Radikale Anpassung an die neue Normalität
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Stimmungsbild Die Pasterze mit dem Gletschersee im Juli 2022. Der größte Gletscher in Österreich geht jährlich um etwa fünfzig Meter zurück.
DESTINATION Redaktion 02.09.2022

Radikale Anpassung an die neue Normalität

Trockene Seen, schmelzende Gletscher – auf Österreichs Touristiker warten etliche Herausforderungen.

••• Von Alexander Haide

Knochentrockener Grund am Zicksee. Die Fotos vom einst beschaulichen Ferienidyll im Burgenland gingen durch alle Medien und sorgten für Entsetzen. Ähnliches gilt für den Neusiedlersee – denn auch in der „Badewanne der Wiener” ist der Pegelstand nicht berauschend. Sogar die Idee, Wasser aus einem ungarischen Seitenarm der Donau in den Steppensee zu leiten, wird ernsthaft überlegt. Davor warnen allerdings Wissenschaftler eindringlich.

Die Ursache der kritischen Lage der Lacken im Seewinkel jedenfalls ist (auch) hausgemacht: Bauern pflanzen Erdäpfel an, die in der Region nicht heimisch sind und viel Grundwasser verbrauchen. Das fehlt dann in den Gewässern.
Schon vor einem Jahr warnte WWF-Experte Bernhard Kohler: „Beim Zicksee hat der Mensch bereits massiv in die Landschaft eingegriffen. Über hundert Jahre lang ist aus landwirtschaftlichen Gründen und um Siedlungsflächen zu gewinnen massiv entwässert worden. Man hat Wasser in großer Menge abgeleitet und damit den Grundwasserspiegel abgesenkt. In den vergangenen zwanzig Jahren kam durch den Klimawandel hinzu, dass man Grundwasser zum Beregnen der Felder verwendet.” Die Lösung liefert Kohler gleich mit – die Umweltsünden der vergangenen Jahrzehnte müssen rückgängig gemacht werden: Der Stopp der Ableitung von Wasser aus dem Zicksee (wenn es wieder Wasser gibt), die Entnahme von Grundwasser reduzieren und auf eine Landwirtschaft umstellen, die dem Klimawandel angepasst ist.

Die Lacken verschwinden

In seinen 30 Dienstjahren hat der WWF-Experte bereits 15 bis 20 Lacken sterben sehen. Doch mit den Hauptattraktionen des Seewinkels verschwinden auch die Tourismusmagneten: „Wenn sie kaputt sind, kann man diesen Tourismuszweig streichen.” Damit würde das Burgenland eine einzigartige Destination verlieren, die beinahe ganzjährig Besucher anzieht. Bricht der Nationalparktourismus weg, wäre das eine Katastrophe für die Region.

Kein Alarm am Neusiedler See

Beim Neusiedler See ist die Sachlage anders. Der Steppensee ist in den vergangenen Jahrhunderten mehrmals ausgetrocknet, zuletzt zwischen den Jahren 1865 und 1868 – nur im 20. Jahrhundert ist er nie trockengefallen. Durch den Klimawandel sind extremere Schwankungen des Wasserstandes zu erwarten, und der Steppensee-Charakter wird sich verstärken. Genaue Prognosen sind schwierig, denn durch die Erwärmung der Erde sind Niederschlagsmengen nur schwer vorhersehbar.

Kohler: „Wenn die Niederschläge durch den Klimawandel geringfügig oder stark zunehmen, wie bei Starkregenereignissen, könnte es sein, dass der Neusiedler See sogar seltener austrocknet als bisher.”

Wasserzufuhr aus der Donau

Durch eine Zuleitung von Wasser aus der Donau würde man den Naturtourismus vermutlich zerstören; führt man nährstoffreiches Wasser aus dem Fluss zu, käme es vermehrt zu Algenblüten: „Das wird eine dicke grüne Suppe, in der niemand mehr schwimmen möchte. Darin kann man vielleicht nicht einmal mehr Boot fahren. Deshalb betone ich, dass der Klimawandel für den Neusiedler See nicht so katastrophal sein wird, sondern dass es der Mensch aus kurzsichtigem Denken heraus ist. Wenn man den See langfristig erhalten will, muss man ihm seinen Steppenseecharakter lassen.”

Das Land Burgenland hat im regionalen Entwicklungsprogramm „Neusiedler See – Parndorfer Platte” jetzt die Bebauung rund um den Neusiedler See festgelegt. Ziel sei es, den Naturraum so weit wie möglich zu erhalten, so Peter Zinggl, Hauptreferatsleiter für Landesplanung im Amt der Landesregierung, kürzlich bei einer Pressekonferenz. Die „wenigen Flächen” am See, die noch verbaut werden können, sollen für den Tourismus genutzt werden und nicht für Freizeitwohnsitze. Grundlage für das Konzept ist der „Masterplan Neusiedler See”. Dass der Naturraum geschützt werde und erhalten bleibe, sei auch im Interesse des Tourismus.

Die Gletscher sind verloren

Während es für die burgenländischen Seen noch Chancen auf Rettung gibt, gibt WWF-Experte Kohler die Alpengletscher verloren; eine weitere Belastung der Gletscher hält er für fahrlässig.

„Man sollte die Gletscher auf keinen Fall weiter belasten. Der Trend, dass man für das Skifahren die Gletscher immer mehr erschließt, weil die Skigebiete in niedrigen Lagen nicht mehr rentabel werden, ist kurzfristig gedacht”, meint Kohler. „Die Gletscher weichen immer mehr zurück, deshalb wird ständig um- und nachgebaut. Hier wird massiv in einen Bereich eingegriffen, der bisher zu den unberührtesten, saubersten und am wenigsten belasteten Landschaften gehörte. Den Rückgang der Gletscher wird man nicht aufhalten können, aber man sollte mit diesen noch sehr gesunden Räumen oberhalb der Baumgrenze sehr viel sorgfältiger umgehen als bisher.”

Alles wird sich verändern

Regionen unterhalb der Baumgrenze müssen sich ebenfalls auf eine kräftige Veränderung der Vegetation einstellen. „Unsere Landschaft wird sich radikal umgestalten, und wir müssen uns darauf einstellen, dass sie ganz anders aussehen wird. Das betrifft die Wälder, die Seen und Flüsse. Die Wasserführung der Flüsse wird schwanken. Da wird alles relativ unlustig”, zeichnet Bernhard Kohler ein düsteres Bild und warnt: „Der Übergang wird ein krisenhafter sein, wenn das Bisherige zusammenbricht und sich das Neue noch nicht entwickelt hat. Es geht nun durch den Klimawandel alles wahnsinnig rasch. Selbst die Forscher staunen, wie drastisch sich alles verändert und wie schwer es vorhersehbar ist.”

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