••• Von Alexander Haide
Mehr als 90% des Nächtigungsniveaus 2019 sind schon erreicht – der Aufwärtstrend im heimischen Tourismus ist nicht mehr aufzuhalten. Doch was erwarten Experten und Praktiker der Tourismusbranche in den kommenden Monaten? Wie geht es dem heimischen Fremdenverkehr? Diese essenziellen Fragen beantworten Profis: Norbert Kettner, Wiens Tourismusdirektor, Johann Haberl (großes Bild o.), Inhaber Hotel Larimar Stegersbach (Burgenland), und Burgenland Tourismus-Chef Didi Tunkel.
medianet: Wie geht es der Tourismusbranche aus Ihrer Sicht?
Norbert Kettner: Angesichts der aktuellen Kennzahlen steht fest, dass Wiens Tourismus die Trendumkehr nach Corona geschafft hat und es mit dem Städtetourismus wieder aufwärts geht. Im Jahresverlauf 2023 liegen wir bei etwa 90 Prozent des Aufkommens aus 2019. Die Nächtigungsumsätze der Beherbergungsbetriebe hingegen übertreffen das Vor-Pandemie-Jahr, durch gute Preisdurchsetzung, aber auch von der Inflation beeinflusst, schon im zweistelligen Prozentbereich. In Summe bedeutet die aktuelle Situation Rückenwind für die Weiterentwicklung eines qualitativ hochwertigen, wertschöpfenden Städtetourismus und die Ansprache kaufkräftiger Zielgruppen.
Johann Haberl: Es läuft gut bei uns, wir sind mit der Auslastung sehr zufrieden. Die Folgen der Pandemie sind zwar überwunden, jedoch sind die Kosten für Energie, Lebensmittel und Personal sehr gestiegen und das schwächt alle Unternehmen.
Didi Tunkel: Die neuesten Betriebsumfragen zeigen, dass sich der Tourismus im Burgenland erholt und wieder zur Normalität von 2019 zurückkehrt. Dies spiegelt sich in der vorliegenden Übernachtungsstatistik von Jänner bis März 2023 mit einem Zuwachs von 14,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr wider. Es werden qualitativ hochwertige Angebote mit Genuss-, Erlebnis- und Erholungsfaktor gesucht. Die Nachfrage nach Radurlaub im Burgenland sowie nach Wein-, Kulinarik-, Gesundheits- und Wellnessangeboten ist groß. Auch im Seminar- und Incentive-Bereich haben sich die Anfragen erholt.
Allerdings bereiten den touristischen Betrieben die hohen Energiekosten und die Suche nach Mitarbeitern vermehrt Kopfschmerzen. Viele haben mit Preiserhöhungen im Bereich Gastronomie und Übernachtung oder mit einer Reduzierung der Öffnungszeiten reagiert. Die Gäste buchen wieder Urlaub im Burgenland, sparen jedoch bei den Nebenkosten.
medianet: Was erwarten Sie von der heurigen Sommersaison und können Sie bereits einen Ausblick auf die Wintersaison 2023/2024 wagen?
Kettner: Neben dem Freizeittourismus ist auch die Tagungsindustrie voll angelaufen. Heuer zählen wir bereits 16 Großkongresse ab 3.000 Teilnehmern. Großveranstaltungen steigern das Selbstvertrauen der Branche, sie schaffen in Zeiten kurzfristiger Buchungsentscheidungen Stabilität und Grundauslastung. Wiens Anbindung an internationale Verkehrswege findet ebenso zu alter Stärke zurück. Was uns noch fehlt, ist das Aufkommen aus Asien, vor allem China, wo Wien die drittbeliebteste europäische Stadt nach Paris und London war. Hier rechne ich mit einer Verbesserung im Jahresverlauf, aber Wachstumsraten wie vor Covid-19 werden wir noch nicht sehen.
Haberl: Wir erwarten eine gute Sommersaison. Der Winter ist noch zu weit weg.
Tunkel: Wir blicken optimistisch in die Sommersaison. Gäste aus dem Ausland, insbesondere aus Deutschland, kommen wieder vermehrt ins Burgenland, während sich die inländischen Übernachtungen stabilisieren und sich auf das Niveau von 2019 einpendeln.
