Rollende Raritäten: Rendite auf Rädern
© Darin Schnabel 2016 Courtesy of RM Sotheby's
1939 Mercedes-Benz 540 K Spezial Cabriolet A by Sindelfingen 1973 Sieger beim Concours d’Elegance in Pebble Beach, nun für 3–4 Mio. USD bei RM Sotheby’s.
FINANCENET 04.03.2016

Rollende Raritäten: Rendite auf Rädern

Schrottreife Vehikel? Ganz im Gegenteil! Vorkriegs-Automobile können mehr wert sein als die meisten Neuwagen.

••• Von Marie-Thérèse Hartig

Anno 1921 war sich die Berliner Allgemeine Automobil Zeitung sicher: „Das Auto ist jetzt vollkommen. Es bedarf keiner Verbesserung mehr.” Okay, so ganz hat das nicht gestimmt, und die eine oder andere Optimierungsmaßnahme ist in den folgenden knapp 100 Jahren dann doch noch erfolgt, aber rein optisch können die Oldtimer mit ihrer heutigen Konkurrenz durchaus mit­halten.

„Je schnittiger, offener und Richtung Sportwagen das Fahrzeug ist, desto besser fährt es sich”, erklärt Dietrich Hatlapa, Mitbegründer der Historic Automobile Group (HAGI) in London. Der unabhängige Classic-Car-Marktbeobachter reflektiert mit seinen Indices die Wertentwicklung seltener Fahrzeuge und kennt die Kriterien, die für die vielfach exorbitanten Preise verantwortlich sind.

Zweistellige Zuwachsraten

„Insgesamt hat sich der Markt für klassische Automobile sehr stark entwickelt”, berichtet Hatlapa, „der langfristige jährliche Durchschnittswert unseres HAGI Top Indexes liegt deutlich über 13 Prozent, obwohl es natürlich auch ­negative Perioden gegeben hat, zum Beispiel in der ersten Hälfte der Neunziger Jahre.”

Darüber hinaus bemerkt Hatlapa eine Polarisierung dieses Marktes: „Seltene, technisch aufwendige und damals schon teure Modelle steigen überproportional im Wert, viele andere fallen. Oftmals rechtfertigt ihr Marktwert nicht, dass sie aufwendig restauriert werden, aber Enthusiasten machen das manchmal trotzdem. Viele andere Fahrzeuge verschwinden aber einfach irgendwann vom Markt, das heißt, sie werden für Ersatzteile ausgeschlachtet.” Denn die Frage „Was ist noch original?” stellt eines der wesentlichen Kriterien bei der Wertbestimmung eines klassischen Automobils dar. „Viele dieser Fahrzeuge sind aus Einzelteilen – etwa von Unfallwagen oder im Krieg kaputt gegangenen Autos – zusammengebaut”, erklärt Hatlapa. ­„Außerdem wurde oft umkarossiert, d.h. ein Auto wurde zum Beispiel als Limousine geboren und ist heute ein Cabrio – weil diese einen beträchtlich höheren Wert haben.”
Apropos Fertigung: „Damals entstanden Autos immer in Zusammenarbeit zweier Firmen”, schildert Hatlapa, „der Fahrzeughersteller baute Technik und Chassis, und der Karosseriebauer schneiderte auf Kundenwunsch den sogenannten Body. Im Chassis liegt die Identität des Wagens, dort ist die Fahrzeugnummer eingeschlagen, deshalb wurde und wird oft ums Chassis herum neu aufgebaut. Häufig finden sich diese Nummern auch in den originalen Karosserieteilen. Hersteller, die es heute noch gibt, etwa Mercedes-Benz, können aber anhand ihrer alten, handschriftlichen Unterlagen, aus denen der originale Werdegang jedes Fahrzeugs hervorgeht, die Authentizität prüfen.”
Nicht nur deshalb zählt Mercedes-Benz zu den bei Sammlern besonders begehrten Marken, ebenso wie Bentley, Bugatti, Rolls-Royce, Talbot-Lago und Delahaye sowie Modelle der amerikanischen Hersteller Packard, Duesenberg und Cadillac. Alain Squindo, Vice President beim Automobil-Auktionshaus RM Sotheby’s, hat eine simple Erklärung für die hohen Preise, die Oldtimer aus den 1920ern und 1930ern oft bei Auktionen erzielen: „All diese Autos waren schon damals ultrateuer – ein Duesenberg hatte in etwa den gleichen Preis wie ein Einfamilienhaus.”
Allerdings muss man laut Squindo „kein wohlhabender Unternehmer” sein, um sich ein klassisches Automobil leisten zu können: „Es gibt zahlreiche Marken und Modelle, die es zu beobachten lohnt, weil sie großes Wertentwicklungspotenzial haben, zum Beispiel Hispano-Suiza-Modelle H6 und K6 oder kundenspezifisch gebaute 12-Zylinder-Packards, die man derzeit noch für niedrige sechsstellige Beträge bekommt.” Wem auch das noch eine Nummer zu teuer ist, den kann Philip Kantor, Leiter des Motor-Departments bei Bonhams, beruhigen: „Vorkriegswagen bekommt man schon für ein paar Zehntausender.” Lapidarer Nachsatz: „Die wirklich interessanten Modelle kosten allerdings eine Million aufwärts.” Zu den derzeit besonders gefragten und ergo teuren Klassikern zählt Kantor die Modelle Alfa Romeo 6C und 8C, Bugatti T35 und T57, Bentley 3L, 4.5L und Speed Six Tourers, als „relativ unterbewertet” sieht er Aston Martins, Invictas und die französischen Marken Delage und Delahaye.

