••• Von Helga Krémer
WIEN. Die Zeiten sind für Unternehmer momentan mehr als herausfordernd – Risiken, wohin das Auge blickt. Als Risiko-Experte gilt seit Langem der Kreditversicherer Coface. Die beste Zeit also für ein Interview mit der Coface Country Managerin Austria, Dagmar Koch.
medianet: Was bedeuten die Coface Länder-Risikoklassen konkret?
Dagmar Koch: Die Bewertung des Länderrisikos setzt sich aus drei Säulen zusammen: erstens Makroökonomische Daten wie BIP, Preisindizes, Inflation, Konsum. Zweitens Zahlungserfahrungsdaten und drittens die Expertise der Coface-Ökonomen. Insgesamt gibt es acht verschiedene Bewertungen, die die Ausfallwahrscheinlichkeiten von Zahlungen abbilden – von A1 für ‚sehr gering' bis E für ‚extrem'. Derzeit ist kein Land auf einer A1-Bewertung, Österreich hat eine A2-Bewertung.
medianet: Wir haben eine A2-Bewertung, Deutschland etwa hat ‚nur' A3. Warum sind wir so viel besser als unser deutscher Nachbar?
Koch: Die Wahrheit ist, das sind wir nicht. Die aktuelle Bewertung berücksichtigt die vorläufigen Zahlen für das vierte Quartal mit Daten bis ungefähr Mitte-November 2020. In der nächsten Länderrisikobewertung könnte sich somit ein anderes Bild abzeichnen. Die aktuelle Situation könnte bedeuten, dass Österreich ein Abstiegskandidat für A3 ist. Allerdings wirken sich die zunehmenden Impfungen positiv auf die Prognose aus, was wiederum bedeuten kann, dass Österreich an A3 vorbeischrammt und auf A2 bleibt. Deutschland hat als großes, dicht besiedeltes Land den Nachteil, dass die Durchimpfung mehr Zeit in Anspruch nehmen wird.
Deutschland hat einen deutlichen Schwerpunkt auf dem Verarbeitenden Gewerbe, während Österreich dies nur in einem begrenzteren Rahmen hat. Im Frühjahr 2020 waren die Fabriken überhaupt nicht auf Hygienemaßnahmen eingestellt und mussten zeitweise komplett geschlossen werden. Im Herbst 2020 haben sich viele bereits an die Situation gewöhnt, und die Produktionsstätten waren vorbereitet. Daher konnte weiter- produziert werden. Zudem ist die Nachfrage nach deutschen Produkten konstant hoch geblieben. Das hat zur Folge, dass im vierten Quartal die BIP-Entwicklung in Deutschland positiver verlaufen ist. Die Nachfrage für österreichische Produkte war infolge ebenso gut, denn Österreich schickt knapp 30 Prozent aller Exportgüter nach Deutschland. Die großen Herausforderungen für die österreichische Wirtschaft sind die Dienstleistungsexporte und der Tourismus.
medianet: Wie können wir A2 halten?
Koch: Wenn wir mit der Impfung der Bevölkerung schnell voranschreiten und somit zumindest den Inlandstourismus ermöglichen können, haben wir eine Chance, die A2-Bewertung zu halten.
medianet: Das heißt, mit der Durchimpfung wird dann ‚alles wieder gut'?
Koch: Ja, denn die wirtschaftlichen Grundvoraussetzungen wie Arbeiter, Maschinen und sogar Kapital sind vorhanden. Sie werden nur aufgrund der Lockdown-Maßnahmen gehemmt. Sobald sich die Situation entspannt, sehen wir sofort eine starke Erholung. Das war bereits im 3. Quartal 2020 in fast allen europäischen Ländern der Fall. Die europäische Wirtschaft muss nicht wiederaufgebaut werden, sondern sie hat nur eine Pause gemacht.
medianet: Wie lautet Ihre Prognose für Österreich generell?
Koch: Die Virusmutationen, die unterschiedlichen Impfstrategien und weitere Lockdowns halten die Wirtschaft weiterhin in Atem. Die anhaltenden Reisebeschränkungen werden uns noch einige Monate begleiten. All das deutet darauf hin, dass die Erholung der heimischen Wirtschaft nur langsam, schrittweise und in Wellen erfolgen wird. Die aktuelle Wachstumsprognose für Österreich liegt bei minus sieben Prozent für 2020 und plus vier Prozent für 2021.
medianet: Welche Branchen dürfen auf Erfolg hoffen?
Koch: In Österreich wurde die Risikoeinschätzung der Automotive-Branche von sehr hohem Risiko auf hohes Risiko gesetzt. Dies ist ein globales Phänomen, das auf die erhöhte Nachfrage aus China zurückzuführen ist. Von den 23 Verbesserungen der Brancheneinschätzungen in diesem Quartal ist fast die Hälfte auf den Automobilsektor zurückzuführen, dessen Wachstum in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 positiv überrascht hat, gefolgt von der Bauwirtschaft und der Chemie.
medianet: Hat Corona eigentlich die Zahlungsmoral der Unternehmen in irgendeiner Weise verändert?
Koch: In unseren jüngsten Zahlungsstudien sehen wir folgendes Bild: Die Zahlungsmoral ist weltweit sehr unterschiedlich. Das war schon vor Covid der Fall. Alle Länder haben dennoch einen gemeinsamen Trend: Die Unternehmen gewähren weniger und kürzere Zahlungsziele. Große Zahlungsausfälle können wir in Österreich, vermutlich dank der Unterstützungsmaßnahmen des Staats, nicht bzw. noch nicht sehen.
Während wir in Deutschland beobachten, dass sich die die Zahlungsmoral verbessert hat – wahrscheinlich nicht zuletzt wegen der massiven staatlichen Unterstützungsmaßnahmen –, zeigt sich ein anderes Bild in Polen, wo gemäß unserer jüngsten Zahlungsstudie im Jänner deutlich mehr Zahlungsverzüge von den Unternehmen gemeldet werden.
medianet: Staatliche Hilfen verschleiern oder erschweren ja oft wirtschaftliche Prognose-Modelle. Wie geht Coface damit um?
Koch: 2020 kam es zu einem Rückgang der Insolvenzeröffnungszahlen von knapp 40 Prozent. Diese Zahlen stehen im Gegensatz zum Anfang 2020 von vielen erwarteten Trend. Die staatlichen Stützmaßnahmen haben den eigentlichen Anstieg daher nicht nur ausgeglichen, sondern überkompensiert. Für 2021 rechnen wir mit einer ähnlichen Entwicklung. Denn es ist klar, dass in vielen Staaten die Maßnahmen bis weit ins Jahr 2021 laufen.
Wir reagieren auf diese Verzerrung der Modelle und werden deshalb für das laufende Jahr keine klassische Insolvenzprognose geben, klassische Insolvenzprognosen greifen nicht mehr.