Reinsberg, ein beschaulicher Ort im Mostviertel. Vor 4.000 Jahren siedelten hier die ersten Viehzüchter und wurden sesshaft. Heute leben hier etwas mehr als 1.000 Reinsbergerinnen und Reinsberger unterhalb der über dem Ort thronenden Burgruine. Zwischen Gresten, Scheibbs und Gaming lebt es sich gut, und seit sich ab Anfang der Nullerjahre die Burgruine zu einem modernen Veranstaltungsort entwickelt hat, gibt es sogar Tourismus. Und auch bei der Nahversorgung sind die Reinsberger innovativ geworden.
Denn damit die Menschen auch einkaufen können, dafür sorgt einer der modernsten Nah&Frisch Märkte Österreichs. Das Geschäft ist ein großartiges Beispiel, wie Nahversorgung modern und effizient gelingen kann. Wie kam es dazu, was braucht es?
Nahversorgung erhalten
Mitten im, in den letzten zwei Jahrzehnten revitalisierten, Ortskern eröffnete der Markt im Herbst 2023 neu. Keine Selbstverständlichkeit, denn Hunderte Gemeinden haben gar keinen Nahversorger mehr; viel zu oft ist die nächste Einkaufsmöglichkeit irgendwo außerhalb des Ortsrandes am Kreisverkehr. Damit das Geschäft im Ort bleibt, benötigt es engagierte Kaufleute, Menschen, die dort einkaufen, und einen innovativen Partner aus dem Lebensmittelhandel. Dieser Partner ist die Nah&Frisch Gemeinschaft, die jüngst das Konzept des Hybridmarktes vorstellte. Und das bedeutet mehr Öffnungszeiten, weniger Personalkosten. Das Wort „Gamechanger” fällt beim Lokalaugenschein mit medianet-Herausgeber Oliver Jonke, Nah&Frisch Geschäftsführer Hannes Wuchterl, Geschäftsführerin Andrea Fischer, Obmann Christoph Wolmersdorfer, Altbürgermeister Franz Faschingleitner, Bürgermeister Reinhard Nosofsky, Anna Gassner und Franz Rechberger öfters.
Aber der Reihe nach. Franz Faschingleitner, seit Anfang Jänner Altbürgermeister, stellt eingangs klar: „Das Geschäft ist ein wesentlicher Teil des Ortes, ein Motor des gesellschaftlichen Lebens – vor allem für Ältere.”
Zusammenhalt fördern
Im Zuge der Ortskern-Revitalisierung wurde ein wunderschönes 150 Quadratmeter-Verkaufslokal neben der Kirche, dem Kindergarten, dem Kulturhaus und dem Wirtshaus errichtet. Es sollte eben kein Supermarkt am nächstbesten Kreisverkehr entstehen, aber es brauchte den ganzen Ort für die Umsetzung. Die Gemeindepolitik stand und steht voll hinter dem Projekt, unterstützte den schon seit zwölf Jahren bestehenden Verein „Unser G’schäft in Reinsberg” auch in der Umsetzung des Projektes „Neubau”. Um die Kosten in bewältigbarem Rahmen zu halten, setzten sich Faschingleitner, Fischer und Wolmersdorfer zusammen und planten ein Finanzierungkonzept, welches in der Bauphase auch auf die freiwillige Mithilfe aus der Bevölkerung setzte.
„Das war eigentlich gar nicht kompliziert. Baumeister, Polier und Ehrenamtliche haben super zusammengearbeitet”, erinnert sich Franz Rechberger, pensionierter Tischler und einer der freiwilligen Helfer in der Funktion als Koordinator beim Neubau. Das funktionierte – wie so manch anderes auch in Reinsberg – ganz am Puls der Zeit, wie die ebenfalls Freiwillige Anna Gassner erzählt: „Wir haben uns per WhatsApp organisiert. Gemeinsam haben wir auch für das leibliche Wohl aller Beteiligten gesorgt – die ganzen Monate, weil gebaut wurde ja von April bis Oktober.”
Neben geringeren Kosten durch ehrenamtliche Tätigkeiten geht es vor allem um Eigenverantwortung: „Sobald Leute mithelfen, bekommen sie einen persönlichen Bezug zum Projekt. Das Erreichte wird höher geschätzt, wenn eine persönliche Beziehung zum Vorhaben entstehen kann”, bestätigen Bürgermeister, Geschäftsführerin, Obmann und alle Freiwilligen.
