„Der Leidensdruck war lange nicht groß genug”
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CAREER NETWORK Redaktion 21.02.2025

„Der Leidensdruck war lange nicht groß genug”

Es geht nicht nur um das Finden von Mitarbeitern, sondern um das Behalten im Betrieb. Tipps von Nina Beyrl.

••• Von Alexander Haide

Nina Beyrl wuchs in einer Hoteliersfamilie in Bad Hofgastein auf und kennt das Tourismusgeschäft seit ihrer Kindheit. Später studierte sie am Tourismuskolleg Klessheim Tourismusmanagement und Innovation & Management in Tourism an der FH Salzburg. In ihrem neuen Buch „Employee Experience Design im Tourismus” widmet sie sich zahlreichen Fragestellungen zum Paradigmenwechsel in Recruiting und Personalmanagement in der Hotellerie. Im medianet-Interview skizziert sie, wohin die Reise in Sachen H&R im Tourismus geht.


medianet: Ist die Zielgruppe für Ihr Buch die gehobene Hotellerie oder sind es auch die Betreiber kleiner Herbergen im Dorf?
Nina Beyrl: Mir war der Untertitel ‚Mitarbeiter finden und behalten' sehr wichtig. Es gibt sogar einen Malerbetrieb, dessen Chef das Buch gelesen und der gar nichts mit Tourismus zu tun hat. Er meinte, dass er dadurch jetzt einige Dinge versteht. Es ist also vom Inhalt und der Sprache so gestaltet, dass das Buch eher für kleine Betriebe gedacht ist.

Renommierte Spitzenhotels setzen meine Thesen und Ideen sowieso bereits um, denn dort sitzen HR-Profis, während kleine Betriebe über keine Personalabteilungen verfügen. Genau für diese Zielgruppe ist es gedacht.


medianet:
Haben die Eigentümer kleiner Betriebe angesichts von Personalkosten und dem Mangel an Fachkräften überhaupt die Zeit und das Geld, um sich mit HR zu beschäftigen?
Beyrl: Im Sinne einer langfristigen Denke wäre es sinnvoll, sich die Zeit zu nehmen. Viele Jahre lang war der Leidensdruck nicht groß genug. Heute geht es nicht mehr hauptsächlich um das Finden von Mitarbeitern, sondern um das Behalten im Betrieb, um die Motivation und Resilienz. Ich denke, das ist die langfristige Perspektive.

medianet:
Sehen Sie einen Paradigmenwechsel, weg von den armen, unterbezahlten und überarbeiteten Tourismusfachkräften?
Beyrl: Das glaube ich schon. Früher war das, meiner Wahrnehmung nach, kein Thema, denn der Job war cool. Später war dann die Rede von den armen Arbeitssklaven. Heute ist es so, dass die Lebensqualität von Mitarbeitern, die etwa auf Saison gehen, extrem hoch ist. Die Unterkünfte sind toll, kostenfrei oder besonders günstig, und in den meisten Betrieben wird auf die Einhaltung der Arbeitszeiten akribisch geachtet. Es bleibt also genügend Zeit, auch die touristischen Seiten des Arbeitsorts zu genießen. Andererseits sollte man Benefits wie den kostenlosen Skipass oder das Benutzen des Wellnessbereichs für Mitarbeiter nicht überbewerten, da er nicht für alle Zielgruppen relevant oder nutzbar ist.

medianet:
Das klingt aber nach Goodys vor allem für jüngere Arbeitskräfte …?
Beyrl: Ich sehe das durchaus auch für Menschen im Alter von 65+, etwa für geringfügige Tätigkeiten in der Hotellerie. Wenn das klassische Kuchenbuffet in einem Hotel die 70jährige Oma betreut, ist das wesentlich authentischer. Ich erachte die Zielgruppe 65+ als wichtig für die Branche.

