••• Von Alexander Haide
Winfried Göschl ist seit dem Jahr 2023 Landesgeschäftsführer des AMS Wien. Mit einer Steigerung von 7,1% gegenüber dem Vorjahr ist die Arbeitslosigkeit in der Bundeshauptstadt wieder angestiegen; 159.893 Menschen waren im April 2025 ohne Beschäftigung – Schulungsteilnehmer inklusive. Zudem wird auch der Sparkurs der neuen Regierung vermutlich nicht ganz spurlos am AMS vorübergehen.
medianet: Was sind derzeit Ihre größten Sorgen?
Winfried Göschl: Im Grunde haben wir ein Problem mit geflüchteten Personen, wobei 40.000 bei uns vorgemerkt sind. Die Situation entschärft sich allerdings ein bisschen, da die Neuzugänge weniger geworden sind. Die Integration der 40.000 Konventionsflüchtlinge, subsidiär Schutzberechtigten und Ukrainerinnen wird uns schon noch in den kommenden Jahre beschäftigen. Hinzu kommt die steigende Langzeitarbeitslosigkeit, die allerdings konjunkturbedingt ist.
medianet: Wo liegt hier der Schwerpunkt?
Göschl: Das sind unterschiedliche Problemstellungen. Bei den Ukrainerinnen ist eine bessere Basisbildung vorhanden, aber manche sind noch nicht richtig angekommen und sind unentschieden, ob sie in Österreich bleiben werden. Wenn eine gute Ausbildung vorhanden ist, gibt es oft schlechte Sprachkenntnisse und im Gesundheitsbereich haben wir das Problem mit den Nostrifizierungen. Von den 40.000 stammen allerdings nur rund 5.000 aus der Ukraine.
medianet: Wie sieht es mit der Integration von Menschen aus muslimischen Ländern aus?
Göschl: Die Frage ist, ob sie überhaupt Erwerbsarbeit annehmen dürfen oder wollen. Häufig sind mehrere Kinder vorhanden, was in Wien in Bezug auf die Kinderbetreuung ein Problem darstellt. Bei dieser Zielgruppe ist die Erwerbstätigkeit niedrig und der Weg ist für diese Frauen ein relativ weiter.
medianet: Es wird immer wieder moniert, dass die Mindestsicherung in Wien zu hoch und damit die Motivation für eine Job gering sei …
Göschl: Die existenzsichernden Leistungen sind grundsätzlich eine schwierige Frage, das muss die Politik überlegen. Sinnvoll wäre eine österreichweite Vereinheitlichung. Aber man muss sich dabei immer die Frage stellen, ob es bei existenzsichernden Leistungen noch einen Arbeitsanreiz, vor allem im Niedriglohnbereich und bei schlecht ausgebildeten Personen, gibt.
Natürlich bin ich überzeugt, dass, wenn die existenzsichernden Leistungen niedriger sind, eher Arbeit angenommen wird. Das würde aber wiederum einen Druck auf den Niedriglohnsektor ausüben. Wenn es sehr viele Menschen gibt, die unter oder am Kollektivvertragsniveau arbeiten, übt das Druck auf die ortsüblichen Löhne aus.
medianet: Welche Auswirkungen erwarten Sie vom Sparkurs der Regierung?
Göschl: Soweit wir es derzeit einschätzen können, bleibt unser Förderbudget konstant, was angesichts der gestiegenen Arbeitslosigkeit durchaus nötig ist. Ich bin überzeugt, dass sich Mittel, die wir im Förderbereich aufwenden, rasch wieder amortisieren. Wir verfügen über Kontrollgruppenanalysen und verfolgen die Arbeitskarrieren von betroffenen Personen. Dabei zeigt sich, dass sich eingesetzte Fördermittel rentieren.
medianet: Ist die Steigerung der Arbeitslosigkeit um 7,1% in Wien auf Flüchtlinge oder die Wirtschaftsflaute zurückzuführen?
