Digitalisierung spaltet das Gesundheitswesen
© Panthermedia.net/Pressmaster
HEALTH ECONOMY Redaktion 26.05.2023

Digitalisierung spaltet das Gesundheitswesen

Gleich mehrmals diskutierten dieser Tage Fachleute ­Chancen und Risiken der Digitalisierung im Health-Sektor.

••• Von Martin Rümmele

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen schwankt zwischen Euphorie der Entwickler und Anbieter und Ablehnung bei vielen Gesundheitsberufen. Dazu kommen Datenschutzfragen und fehlende gesetzliche Regelungen. Jedes einzelne Klinikum hat eigene, unterschiedliche Software-Lösungen und IT-Systeme, die nicht immer funktionierende Schnittstellen haben, war der Tenor zu Wochenbeginn bei den Praevenire-Gesundheitstagen in Seitenstätten/Niederösterreich. „Ärzte tippen ihre Arztbriefe mühsam selbst ein, anstatt sich Patienten zu widmen. Die Dokumentationssysteme sind extreme Zeitfresser, anstatt das Personal zu entlasten”, hieß es.

Umgekehrt herrschte eine Woche davor beim Austria Health Forum in Schladming Aufbruchsstimmung. „Es ist eigentlich ein Missbrauch von Daten – wenn wir sie nicht nutzen. Wir sind es den Menschen schuldig, dass wir Daten nutzen, um ihre Gesundheit und die Versorgung zu verbessern”, appellierte der Simulationsforscher Niki Popper. Und er versicherte, dass er keine Angst vor IT-Giganten wie Google habe. „Die haben zwar viele Daten, aber nicht die wichtigen. Deshalb wollen sie die Filetstücke aus dem Gesundheitssystem, und deshalb dürfen wir das Gesundheitswesen nicht aus der öffentlichen Hand geben. Dann sind wir Google auch mit den besseren Daten überlegen.” Man müsse den Menschen aber erklären, welchen Nutzen sie von der Digitalisierung haben.

Erwartung der Patienten

Ähnlich argumentierte ÖGK-Obmann Andreas Huss: „Die Menschen erwarten sich, dass wir ihre Daten haben und auch vernetzen, um sie optimal zu versorgen. Seit der Einführung der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) sei aber zu wenig passiert, hieß es. Österreich drohe bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens den Anschluss zu verlieren, warnten viele Experten und forderten eine rasche Umsetzung der gesetzlichen Grundlagen für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs). „Wir brauchen eine Gesetzgebung für dieses Thema”, fasste der Public Health-Experte Sebastian Mörth (Medtronic) die Stimmung der Fachleute zusammen.

Kritik an Verzögerungen

„Derzeit ist es so, dass jede Neueinführung in der Digitalisierung alles komplizierter macht und weitere Personalressourcen in der Administration bindet. Wir müssen zwei Schritte überspringen und weg von Systemen, in denen alles vom Menschen verschriftlicht wird. Wozu gibt es Speech-to-Text-Software und selbstlernende Systeme, wenn wir weiter im digitalen Mittelalter verharren?”, sagte Praevenire-Präsident Hans Jörg Schelling, ehemalige Vorsitzender im Dachverband der Sozialversicherungen und Ex-Finanzminister.

Dass Digitalisierung den Patienten nutze, unterstrich in Schladming auch der ÖGK-Vize-Generaldirektor Rainer Thomas. Er sprach von „digital unterstütztem Empowerment” und erklärte die ÖGK-Strategie so: „Wir denken digital vor ambulant vor stationär.” Die Gesundheitskasse verfolge dabei drei Ziele: „Die bessere Patientenversorgung, die Entlastung unserer Vertragspartner und die Entlastung des Gesundheitswesens.”
Chancen bietet nach Ansicht von Experten der geplante europäische Raum für Gesundheitsdaten, European Health Data Space (EHDS). Patienten sollen in Zukunft ihre Krankengeschichte, Testergebnisse oder Verschreibungen mit Krankenhäusern und Ärzten in der gesamten EU teilen können. Geplant ist ein Rahmen für den Datenaustausch, der klare Regeln, gemeinsame Standards und Verfahren, Infrastrukturen und einen Governance-Rahmen für die Nutzung elektronischer Gesundheitsdaten vorsieht – und zwar nicht nur für die Patienten, sondern auch für Forschung, Innovation, Politikgestaltung, Patientensicherheit, Statistiken oder Regulierungszwecke, erklärte Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG).

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL