••• Von Evelyn Holley-Spiess
Doppeluntersuchungen, mangelhafte Datenlage und Digitalisierung, Fehlsteuerung der Patienten: Wer das Gesundheitssystem durchleuchtet, stößt auf eine lange Mängelliste. Und während auch bei der jüngsten Gesundheitsreform zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie allen anderen Stakeholdern um jeden Euro gerungen wurde und wird, bleiben Milliarden auf der Straße liegen. „Der größte Teil geht verloren, weil wir bei den großen chronischen Erkrankungen wie Hypertonie, Diabetes oder Adipositas fast alle Folgeerscheinungen wie Nierenschäden, Hirnschlag oder Herzinfarkt hintanhalten könnten, wenn wir die Grunderkrankung besser behandeln”, sagt Thomas Czypionka, Gesundheitsexperte und -ökonom des Instituts für Höhere Studien.
Die Studienlage sei hier eindeutig. Allein: In der Realität ist das Gesundheitssystem nach wie vor darauf ausgerichtet, „Medizin auf Bedarf” zu machen – anstatt Prävention und Frühintervention zu forcieren. Czypionka: „Es ist zentral, dass wir diese Krankheiten gut kontrollieren, damit die Folgeschäden nicht eintreten. Da vergeben wir uns eine große Chance.”
Hausärzte als Gatekeeper
Zumal Patienten die Beschwerden oftmals nicht bemerken oder im Fall des Falles zu einem (Fach)arzt gehen, ohne wirklich zu wissen, ob sie dort an der richtigen Stelle sind. Die Folge: Befunde werden gemacht, mitunter aber nicht weiterverfolgt, andernorts vielleicht sogar Doppeluntersuchungen durchgeführt. Um diesem Wildwuchs gegenzusteuern und eine effizientere und am Ende auch günstigere Patientenlenkung zu erreichen, hat Andreas Huss, Vizeobmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), kürzlich seinen Vorschlag wiederholt, den Zugang zu Fachärzten einzuschränken. Konkret sollten – wie in früheren Zeiten – Hausärzte für die Zuweisungen zu Fachärzten zuständig sein. Direkte Besuche bei Fachärzten würde Huss via eCard-Sperrung zurückfahren.
Umsetzung dauert Jahre
Seit diesem öffentlich formulierten Wunsch ist die Debatte am Köcheln. Die Österreichische Ärztekammer reagierte vorerst verhalten bis ablehnend. Das Thema sollte mit der nötigen Ernsthaftigkeit und unbedingt konsensual mit den Vertretern der Ärzteschaft diskutiert werden, hieß es. In der aktuellen Situation könnte eine derartige Maßnahme zu einer massiven Überlastung der Allgemeinmedizin, ja zum Kollaps führen, warnte die Standesvertretung.
Der Gesundheitsexperte sieht die Sache ein wenig gelassener. „In sehr vielen europäischen Ländern ist es so, dass die Patienten in der Regel zuerst zum Allgemeinmediziner gehen. Das liegt auch daran, dass es einen niedergelassenen fachärztlichen, Bereich wie wir ihn kennen, dort gar nicht gibt”, sagt Czypionka. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit einer solchen Steuerung über die Hausärzte liegt allerdings ein längerer Zeitraum.
Deutschland prescht vor
Für eine flächendeckende Umsetzung in Verbindung mit dem nötigen Ausbau der Primärversorgung veranschlagt Czypionka einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren. Die Einführung eines Facharzts für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, die der Nationalrat Ende Februar dieses Jahres beschlossen hat, sei ein wichtiger Schritt. Das gilt auch für die Entwicklung und Etablierung größerer Allgemeinmediziner-Praxen, wo eine Art Generationenmodell gelebt und damit auch der medizinische Nachwuchs miteinbezogen wird. Vor diesem Hintergrund sei der Vorstoß des Vizeobmanns der ÖGK notwendig gewesen: „Wir müssen beginnen, diese Änderungen in die Wege zu leiten”, fasst der Gesundheitsökonom zusammen.
In Deutschland gibt es ähnliche Überlegungen. Dort plant Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Bonusregelung für Versicherte. Wer einen Hausarzt als erste Anlaufstelle wählt, bekommt von seiner Krankenkasse einen jährlichen Bonus von mindestens 30 €.