••• Von Alexander Haide
Pandemiebedingte Kontaktbeschränkungen, verringerte Geschäftstätigkeit und wirtschaftliche Unsicherheit haben die betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten in Österreich im Jahr 2020 deutlich sinken lassen.
Laut Statistik Austria lag Österreich mit einem Anteil von 79,3% an „weiterbildungsaktiven Unternehmen” dennoch im europäischen Spitzenfeld. Parallel zu diesen erfreulichen Zahlen und in diesem Kontext stellt sich angesichts des Fachkräftemangels auch die Frage, ob die Österreicher in Zukunft länger arbeiten werden müssen beziehungsweise sollen? Was unabdingbar scheint, sind also Weiterbildungsmaßnahmen. Lebenslang?
Eine Bestandsaufnahme mit Stefan Vogtenhuber vom IHS, der zur Thematik forscht, und Franz-Josef Lackinger, dem Geschäftsführer des BFI Wien.
medianet: Wie groß ist die Bereitschaft der Österreicher, eine Weiter- oder Fortbildung zu absolvieren?
Franz-Josef Lackinger: Im letzten Jahr haben knapp zwölf Prozent der Menschen zwischen 15 und 74 Jahren in Österreich an Kursen und Schulungen teilgenommen. Die Zahl könnte aber sicher deutlich höher sein, wenn man an den richtigen Stellschrauben dreht.
Stefan Vogtenhuber: Die Bereitschaft ist groß. Die Belegschaft ist grundsätzlich bereit, sich an Weiterbildungsmaßnahmen der Unternehmen zu beteiligen. Der Großteil der beruflichen Weiterbildung wird nämlich von den Betrieben organisiert und finanziert, und die Beschäftigten absolvieren die Weiterbildung in der Regel in ihrer bezahlten Arbeitszeit.
Dieses Muster gilt in den meisten Ländern, für die es vergleichbare Daten gibt. Für berufliche und allgemeine Weiterbildung außerhalb der Betriebe wenden die privaten Haushalte in Österreich überdurchschnittlich viel auf. Im Ergebnis sind in Österreich im internationalen Vergleich sowohl die Beteiligungsraten, die Teilnahmestunden und die Weiterbildungsausgaben überdurchschnittlich hoch.
Allerdings ist im Zeitverlauf das betriebliche Weiterbildungsangebot der Unternehmen zurückgegangen. Insbesondere die großen Unternehmen, das sind in der Klassifikation jene mit mindestens 250 Beschäftigten, investieren zuletzt deutlich weniger in Weiterbildung in Österreich. Pro Beschäftigte haben die Großbetriebe in Österreich 2020 nur rund 450 Euro aufgewendet, in den Jahren 2005 und 2010 lag der Wert noch bei 760 Euro und 2015 bei 670 Euro. Sie investieren damit deutlich weniger als zum Beispiel Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Irland oder Norwegen, wo die Ausgaben in Großbetrieben 2020 zum Teil deutlich über 1000 Euro je Beschäftigten lagen.
medianet: Was sind die größten Probleme, Menschen zu Fort- und Weiterbildung zu bewegen? Welche Anreize müsste es geben, um mehr Menschen zu Fort- und Weiterbildung zu motivieren?
Lackinger: Es ist aus meiner Sicht weniger eine Frage der Motivation oder des Wollens, sondern des Ermöglichens. Neben Kosten für Weiterbildung, Stichwort wirksame Förderung, ist der Faktor Zeit entscheidend, um lebenslanges Lernen mit beruflichen und familiären Verpflichtungen in Einklang bringen zu können.
medianet: Welche Hilfestellungen müsste es für Fortbildungswillige geben bzw. wo sind die größten Hindernisse, dass Menschen an keiner Weiterbildung teilnehmen können?
Lackinger: Wie beim letzten Punkt angemerkt, Weiterbildung macht man nicht ‚nebenbei', auch wenn sie von vielen berufsbegleitend oder neben familiären Verpflichtungen absolviert wird. Das heißt, dass Arbeitgeber gut beraten sind, beim Thema Bildungsfreistellung nicht nur die oberste Führungsebene zu berücksichtigen. Und das heißt auch, dass das Modell der Bildungsteilzeit bzw. Bildungskarenz so gestaltet wird, dass es nicht nur für besserverdienende Akademiker realistisch durchführbar ist
medianet: Wo sind Fortbildungen in Zukunft unbedingt erforderlich?
Vogtenhuber: Da wie gesagt die berufliche Weiterbildung hauptsächlich von den Betrieben organisiert wird, liegt das auch vorwiegend in ihrem Ermessen. Und das ist gut so, denn sie sind nahe am Bedarf. Weiterbildung passiert ständig, etwa 80 Prozent aller Unternehmen machen Weiterbildung, bei Großbetrieben sind es in Österreich 98 Prozent.
Die Frage, wo künftig verstärkt Weiterbildung erforderlich ist, kann ich nicht beantworten, das wird man sehen. Ich denke da sollte man bezüglich Digitalisierung und aktuellem KI-Hype, der ja hauptsächlich aus den Sprachmodellen resultiert, auch etwas vorsichtig sein. Die Digitalisierung ist spätestens seit den 1980ern im betrieblichen Alltag Thema – zuerst in den Produktionshallen, wo bereits CNC-Maschinen eingesetzt wurden, als in den Konstruktionsabteilungen noch die Zeichentische standen. CAD-Programme kamen flächendeckend erst in den 1990ern zum Einsatz.
Weiterbildung ist also mehr oder weniger überall erforderlich, speziell in wissensintensiven Branchen und Bereichen, wo es ständig um Adaption mit raschen Veränderungen geht.
Die viel zitierten Programmierer werden natürlich gebraucht, aber hier ist es schwer vorherzusehen, welche Sprache künftig für welche Lösungen verwendet werden wird. Hier und auch in den anderen Bereichen passiert ja viel im Selbstlernen und im Learning-on-the-Job, das, was wir als informelles Lernen bezeichnen. Es ist nicht formal organisiert und strukturiert, und es gibt in der Regel kein Zertifikat oder Ähnliches. Es passiert während der Arbeit, in der Freizeit, im Gespräch mit Kollegen oder Freunden, beim Lesen eines Buches oder Artikels, etc. Es gibt Schätzungen, dass rund drei Viertel des beruflichen Kompetenzerwerbs auf solchen informellen Wegen erfolgen; hier wären auch die sogenannten Spill-over Effekte enthalten.
medianet: Welche Fortbildungsprogramme sind derzeit besonders gefragt?
Lackinger: Stark nachgefragt sind vor allem einschlägige berufliche Weiterbildungsangebote, also die gezielte Aneignung von Spezialwissen im Arbeitskontext, sowie das Nachholen von Berufs- und Bildungsabschlüssen. Beim beruflichen Auf- und Umstieg hat man mit entsprechenden Kompetenzen und Qualifikationen einfach bessere Karten. Und das wissen immer mehr Menschen.
medianet: Gibt es eine Altersgrenze, ab der Fortbildung keinen wirklichen Sinn mehr macht?
Lackinger: Einen Beruf zu erlernen und diesen dann bis zur Pensionierung unverändert auszuüben, ist fast nicht mehr möglich. Technologische Entwicklungen, Klimawandel und Co. verändern aktuell nicht nur Berufe, sondern die Arbeitsweisen so rasant, dass Weiterbildung bis zur Pensionierung und auch darüber hinaus ein Thema ist. Es geht dann eben nicht um einen achtzehnmonatigen Diplomlehrgang, sondern um Microlearnings, die es erlauben, jobfit zu bleiben.