Namen sind nicht alles

Große Namen allein garantieren freilich noch keinen großen Wert. „Manche dieser Karossen verfallen leider auch im Wert, selbst wenn Rolls-Royce draufsteht”, bedauert Wolfgang Humer, Experte im Dorotheum. „Heute bieten wir beispielsweise eine fahrbereite Rolls-Royce 20/25 HT Limousine für 30.000 Euro an, die vor 15, 20 Jahren noch gut das Doppelte gekostet hat.”

Solche Modelle seien „momentan einfach nicht in”, darum aber „ein guter Einstieg in die Szene”, so ­Humer. In Österreich drehe es sich aber sowieso mehr um heimische Klassiker, also die großen Vorkriegsmarken wie Austro-Daimler, Gräf & Stift und Steyr. „Die waren damals Technologieführer, nur kennt sie heute von der jüngeren Generation kaum noch jemand.”
Dass die Klientel, die solche klassischen Fahrzeuge, wenn schon nicht selbst chauffiert, so doch zumindest als Kind bei Vater oder Großvater miterlebt hat, allmählich ausstirbt, beklagen alle Experten gleichermaßen. „Junge Leute von heute müssen erst auf den Geschmack kommen”, meint Hatlapa. „Glücklicherweise gibt es immer mehr Veranstaltungen, bei denen diese Modelle präsentiert werden, Concours d’Elegance und Klassik-Rallyes finden weltweit statt, klassische Automobile sind zum Lifestyle geworden.”.

Globaler Markt

Das allein sorgt freilich noch nicht für einen stetig wachsenden Markt, wie ihn die Fachleute unisono beobachten. Alain Squindo führt die langfristige positive Entwicklung auf zwei Umstände zurück: „Erstens sind die Endverbraucher ­– also die Käufer – heute wesentlich informierter als früher, daher basieren auch hohe Preise meist auf logisch nachvollziehbaren Kriterien. Und zweitens eröffnen moderne Technologien – also das Internet – den Emerging Markets Asien, Indien, Russland und dem Mittleren Osten einen bequemen Zugang zum Auktionsgeschehen.” Soll heißen: Dank Online-Katalogen, Live-Auction-Streaming und Internet-Bidding sind alle relevanten Informationen und Aktionen rund um den Globus verfügbar.

Angesichts dieser Globalisierung dürften auch die Gustostückerln der heurigen Frühjahrsauktionen auf reges Bieterinteresse stoßen. Demnächst, Mitte März, findet in Florida eines der Highlights der Saison statt, genauer gesagt in Amelia Island; RM Sotheby's offeriert dort ein Mercedes-Benz 540K Spezial Cabriolet A aus dem Jahr 1939, das auf einen Wert von drei bis vier Millionen Dollar geschätzt wird. Das gleiche Modell aus dem Jahr 1937 hat Bonhams im Angebot; hier wird der Schätzpreis allerdings nicht bekannt gegeben.
Auch die Firma Rolls-Royce ist mit dem Modell 40/50 HP Silver Ghost bei beiden Auktionshäusern vertreten: RM Sotheby's veranschlagt den Silver Ghost Tourer by Lawton Baujahr 1911 mit 2,5 bis 3,5 Millionen Dollar, Bonhams bewertet einen Silver Ghost Pall Mall Tourer aus dem Jahr 1924 mit 225.000 bis 275.000 Dollar.

Steigende Preise

Wer nun fürchtet, angesichts solcher Preise auf keinerlei signifikante Wertsteigerungen hoffen zu können, der sei beruhigt: Auch in diesen Sphären ist noch Luft nach oben. Alain Squindo nennt ein Beispiel: „V-16 Cadillacs rangierten die längste Zeit im mittleren sechsstelligen Bereich, doch seit Kurzem sehen wir – natürlich nur für herausragende Exemplare –auch schon siebenstellige Beträge. So haben wir voriges Jahr bei der Auktion der Andrews Collection, die mit einem Gesamtergebnis von 53,9 Millionen Dollar die bisher wertvollste Automobileinzelauktion darstellt, einen 1930 Cadillac V-16 Convertible Sedan by Murphy für knapp zwei Millionen Dollar verkauft.”

Die höchste Summe bei den kommenden Amelia Island-Auktionen verspricht freilich ein Bugatti 57 SC Sports Tourer aus 1937, der laut Bonhams 13 Millionen Dollar bringen soll; 2010 erzielte ein Bugatti 57 SC Atlantic (von dem nur vier Exemplare gebaut wurden) angeblich sogar mehr als 30 Millionen Dollar – das Auktionshaus Gooding & Company verrät weder den genauen Preis noch den Käufer.

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