Diabetes ist Motor und Kostentreiber zugleich
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HEALTH ECONOMY Redaktion 18.01.2019

Diabetes ist Motor und Kostentreiber zugleich

Die Zahl der Diabetespatienten steigt. Das regt die ­Industrie zu mehr Forschung an, verursacht aber auch hohe Kosten.

••• Von Katrin Waldner

Diabetes ist keine ansteckende Krankheit, trotzdem sind immer mehr Menschen davon betroffen: In Mitteleuropa ist die Zahl der Zuckerkranken in den vergangenen Jahren um 40% gestiegen. Für das Jahr 2045 befürchtet die International Diabetes Federation (IDB) einen Anstieg von den derzeit 58 Mio. auf 67 Mio. Diabetes-Fälle. Weltweit leiden rund neun Prozent der Bevölkerung (415 Mio. Menschen) an Diabetes, in Europa sind es rund 60 Mio. Menschen. In Österreich gehen die Schätzungen von 515.000 bis 809.000 Diabetikern aus, das sind sieben bis elf Prozent der Gesamtbevölkerung. Etwa zwei bis vier Prozent dieser Menschen wissen noch gar nichts von ihrer Erkrankung.

Diabetes mellitus führt häufig zu gesundheitlichen Komplikationen und Folgeerkrankungen. In der Regel sind diese bedingt durch Veränderungen an kleinen und großen Gefäßen, was zu Erkrankungen an Augen (Retinopathie), Nieren (Nephropathie), Nerven (Neuropathie) und im Extremfall zur Erblindung, Dialyseabhängigkeit und Amputation von Gliedmaßen führen kann.

Lebensstil als Problem

Grund für den dramatischen Anstieg der Erkrankungszahlen ist vor allem ein „westlicher” Lebensstil: zu wenig Bewegung, zu fette und zuckerhaltige Ernährung. „Diabetes selbst ist nicht ansteckend und doch verbreitet sich die Erkrankung mit einer rasenden Geschwindigkeit über den gesamten Erdball, weil der Lebensstil und die Umweltbedingungen, die den Diabetes mellitus Typ 2 fördern, ansteckend sind”, erklärte die Präsidentin der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, Alexandra Kautzky-Willer, von der Med Uni Wien zum Weltdiabetestag. Durch einen gesunden Lebensstil wären 50 bis 70% der Typ-2-Diabetesfälle vermeidbar.

Digitalisierung bringt Chancen

Ein Problem für das Gesundheitssystem, eine Möglichkeit für die Wirtschaft. In kaum einem anderen Bereich läuft die Forschung derart auf Hochtouren, wie im Bereich der Diabetestherapie und -Versorgung. Und in kaum einem anderen Bereich kann auch die Digitalisierung im Gesundheitswesen derartige Fortschritte bringen, wie in der Versorgung von Diabetes-Patienten. Das war zuletzt auch der Tenor beim europäischen Diabeteskongress EASD. Vor allem das Management der Zivilisationserkrankung, von der immer mehr Menschen betroffen sind, soll durch den Einsatz moderner Technologie und der Vernetzung von Daten besser werden. Die klassische regelmäßige Blutzuckermessung ist Geschichte.

Patienten seien im Alltag oft allein mit der Erkrankung und mit Fragen der Insulindosierung, Messwerte, Ernährung und Bewegung, hieß es bei der Konferenz. Die Folge: Nur 6,5% der Betroffenen erreichen ihre Therapieziele. Die Folgen sind nicht nur persönliches Leid und Folgeerkrankungen, sondern auch enorme Kosten für die Gesundheitssysteme. So koste ein Patient mit einer diabetischen Entgleisung bei einem Spitalsaufenthalt etwa das Zehnfache eines Patienten, der zu einer Routinekontrolle beim Hausarzt sei, rechneten Experten vor.
Integrierte Diabetes-Management-Lösungen gehen neue Wege, um innovative Glukoseüberwachungsgeräte, Insulinabgabe und digitale Gesundheitslösungen nahtlos mit einem ganzheitlichen Therapie-Management-Ansatz zu kombinieren. Das soll die Verfolgung der Auswirkungen von Medikamenten-, Diät- und Lebens­stiländerungen auf die glykämische Kontrolle vereinfachen und stellt eine neue Möglichkeit dar, auf einige der dringlichsten Herausforderungen von Menschen mit Diabetes, ihren Betreuern und der Gesundheitssysteme zu reagieren, hieß es beim Diabeteskongress.

