••• Von Reinhard Krémer
Die Experten der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) beobachten die Entwicklung der heimischen Wirtschaft besonders während der Coronakrise mit Argusaugen. Es zeigt sich: Das Tal der Tränen dürfte fast durchschritten sein. Die aktuelle Covid-19-Pandemie hat nämlich zu einem tiefen und abrupten Einbruch der Wirtschaftsleistung in Österreich geführt, so die OeNB-Fachleute.
Eine zeitnahe Schätzung der Stärke des Einbruchs und der folgenden schrittweisen Erholung der österreichischen Wirtschaft stellt die Wirtschaftsforschung vor neue Herausforderungen. Traditionelle Konjunkturindikatoren sind oft nicht ausreichend rasch verfügbar und liegen häufig nur auf Monats- oder Quartalsebene vor.
Neuer Indikator entwickelt
Die OeNB hat daher mit tagesaktuell verfügbaren Konjunkturdaten einen Indikator entwickelt, der auf wöchentlicher Basis die wirtschaftliche Aktivität in Österreich abbildet.
Dieser neue wöchentliche BIP-Indikator zeigt, dass der Tiefpunkt in der Entwicklung der wirtschaftlichen Aktivität Ende März erreicht wurde und es im April eine vorsichtige Erholung gab. In der ersten vollen Maiwoche hat die Öffnung vieler Geschäfte zu einer deutlichen Belebung geführt, zu der auch Nachholeffekte im privaten Konsum beigetragen haben dürften.
Während des Lockdowns in den Kalenderwochen 12 bis 16 lag die Wirtschaftsleistung jeweils um rund ein Viertel unter dem Vorjahresniveau. In absoluten Größen belaufen sich die aggregierten BIP-Verluste für den Zeitraum 16. März bis 10. Mai 2020 auf über 12 Mrd € – dies entspricht etwa 3,5% des Bruttoinlandsprodukts des Jahres 2019 von 375 Mrd €.
Daten ohne Zeitverzögerung
Zur zeitnahen Abschätzung der unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie hat die OeNB ein Set von Konjunkturindikatoren zusammengestellt, die auf Tages- oder Wochenbasis erhoben werden und ohne Zeitverzögerung zur Verfügung stehen.
Zu diesen Indikatoren zählen unter anderem Lkw-Fahrleistungsdaten (Quelle: Asfinag), Zahlungsverkehrsdaten (mehrere Zahlungsdiensteanbieter), Arbeitsmarktdaten (AMS) und Stromverbrauchsdaten (e-control, Austrian Power Grid – APG), die von den genannten Unternehmen mit großer Kooperationsbereitschaft zur Verfügung gestellt wurden.
Basierend auf diesen zeitnah verfügbaren Konjunkturindikatoren, wurde ein neuer Aktivitätsindikator berechnet, der die Entwicklung des realen BIP auf Wochenbasis abbildet. Dazu werden die nachfrageseitigen BIP-Komponenten mittels Brückengleichungen – Prognosegleichungen, die Variablen mit unterschiedlicher Datenfrequenz verbinden – geschätzt.
In der aktuellen Situation zeigt der so ermittelte wöchentliche BIP-Indikator einen konjunkturellen Tiefpunkt Ende März mit einem wöchentlichen BIP-Rückgang von 26% gegenüber den Vorjahreswerten. Im April hat zunächst eine leichte Erholung eingesetzt, die sich in der ersten Maiwoche beschleunigt hat.
Der Rückgang wird weniger
In der letzten vollen Aprilwoche (Kalenderwoche 17: 20. bis 26. April 2020) lag das wirtschaftliche Aktivitätsniveau noch ca. 21% unter dem Vorjahreswert.
In Kalenderwoche 18 verringerte sich der Rückgang weiter, mit einem Minus von 18% war der Abstand zum „Normalbetrieb” aber weiterhin groß.
In der ersten vollen Maiwoche (Kalenderwoche 19) setzte eine deutliche Erholung ein: mit 11% war die BIP-Lücke gegenüber dem Vorjahresvergleichswert weniger als halb so groß wie zum Höhepunkt des Lockdowns. Im Zuge der Öffnung vieler Geschäfte haben die privaten Haushalte zuletzt ihre Konsumausgaben deutlich erhöht.
Zum Teil dürften während des Lockdowns aufgeschobene Konsumausgaben nachgeholt worden sein. Nimmt man beispielsweise an, dass die Hälfte der zusätzlichen Konsumausgaben vorübergehende Nachholeffekte waren, wäre das BIP in Kalenderwoche 19 weiterhin fast 15% unter dem Vorjahresniveau gelegen.
Erholung dauerhaft?
Es wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen, zu welchem Teil diese Erholung dauerhaft ist oder vorübergehende Nachholeffekte widerspiegelt, meinen die Experten der Nationalbank..
Die BIP-Verluste betrugen während des Lockdowns bis zu 2 Mrd € pro Kalenderwoche, in Kalenderwoche 19 trotz der deutlichen Belebung nach wie vor knapp 1 Mrd €.
Für den Zeitraum 16. März bis 10. Mai 2020 summieren sich die bisherigen Verluste auf über 12 Mrd €, gegenüber einem BIP im Jahr 2019 von 375 Mrd €.