Die Vereinslösung, da ist sich die Runde einig, kann auch ein Vorbild für andere Gemeinden sein, denn ein Selbstläufer ist ein Nahversorger eben nicht. „Ein Verein und die Vereinsverantwortlichen brauchen aber auch Sicherheit”, so der aktuelle Bürgermeister Reinhard Nosofsky. „Die Gemeinde hat deswegen eine Haftung beschlossen, und der notwendige Geldbetrag für die Erstbestückung des Lagers wurde in Form von Bausteinen aufgebracht. Personen und Organisationen konnten sich durch den Ankauf von Bausteinen am G’schäft finanziell beteiligen.” Wo ein Wille, da ein Weg, aber die Kombination aus Verein und Betrieb führt zu hohen Personalkosten. Daher wurde gemeinsam mit Nah&Frisch ein Hybridmodell umgesetzt. Mittlerweile werden österreichweit bereits 22 Nah&Frisch Geschäfte nach diesem Modell betrieben.
Hybrid als Vorbild
Hybrid heißt, dass es in derart ausgestatteten Geschäften zwei Formen des Einkaufens gibt – das gewohnte Nah&Frisch Erlebnis mit persönlicher Bedienung einerseits und Einkaufen in Selbstbedienung, ganz ohne Personal und mit Selbstcheck-out an der Kasse andererseits. Dies bietet einem Betreiber die Chance, zusätzlich zu den traditionellen Öffnungszeiten eines Nah&Frisch Geschäftes das Einkaufen zu ermöglichen, ohne wesentliche Änderungen der Personalkosten in Kauf nehmen zu müssen. Der Kaufmann kann das Geschäft auch zu gewissen Zeiten allein betreiben, indem er selbst an der Feinkost-Theke bedient und die Kundinnen und Kunden anschließend selbstständig an der Kassa den Einkauf scannen und via Bankomatkarte bezahlen.
Das Modell ist eine smarte und finanzierbare Lösung dafür, einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil des Mitbewerbs – oft deutlich längere Öffnungszeiten – zu relativieren und den gesetzlichen Rahmen von 72 Stunden auszuschöpfen. „Über 600 Gemeinden haben gar keinen Nahversorger mehr”, weiß Hannes Wuchterl von Nah&Frisch: „Hybrid kann ein Gamechanger sein. Gemeinsam mit engagierten Gemeinden kann Nahversorgung jetzt kosteneffizient gehalten werden – oder, was noch viel wichtiger ist, wieder zurückgebracht werden.”
Gewinnbringend
Obmann Christoph Wolmersdorfer betont: „In kleinen Gemeinden ist der Nahversorger oftmals auch sozialer Treffpunkt und zählt wie beispielsweise ein Wirtshaus oder eine Schule zur bevölkerungserhaltenden Infrastruktur.” Für die Umsetzung sorgt Andrea Fischer. Sie war zunächst Angestellte beim Verein, hat nun die Geschäftsleitung inne. Die gelernte Malerin und Mutter zweier Kinder ist dankbar für einen Arbeitsplatz im Ort und die Möglichkeit, durch das Hybridmodell ihre Arbeitsstunden und die ihrer Mitarbeiterinnen besser planen zu können.
Ihre Erfahrung mit dem Hybrid-System? „Es wird sehr gut angenommen. Dass die Menschen auch nach der Arbeit noch alles bei uns kriegen, wird sehr geschätzt, ebenso, dass wir als Tourismusregion auch am Sonntag geöffnet haben dürfen. Durch die ausgedehnten Öffnungszeiten und das Selbstbezahlungsterminal kann mehr Kundschaft schneller bedient werden. Das duale System bietet den Reinsbergern viel: Am Vormittag und an drei Nachmittagen gibt es wie gewohnt Bedienung, an den zuvor geschlossenen Nachmittagen ist jetzt bis 19 Uhr Einkauf in Selbstbedienung möglich. Die Sonntagsöffnung hat sich im Übrigen auch schon in die Nachbarorte durchgesprochen”, weiß Geschäftsführerin Fischer.
Das Beste aus zwei Welten
Probleme mit dem neuartigen Hybridmodell, das den Zugang hier mittels Chip oder App regelt, gibt es keine, wie der aktuelle Bürgermeister aus der Bevölkerung vernimmt: „Das System ist selbsterklärend und keine Hürde.” Wenn’s sein muss, hilft das Verkaufsteam gerne. Er freut sich: „Unser Dualsystem holt das Beste aus beiden Welten. Es gibt die wichtige persönliche Betreuung, und sonst muss man nicht weiter nachdenken, wie lang und ob offen ist, und wenn es ein soll, holt man sich eben auch am Sonntag die Jause, wenn sich spontan ein Besuch ankündigt.”