Pharmabranche reagiert

„Die Gesundheits- und Pharma­branche wird in den nächsten Jahren erheblich wachsen. Selbst in gesättigten Märkten wie Österreich liegt noch erhebliches Potenzial für die Pharma­branche, denn die Digitalisierung ermöglicht ganz neue Ökosysteme und Geschäftsmodelle im Gesundheitsmarkt”, sagt Erich Lehner, Managing Partner Markets und Leiter Life Sciences bei Ernst-and-Young-Österreich. In Österreich wird sich der Pharmamarkt laut EY-Prognose bis 2030 von rund 2,9 Mrd. € auf 5,2 Mrd. € fast verdoppeln. Zwar werden auch 2030 noch die klassischen Pharmaverkäufe den größten Teil des Markts ausmachen. Allerdings wird der Anteil von Gesundheits-IT-Lösungen wie Wearables am Gesamtmarkt noch deutlicher zunehmen. Die Gesundheits- und Pharmabranche ist ein absoluter Zukunftsmarkt, in dem die Digitalisierung neue Chancen eröffnet.

Google stoppt Projekt

Nicht alle Entwicklungen verlaufen positiv, zeigen aber dennoch, wie weit die Vernetzung von IT-Sektor und Pharmabranche gediehen ist. So hat zuletzt der Google-Mutterkonzern Alphabet ein zentrales Projekt in seinem Medizintechnikgeschäft auf Eis gelegt. Die Sparte Verily hatte gemeinsam mit dem Schweizer Pharmariesen Novartis versucht, eine Kontaktlinse für Diabetiker zu entwickeln, mit der Patienten ihre Blutzuckerwerte besser prüfen können sollten. Dazu sollten Sensoren den Glukosegehalt von Tränen kontrollieren. Es stellte sich allerdings heraus, dass der Zusammenhang zwischen der Glukosekonzentration in den Tränen und der im Blut nicht verlässlich genug ist, um auf dieser Basis ein medizinisches Gerät zu entwickeln.

Wirft man einen Blick auf die Versorgung, ist allerdings klar, warum das Interesse von vielen Unternehmen so groß ist: Laut dem Österreichischen Diabetesbericht 2017 fallen jährlich Krankheitskosten von 1,94 Mrd. € an; davon entfallen 1,68 Mrd. auf Typ-2-Diabetes, 260 Mio. € auf Typ-1-Diabetes. Die jährlichen Krankheitskosten pro Patient betragen 3.945 bei Typ-2 und 5.095 bei Typ-1-Diabetes.

Teuer Spätkomplikationen

Die tatsächlichen jährlichen Versorgungskosten pro Person sind allerdings sehr heterogen und hängen vor allem von Therapieformen und vom Vorhandensein von Spätkomplikationen ab. So könnten die tatsächlichen Kosten von wenigen Euro pro Jahr von neu Manifestierten, die ausschließlich Lebensstiländerungen als Therapie praktizieren und nur gelegentlich ihren Blutzuckerspiegel kontrollieren, bis zu mehreren Zehntausend Euro pro Jahr variieren, wenn beispielsweise zusätzlich zu einer komplexen medikamentösen Behandlung eine chronische Nierenersatztherapie benötigt werde, schreibt Louise Jane Schmidt im Diabetesbericht. Den Großteil der Kosten machen allerdings die Spätkomplikationen und das Krankheitsmanagement mit Blutzuckermessung, Teststreifen oder Routinekontrollen aus.

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