Abnehmspritze: Die  Gewinner und Verlierer
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HEALTH ECONOMY Redaktion 30.08.2024

Abnehmspritze: Die Gewinner und Verlierer

Neuartige Abnehmmittel sorgen für Umwälzungen im Pharma- und Medizinbereich. Nicht alle jubeln.

Abnehmspritzen mit dem Wirkstoff GLP-1 gelten als medizinische Wunderwaffe – gesundheitliche Vorteilen beschränken sich dabei nämlich nicht nur auf einen Gewichtsverlust und Diabetes, sondern betreffen auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit sowie die Nieren und Gelenke. Während sich die Herstellerfirmen der Abnehmmittel wie Novo Nordisk seit Monaten über steigende Aktien freuen, wächst der Druck auf andere Pharmariesen.

Hohes Umsatzrisiko erwartet
Neue klinische Daten zeigen, wie neuartige Abnehmmittel bisher herkömmlichen Therapieverfahren den Rang ablaufen und somit für viele Pharmaunternehmen zum Problem werden (könnten). Die globale Unternehmensberatung Kearney schätzt das durchschnittliche Umsatzrisiko für Unternehmen im Gesundheitsbereich von 21 bis 23% bis zum Jahr 2033.
Ein Beispiel: Nachdem Novo Nordisk im Oktober 2023 positive Nachrichten zu einer Studie seines Abnehmmittels bei Nierenerkrankungen bekannt gegeben hatte, sackte die Aktie von Fresenius Medical Care – weltweit führende Anbieter von Produkten und Dienstleistungen für Menschen mit Nierenerkrankungen – zeitweise um fast ein Viertel ab. „Auf Grundlage diverser Primärdaten und Dialysenutzungsraten bei Patienten mit Nierenversagen im Endstadium haben wir einen Rückgang der Dialysenutzung um zwölf Prozent bis 2033 geschätzt“, erklärte Florian Leschinsky, Partner und Managing Director bei Kearney.

Das Beratungsunternehmen erwartet, dass GLP-1-Produkte auch den Insulinmarkt stark bedrohen – zum einen durch ihre direkte positive Wirkung auf den Blutzuckerspiegel, zum anderen durch ihren Einfluss auf Patienten ohne Diabetes, die andernfalls einen Typ-2-Diabetes entwickelt hätten. „Unter Berücksichtigung von hochwertigen Studiendaten zur Verringerung der Zahl von Prädiabetes-Patienten gehen wir von einem Rückgang der Gesamtnachfrage nach Insulin bei Typ-2-Diabetes um fünf Prozent aus“, meinte Leschinsky.

Eine ähnliche Situation könnte sich aufgrund der positiven Wirkung von GLP-1-Produkten bei Herzerkrankungen auch am Markt für Herzmedikamente ergeben. Kearney analysierte dazu aktuelle Daten: Das Antidiabetikum Semaglutid (GLP-1-Analogon) konnte nicht-tödliche Herzinfarkte um 28% reduzieren, herkömmliche Medikamente „nur“ um 25%. Außerdem deuten erste Daten darauf hin, dass sich die Zahl der Kniegelenkersatzoperationen bei Patienten, die GLP-1 erhalten, aufgrund der Gewichtsabnahme halbiert, was zu einem stetigen Rückgang an Operationen führen kann.

Pharmabranche im Umbruch
„Man kann sagen, GLP-1 ist der neue, große, disruptive Faktor in der Pharmabranche“, betont Leschinsky, der damit rechnet, dass die Aktien der Wirkstoff-Hersteller hingegen noch weiter steigen werden.

Vom Geschäft gegen die Fettleibigkeit könnte auch bald das deutsche Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim profitieren. Der Konzern will eine neue Abnehmpille auf den Markt bringen, die neben GLP-1 auch eine Glukagon-artige Komponente enthält, die den Energieverbrauch im Körper erhöht. Mit seinem neuen Wirkstoff Survodutide will Boehringer Ingelheim damit nicht nur bei der Gewichtsreduktion helfen, sondern auch die Fettleberentzündung, die durch Stoffwechselerkrankungen auftritt, besser adressieren.

Das sind alles Entwicklungen, die zeigen, welche wirtschaftliche Macht GLP-1 hat. In den USA hängen immerhin jährlich rund 300 Mrd. USD der Ausgaben im Gesundheitswesen mit Adipositas zusammen. Ob es weitere Indikationsbereiche mit ähnlichem wirtschaftlichen Potenzial gibt, ist laut Leschinsky „bisher schwer zu sagen“. Er rechnet nicht damit, dass es auf mittelfristige Sicht etwas ähnliches wie den „GLP-1-Hype“ geben wird. Wirtschaftliches Potenzial sieht er allerdings in personalisierten Impfstoffen gegen Krebs (Cancer Vaccines).

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