Göschl: Natürlich auf beides, wobei sich die Fluchtbewegungen der vergangenen Jahre momentan deutlich abgeschwächt haben. Aber die Großstadt zieht geflüchtete Personen aus der Grundversorgung der Bundesländer an.
Wir wären immer für eine Residenzpflicht gewesen, denn es wäre besser, wenn die geflüchteten Personen im Land aufgeteilt würden. Sie hätten im Westen, vor allem bei schwächeren Qualifikationen, deutlich bessere Integrationschancen als in Wien, wo die Arbeitslosigkeit im Schnitt doppelt so hoch ist wie in Restösterreich. Die schwächere Konjunktur ist in Wien durch den starken Dienstleistungssektor weniger zu spüren, aber dennoch ein Faktor. In den vergangenen Jahren wurde ein durchschnittliches Wachstum von zwei Prozent verzeichnet und die Arbeitslosigkeit ist gestiegen. Derzeit liegen die Prognosen bei nur einem Prozent.
Ich rechne im besten Fall mit einer Stabilisierung der Arbeitslosigkeit in den kommenden Jahren. Ein Rückgang ist in Wien nicht in Sicht.
In den Bundesländern, vor allem in Kärnten und der Steiermark, ist allerdings ein Rückgang zu erwarten, denn dort gibt es ein Problem mit dem Rückgang der erwerbsfähigen Bevölkerung. Das ist bereits heute ein demografisches Problem. Deshalb wäre es besser, wenn Migranten, die heute nach Österreich kommen, gut im Land verteilt werden. Viele Unternehmen haben noch nicht erkannt, wie dramatisch die Situation wirklich ist, wenn man den Ausblick auf die kommenden 15 Jahre betrachtet.
medianet: Dass Arbeitslose aus dem Osten etwa Tourismusjobs im Westen annehmen sollen, ist ein Dauerthema. Kommt das nicht nur für eine geringe Personengruppe in Frage?
Göschl: In diesem Fall wird etwa die Wohnung in Wien weiterbezahlt – und wir vermitteln nur in den Westen, wenn ein Quartier kostengünstig oder ohne Zusatzkosten zur Verfügung gestellt wird. Das ist im Tourismus üblich.
Wir können hier Erfolge verzeichnen, auch wenn das keine Massen an Personen sind. In Tirol arbeiten etwa 400 Menschen, die aus der Arbeitslosigkeit kommen. Die Erhöhung der Saisonkontingente, die vor allem für den Westbalkan vorgenommen wurde, wird die Bereitschaft der Unternehmen, geflüchtete Personen zu beschäftigen, nicht erhöhen. Das Ergebnis ist, dass weniger qualifizierte Menschen auf der Strecke bleiben.
medianet: Arbeitslosigkeit wird oft als soziale Hängematte bezeichnet. Ist das wirklich ein großes Thema?
Göschl: Das ist ähnlich wie bei der Mindestsicherung. Das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe sind nach unten hin nicht gedeckelt und es gibt Notfallzuzahlungen. Beim Arbeitslosengeld kommt noch das Thema der geringfügigen Beschäftigungen hinzu.
Wenn jemand Arbeitslosengeld und ein Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung bezieht, das die Höhe einer Vollzeitbeschäftigung erreicht, ist die Motivation schwierig. Das ist vor allem im Niedriglohnsektor ein Problem.
medianet: Die unter 25-Jährigen stellen eine große Gruppe der Arbeitslosen. Woran liegt das?
Göschl: Drei Viertel der unter 25-jährigen Arbeitslosen, die beim AMS vorgemerkt sind, haben einen Migrationshintergrund. Die Kombination aus schlechter Ausbildung, schlechten Sprachkenntnissen und schlechter Basisbildung ist verheerend. Deshalb umfassen rund zwei Drittel unserer Kurse bereits die Basisbildung.
Das Problem ist, diese Gruppe ausbildungsfit zu machen, damit sie überhaupt eine Lehrstelle antreten können. Das beginnt zum Teil mit der Alphabetisierung, hängt aber auch am Bildungsniveau, mit dem die Schule verlassen wird.