Das Burgenland punktet aktuell mit neuen Betrieben und Angeboten. Im Südburgenland wurde das Radangebot mit den Burgenland Trails am Geschriebenstein und dem Bahntrassen-Radweg erweitert. In Andau eröffnete das exklusive ‚The Resort' der Familie Scheiblhofer, während in Weiden am See das Boutique-Hotel ‚Nils' und in Eisenstadt das Hotel ‚Galantha' neue, hochwertige Übernachtungsmöglichkeiten bieten. Das Hotel- und Feriendorf Vila Vita Pannonia in Pamhagen wurde ebenfalls renoviert und bietet mit seinen neuen Ferienhäusern am See ein Premiumprodukt an. Auch in Deutsch Schützen und am Hannersberg im Südburgenland wurde das Bettenangebot durch moderne Zubauten erweitert. Zudem hat die Anzahl der beliebten Kellerstöckl zugenommen.
medianet: Wie sehr betrifft der Fachkräftemangel Ihre Region und was sind die Konsequenzen?
Kettner: Der Fachkräftemangel betrifft uns global. Das Angebot in Wien, nämlich Ganzjahresjobs, Arbeitsplatzsicherheit, viele Angebote für die Kinderbetreuung oder umfangreiche Karrierechancen, die eine pulsierenden Großstadt eben bietet, verschafft uns gute Karten im Wettbewerb. Auch bei der fachlichen Ausbildung bis hin zum Universitären braucht Wien den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Trotzdem: Die Herausforderung Fachkräftemangel wird uns auch hier länger und intensiv beschäftigen.
Haberl: Wir haben derzeit alle Stellen sehr gut gesetzt. Wie es in der Zukunft aussieht, ist ungewiss. Die Regierung hat durch die vielen Lockdowns zur Abwanderung von Fachkräften beigetragen.
Tunkel: Die Tourismusbetriebe im Burgenland, wie in ganz Österreich, haben Schwierigkeiten bei der Suche nach qualifiziertem Personal. Im Jahr 2022 zählte man 7.264 unselbstständig Beschäftigte im Gastgewerbe und in der Beherbergung, was im Vergleich zu 2019 eine Steigerung um sechs Prozent bedeutet. Trotzdem herrscht hier heuer eine große Nachfrage nach Mitarbeitern. Burgenland Tourismus hat aktuell eine österreichweit einzigartige Maßnahme entwickelt, um vor allem die Lebens- und Freizeitbedingungen für Beschäftigte im Tourismus im Burgenland zu steigern. Die landesweit neu eingeführte und von Burgenland Tourismus finanzierte Mitarbeiter Card ermöglicht es allen touristischen Mitarbeitern im Burgenland, über 270 Gratis- oder ermäßigte Leistungen der Burgenland Card kostenlos in Anspruch zu nehmen.
medianet: Welche Marketing- bzw. Werbemaßnahmen sind für den heurigen Sommer und für die Wintersaison geplant?
Kettner: Was europäische Herkunftsmärkte betrifft, hat Wien die Krise de facto überwunden. 2023 steht im Zeichen der Reaktivierung der Fernmärkte. Die USA als aufkommens- wie umsatzstärkster Überseemarkt Wiens sind ebenso schon in voller Stärke zurück, in Kanada, den arabischen Ländern, China, Japan und Südkorea setzen wir heuer zusätzliche Akzente. Es braucht gerade die wertschöpfungsintensiven Fernmärkte, damit wir jenen Tourismus forcieren können, der für die hier lebende und arbeitende Bevölkerung maximalen Nutzen und minimale Belastung bringt.
Haberl: Viele – im Internet, in Printmedien, TV und viele mehr.
Tunkel: Burgenland Tourismus setzt bei seiner Sommerkampagne im Inland auf die ‚Vielfalt der Seen und die Natur'. Die Winterkampagne zu den Themen ‚Thermen und Wein-Kulinarik' wird derzeit ausgearbeitet, und wir hoffen, durch Originalität und einen guten Mix aus verschiedenen Medien österreichweit viel Aufmerksamkeit zu erzielen. Im Herbst folgt übrigens Teil zwei der Zusammenarbeit mit Nicholas Ofczarek.
Mehr zu diesem Thema lesen Sie in der Ausgabe vom 2. Juni.