkarte. „Die Lebenssituation von Menschen kann sich ja ändern; das ist ein Punkt, der nicht berücksichtigt wird. Man kann Depressionen ja nicht vorhersehen”, warnt die Psychologin. Außerdem sei das Aggressionspotenzial speziell bei Männern ausgeprägter – sie stellen noch immer den Großteil der Waffenkäufer dar. 142.436 der Waffenbesitzkarten entfallen in Österreich auf Männer, 18.091 auf Frauen.
Gegen Pauschalisierungen
Die Kundschaft im Alt-Wiener Waffengeschäft jedenfalls fühlt sich unfair behandelt. Es gebe viele Vorurteile. Dass Privatleute in einen Topf „mit Terroristen und Amokläufern” geworfen werden, nur weil sie eine halbautomatische Waffe kaufen, sei „makaber”, kritisiert ein junger, studentisch wirkender Mann. Für viele seien Waffen nun mal eine Leidenschaft, ein Hobby. Auch die Waffenhändler ärgern sich. Sie fühlen sich in ihrem Stolz verletzt. Schließlich übten vor allem Büchsenmacher ein traditionelles Handwerk aus, kommentiert einer anonym. Überhaupt gäbe es Unterschiede zwischen der Wahrnehmung in den Städten und dem Land – in der Stadt reagierten viele überzogen, am Land werde die Jagd-tradition noch stark gelebt.
Gegen „Pauschalverdächtigungen” setzt sich die Interessengemeinschaft Liberales Waffenrecht in Österreich (IWÖ) ein. Ihr Chef, Georg Zakrajsek, sieht die Interessen von Waffenliebhabern nur von zwei politischen Parteien vertreten – der Freiheitlichen Partei Österreich und dem Team Stronach. „Die herrschende Koalition will das Waffengesetz nicht reformieren”, so Zakrajsek.
„Das bloße Zeigen reicht”
Laut dem IWÖ-Chef haben seit der Flüchtlingskrise Vergewaltigungen, Eigentums- und Gewaltdelikte zugenommen. Er sieht einen kausalen Zusammenhang. In den Medien werde vieles nicht berichtet und verharmlost. Vor allem alte Menschen würden zu Opfern von Gewaltverbrechen werden, „da bleibt einem nur übrig, dass man sich eine Waffe zulegt”, sagt Zakrajsek und stellt klar: Ein Aufruf zur Selbstjustiz sei das nicht. In die Situation, sich ernsthaft verteidigen zu müssen, ist Zakrajsek noch nicht gekommen. Nur einmal hätte ein Dieb versucht, sein Auto aufzubrechen, mit gezückter Waffe habe er den Mann aber dingfest gemacht. „Ich hoffe, in meinem Leben niemanden erschießen zu müssen, das wäre nicht angenehm, aber in solchen Situationen reicht das bloße Zeigen einer Waffe.”
Auch Robert Siegert, Sprecher des Waffenfachhandels in der Wirtschaftskammer Österreich, setzt sich für die Branche ein und bedauert: „In der Regel versteht man unter Waffen immer etwas Negatives. Die Händler sind deshalb in einer defensiven Position.” Dabei, erklärt er weiter, werden Waffen in den unterschiedlichsten Bereichen – in der Jagd, im Schießsport, im Sicherheitsdienst und beim Bundesheer – benötigt. Überhaupt sei der Schießsport eine Tätigkeit, bei der Jung und Alt zusammenkommen. Man müsse das Thema einfach anders besetzen, das Image wandeln. Denn ohne Waffen funktioniere schließlich auch in einer Demokratie genau nichts.