medianet: Gibt Ihr Buch auch Antworten darauf, wie man aus dem Osten, wo es viele Arbeits­lose gibt, Mitarbeiter auf Saison in den Westen locken kann?
Beyrl: Ich finde es gut, durch Storytelling den Beruf schmackhaft zu machen und herzuzeigen, wie der Alltag am Arbeitsort abläuft und wie für ein paar Monate eine Gegenwelt zum Großstadtleben aussehen kann. Beim Employer-Branding bin ich ein Fan davon zu zeigen, wie ein Tag oder eine Woche in einem Betrieb abläuft.

medianet:
Das klassische Inserat reicht also nicht mehr aus, um Mitarbeiter zu gewinnen, sondern es müssen andere Kanäle bedient werden …?
Beyrl: Ein Inserat zu schalten, ist unstrukturierter Aktionismus – deshalb gibt es in meinem Buch ein eigenes Kapitel zu Performance Recruiting. Wenn ich einen Kellner mit einem Inserat suche, habe ich bereits vieles falsch gemacht. Meine Empfehlung ist, bereits bestehende Mitarbeiter vor den Vorhang zu holen und etwa Abteilungsleiter vorzustellen.

Erfolgversprechend ist es, zu zeigen, dass Abteilungsleiter, je nach Generation, auf Instagram oder LinkedIn präsent sind. Dort finde ich Zielgruppen, die zu einem bestehenden Team passen. Allerdings erachte ich es als peinlich, wenn HR-Manager um die 40 beginnen, auf TikTok oder Snapchat zu rekrutieren. Das sollten junge Mitarbeiter tun.


medianet:
Das verursacht aber gerade in einer Zeit, wo alle aufgrund steigender Kosten stöhnen, zusätzliche Ausgaben …
Beyrl: Es wird überschätzt, wie wenig Geld man dafür braucht, wenn das jemand erledigt, der bereits im Haus ist und das gerne macht. Der Trend geht weg von superprofessionellen Storys. Authentizität ist viel wichtiger und, dass Beiträge aus dem Arbeitsalltag rasch nebenbei erstellt werden. Das ist echt. Für authentisches Storytelling sollte man sich bestehende Mitarbeiter ins Boot holen und keine Marketingabteilung beauftragen.

medianet:
Sie schreiben, dass ‚eine durchdachte und strategisch ausgerichtete Employer Experience im Tourismussektor zu einem entscheidenden Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb wird'. Das klingt sehr akademisch. Haben Sie Tipps?
Beyrl: Als Unternehmer würde ich die Reise eines Mitarbeiters durch den Betrieb bewusst gestalten – genauso, wie ich es mir für die Gäste, von der Anreise, dem Willkommen bis zu Angeboten während des Aufenthalts, überlege.

medianet:
Sie unterstreichen auch die Wichtigkeit des On- und Offboardings.
Beyrl: Das Thema wird oft unterschätzt, da vor allem jüngere Generationen sehr unsicher sind, und viel Feedback, Guidance und Wertschätzung benötigen. Viele Unternehmer haben selbst noch nie in einem anderen Betrieb gearbeitet und unterschätzen oft, welche Stresssituation es ist, in einer Firma neu anzufangen. Aus meiner Sicht ist es wichtig, sich um das Onboarding zu kümmern, um Unsicherheiten zu vermeiden.

medianet:
Die Trends wechseln derzeit so rasch, dass Unternehmen kaum mithalten können. Wohin geht die Reise bei HR im Tourismus?
Beyrl: Resilienz und Führung wird in Zukunft eine größere Rolle spielen, da man es immer öfter mit überlasteten Menschen zu tun hat. Das Thema Mental Health gewinnt immer mehr an Bedeutung. Zudem geht der Trend weg von Führungskräften hin zu Persönlichkeiten, die die Mitarbeiterführung übernehmen.

Top-Down-Management ist völlig okay, aber von Menschen, die nicht nur eine Fachkraft, sondern auch gute Führungskräfte sind.

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