Fischer registriert mit dem neuen System im neuen Geschäft ein Umsatzplus. Dabei, das weiß Wuchterl, ist der Markt von der Größe sogar kleiner als der durchschnittliche Nah&Frisch Markt mit 200 Quadratmetern. Dennoch läuft es, auch weil der Markt mit seinen knapp 3.000 Produkten neben den Artikeln für den täglichen Bedarf auch lokale „Schmankerl” anbietet. Das lobt Faschingleitner: „Die Produktvielfalt spielt eine bedeutende Rolle – wer nicht den täglichen Einkauf im Ort erledigen kann, wandert ab.” Besonders wichtig sei es auch, den regionalen Produzenten eine Absatzmöglichkeit zu bieten – sie erfüllen nicht nur die wichtige Aufgabe der Lebensmittelproduktion, sondern auch die mindestens ebenso wichtige Aufgabe der Landschaftspflege”, ergänzt Wolmersdorfer.
aus’m Dorf
Diese Marke ist hier in Reinsberg sowie auch in ganz Österreich beliebt. Nah&Frisch fasst lokale Produkte unter dem Namen „aus’m Dorf” zusammen. „Wir haben die Marke deshalb erfunden und entwickelt, damit unsere Kaufleute Produkten aus ihren Heimatgemeinden eine Bühne bieten können. Wenn Joghurt oder andere Produkte direkt im Ort produziert werden, verzichtet der zuständige Großhandelspartner (in Reinsberg ist das die Kastner Gruppe) auch mal gerne darauf, den gleichen Artikel aus unserem Sortiment zu stellen”, erklärt Wuchterl.
Und oft gibt es lokal auch Produkte, die es eben nur genau in diesem Geschäft gibt. Hier gibt es beispielsweise Dirndlmarmelade, Honig, frischen Schafskäse oder Dinkelprodukte, andernorts ist es vielleicht ein außergewöhnlicher Schinken. Die Produkte werden direkt und ohne lange Lieferwege beschafft oder im Zuge des eigenen Einkaufs selbst von ihnen ins Geschäft gebracht. Hinsichtlich Ökonomie und Nachhaltigkeit ist das nicht zu übertreffen. Dennoch: Man muss dranbleiben. Die Runde ist sich einig, dass nur das Zusammenspiel aus weitsichtiger Gemeindepolitik, engagierter Bevölkerung und einem innovativen Partner wie Nah&Frisch die Erhaltung der Nahversorgung möglich macht. Was will die kleine Gemeinde im Mostviertel nun der großen, weiten Welt mitgeben?
Gassner meint: „Ich hoffe, dass der Zusammenhalt bleibt und diese Haltung auch von den jungen Reinsbergerinnen und Reinsbergern übernommen wird.” Rechberger stimmt nickend zu: „Man muss immer mit den Leuten reden und einander helfen.”
Faschingleiter blickt stolz, auf die vergangenen Jahre zurück: „Die Idee der freiwilligen ehrenamtlichen Zusammenarbeit könnte ein Vorbild sein. Auf diese Weise war auch in einer kleinen 1.000 Einwohner-Gemeinde der Neubau eines topmodernen Veranstaltungszentrums, eines neuen Dorfplatzes und eines neuen Geschäftslokals mit Hybrid-System, welches die Nahversorgung in Reinsberg langfristig sichert, möglich.”
Es braucht Herzblut
Nosofsky sagt: „Man soll den Willen und auch die Kraft in kleinen Gemeinden nicht unterschätzen und derartige Projekte wagen.” Wolmersdorfer betont: „Eine funktionierende Nahversorgung ist im ländlichen Bereich für sehr junge oder auch alte Mitglieder der Dorfgemeinschaft oft die einzige Möglichkeit, eigenständig und in Würde die täglichen Einkäufe selbst erledigen zu können, weil es zum Beispiel an der Mobilität mangelt, dafür regelmäßig die benachbarten Ortschaften aufsuchen zu können.” Fischer meint: „Wenn man etwas tut, dann passiert auch etwas. Bei uns ist der gesamte Ort mit Herz und Leidenschaft dabei.” Vielleicht versteht alles am besten, wenn man Wuchterls Rat folgt: „Fahren Sie nach Reinsberg, schauen Sie sich das an.”