••• Von Reinhard Krémer aus Nairobi
NAIROBI. Corona und Ukraine-krieg haben Europas Fokus weg vom afrikanischen Kontinent gelenkt – zu Unrecht, denn dort gibt es nicht nur faszinierende Urlaubsdestinationen, sondern auch durchaus interessante Möglichkeiten für heimische Entrepreneure. „Besondere Chancen bestehen im Infrastrukturausbau sowie der Lieferung von Maschinen und Ausrüstungen für ostafrikanische Produktionsbetriebe. Auch im Energie- und Umweltsektor gibt es gute Möglichkeiten, insbesondere in der Stromerzeugung sowie im Waste Management und Recycling”, sagt die österreichische Wirtschaftsdelegierte in Nairobi, Edith Predorf, im Exklusiv-Interview mit medianet.
„Im Sicherheitsbereich tut sich viel. Dieser umfasst einerseits die Ausstattung der Polizei und Streitkräfte, andererseits auch den privaten Bereich in puncto Gebäudesicherheit und Zutrittskontrollen. Bei den New Technologies könnten österreichische und ostafrikanische Tech-Anbieter in Zukunft verstärkt zusammenarbeiten und spezielle Lösungen für den ostafrikanischen Markt entwickeln – Stichwort: Frugal Innovation”, so Predorf.
Österreich schon lange aktiv
Als Beispiele für heimische Betriebe, die ihre Fühler in Afrika bereits ausgestreckt haben, nennt die Wirtschaftsdelegierte, die für die Betreuung von elf Ländern in Ostafrika zuständig ist, unter anderen Andritz: „Ein beachtlicher Teil des kenianischen Stroms aus Wasserkraft wird auf Andritz-Turbinen erzeugt – und das schon seit den 1960er-Jahren (!). In Kenia, Tansania und Uganda kommen Löschfahrzeuge von Rosenbauer zum Einsatz, und in Dschibuti ist das häufigste Getränk bei Meetings Rauch Fruchtsaft. Österreich ist vor allem als Technologielieferant interessant und kann da wichtige Nischen besetzen. Komptech hat eine Müllsortieranlage an einen privaten Müllentsorger in Nairobi verkauft, und Erema Recyclingmaschinen kommen in Kenia bereits seit Jahren erfolgreich zum Einsatz”, erläutert Predorf.
Speiseöl als Rohstoff
„Besonders freut mich der kürzlich erfolgte Markteinstieg der Firma Münzer Bioindustrie GmbH. Das steirische Familienunternehmen ist in der Aufbereitung von Altspeisefett aus der Gastronomie und Hotellerie tätig und macht daraus einen wertvollen Rohstoff für die Produktion von Biodiesel”, berichtet die österreichische Wirtschaftsdelegierte.
Der Einstiegsprozess in Afrika erfordert Geduld: „Ostafrika ist ein Markt für erfahrene Exporteure, die Situation ist dynamisch, und oft dauert es Jahre, bis größere Verträge abgeschlossen werden können. Davor fließen Ressourcen, Zeit und Geld in die Marktbearbeitung, das heißt, man braucht schon einen langen Atem. Ich möchte das gar nicht so sehr auf ein bestimmtes Land oder Länder festmachen”, sagt Predorf.
Netzwerk & Commitment
Die Bedingungen ändern sich oft über Nacht, und vieles steht und fällt mit dem eigenen Set-up: Besonders wichtig ist der lokale Partner, dessen Netzwerk und Commitment; dadurch kann gemeinsam sehr viel erreicht werden, so die Expertin. Doch wer die Mühsal auf sich nimmt, kann reiche Ernte einfahren: „Aus meiner bisherigen Erfahrung weiß ich, dass Ostafrika viele tolle Chancen für österreichische Unternehmen bereithält; die globale Konkurrenz ist allerdings stark, und wir müssen uns auf die hochqualitativen Nischen konzentrieren. Bisher besteht unser Geschäft mit Ostafrika fast ausschließlich aus Lieferungen, zu Investitionen konnten sich bisher noch wenige Firmen entscheiden. Dies liegt meines Erachtens hauptsächlich an der Beurteilung des gesamtwirtschaftlichen Umfelds, auch ist für die Investitionsentscheidung die Konkurrenz aus Asien stark. Hier hat (Ost-)Afrika häufig das Nachsehen”, ist Edit Predorf überzeugt.
Fokus auf Kenia
Kenia gilt als stabiler Anker in Ostafrika. „Kenia ist seit Langem eine sichere Plattform für die verschiedensten Aktivitäten – etwa wirtschaftlich oder wissenschaftlich – in der Region. Auch Ruanda kann man als stabil bezeichnen, ebenso Malawi und Sambia, doch ist deren wirtschaftliche und politische Bedeutung geringer”, sagt der österreichische Botschafter Christian Fellner.
Doch dem Land stehen noch heuer Wahlen ins Haus: „Rund um Wahlen hat Kenia leider eine Geschichte von Gewaltszenarien. Das liegt vor allem an dem in Afrika weit verbreiteten Prinzip ‚The Winner takes it all.' Der jeweilige‚Zweite' ist selbst dann von der politischen Teilhabe weitgehend ausgeschlossen, wenn er 49 Prozent der Bevölkerung hinter sich hat. Folglich sind namhafte Teile der Bevölkerung stark daran interessiert, diesen Moment für sich zu nutzen – und das kann zu Ausschreitungen führen”, so Fellner. Beobachtern zufolge ist das Klima vor den Wahlen im August deutlich ruhiger, als es vor früheren Wahlgängen war. „Das lässt hoffen. Dennoch sollte man mit Prognosen sehr vorsichtig sein, da selbst eingeweihte politische Beobachter nicht in der Lage sind, die Entwicklungen einzuschätzen”, erläutert der österreichische Botschafter.
Faktor Tourismus
Der Tourismus in ganz Afrika hat während der Pandemie einen schweren Dämpfer erlitten. Doch seit Anfang 2022 kommen wieder mehr Reisende. Allein Kenia verzeichnete im Jahr 2019 insgesamt zwei Mio. Touristen und lag damit nach absoluten Zahlen weltweit auf Platz 63. Mit 0,038 Touristen pro Einwohner positionierte sich das Land damit im weltweiten Vergleich auf Platz 152. Kenia erwirtschaftete im Jahr 2019 allein im Tourismus-Sektor rund 1,6 Mrd. €. Dies entspricht 1,8% des BIP und circa zehn Prozent aller internationalen Tourismuseinnahmen in Ostafrika.
Die meisten Touristen besuchen die Strände und Nationalparks in Kenia. Auch Safaris sind immer noch eine sehr beliebte Aktivität bei Urlaubsreisen. In den vergangenen Jahren versucht man – auch mithilfe großer internationaler Werbekampagnen – das Tourismus-Portfolio um weitere Regionen und um weitere Aktivitätsschwerpunkte zu erweitern.