Industrie fordert bessere Rahmenbedingungen
© Boehringer Ingelheim RCV/Marion Carniel
HEALTH ECONOMY Redaktion 04.07.2025

Industrie fordert bessere Rahmenbedingungen

Der neue Pharmig-Präsident Pavol Dobrocky spricht im Interview über Standort, Forschung, Preise und Trump.

••• Von Martin Rümmele

Der Geschäftsführer des Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna, Pavol Dobrocky, ist neuer Präsident des freiwilligen Pharmaverbandes Pharmig. ­medianet sprach mit ihm über Pläne, Entwicklungen und die Situation der Industrie.


medianet:
Wo steht die Pharmaindustrie in Österreich?
Pavol Dobrocky: Wir haben in Ös­terreich eine vielfältige und stabile pharmazeutische Industrie: mit international tätigen Konzernen, innovativen Start-ups, mittelständischen Familienunternehmen und starken Produktionsstandorten. Diese Vielfalt ist unsere große Stärke. Wir müssen die Bedeutung unserer Industrie für das Gesundheitssystem aber auch für den Wirtschaftsstandort und die Wertschöpfung in unserem Land unseren Stakeholdern und einer breiten Öffentlichkeit bewusst machen.

 

medianet: Wie soll das gehen?
Dobrocky: Die pharmazeutische Industrie ist eine Schlüsselindustrie und als solche ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Wir schaffen zahlreiche Arbeitsplätze. In Österreich sind das rund 18.000 Mitarbeitende. Wir erwirtschaften eine direkte Wertschöpfung von fast fünf Milliarden Euro. In Forschung und Entwicklung werden jedes Jahr mehr als 300 Millionen Euro investiert. Sowohl wirtschaftlich als auch für die Gesundheit der Bevölkerung ist unsere Branche also ein Gewinn für Österreich.

medianet:
Wie soll das der Politik sichtbar gemacht werden?
Dobrocky: Als Präsident der Pharmig sehe ich meine Aufgabe darin, die Interessen der gesamten pharmazeutischen Industrie in Österreich zu vertreten – von forschenden Unternehmen über Generika- und OTC-Anbieter bis hin zu Herstellern und Vertriebsunternehmen. Schwerpunkte sind daher: planbare, industrie- und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen, ein nachhaltiger Zugang zu neuen wie bewährten Arzneimitteln für die Bevölkerung und die Sicherung des Standorts entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von Forschung über Produktion bis zur Versorgung. Wobei die Standortsicherheit und -entwicklung gerade vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Lage einen besonders starken Fokus bekommen hat.

medianet:
Wie beurteilen Sie den Standort Österreich?
Dobrocky: Österreich bietet grundsätzlich gute Voraussetzungen als Pharmastandort – mit exzellenten Forschungseinrichtungen, qualifizierten Fachkräften, moderner Infrastruktur und engagierten Unternehmen. In der Produktion sehen wir hohe Standards, aber auch wachsenden Druck durch internationale Konkurrenz, steigende Kosten und fehlende steuerliche Anreize. Wer hier investieren soll, braucht verlässliche Rahmenbedingungen. Bei Start-ups fehlt es oft an Risikokapital und passenden Förderinstrumenten – hier braucht es mehr Mut zur Finanzierung von Innovation. In der Forschung ist Österreich grundsätzlich solide aufgestellt, doch Genehmigungsverfahren sind zu langwierig, und die Vernetzung zwischen öffentlicher Forschung und Industrie ist ausbaufähig. Unser Ziel muss sein, entlang der gesamten Wertschöpfungskette ein Umfeld zu schaffen, das Innovation fördert, Versorgung sichert und Investitionen anzieht.

medianet:
Wie soll das gehen?
Dobrocky: Als Schwäche sehe ich die Rahmenbedingungen, die unsere Industrie betreffen. Diese sind komplex und erschweren oft die Planbarkeit. Die Versorgungssicherheit steht unter Druck – nicht zuletzt durch globale Lieferketten und geopolitische Spannungen. Mittel- und längerfristig gesehen ist der zunehmende Verlust von Wettbewerbsfähigkeit in einer Zukunfts- und Wachstumsbranche wie der unseren problematisch. In Österreich sind die Arzneimittelpreise im Vergleich zu anderen europäischen Ländern deutlich geringer. Derart niedrige Preise, bei gleichzeitigen Kostensteigerungen, machen eine Produktion und Vermarktung in Österreich zunehmend weniger rentabel. Die Bundesregierung hat die Handlungsnotwendigkeit erkannt und plant eine Life-Sciences-Strategie für den Pharma- und Gesundheitsstandort Österreich. Wir begrüßen diesen Schritt und bringen uns mit Vorschlägen ein.

medianet:
Welche Folgen kann die wirtschaftliche Situation der Krankenkassen auf den Arzneimittelbereich haben?
Dobrocky: Ein leistungsfähiges Gesundheitssystem braucht finanzielle Stabilität – keine Frage. Doch Einsparungen auf Kosten der Arzneimittelversorgung führen nicht zur Lösung, sondern zu einer Verstärkung des Problems: Sie gefährden den Zugang zu Therapien, hemmen Innovation und untergraben Investitionssicherheit. Arzneimittel müssen als Investition gesehen werden, nicht als Kostenfaktor, und zwar im Sinne von Betriebsmitteln. Ohne sie ist eine Versorgung unmöglich. Jeder will eine Versorgungsvielfalt und eine Versorgungssicherheit. Beides kann aber nicht isoliert passieren – zur Versorgungssicherheit gehört die Vielfalt und die Vielfalt wiederum schafft Sicherheit!

medianet:
Wie lässt sich diese erreichen?
Dobrocky: Langfristig trägt unsere Branche dazu bei, das System durch wirksame Therapien, chronische Krankheitskontrolle und Prävention zu stabilisieren. Wichtig ist dabei, sowohl für die Patienten wie auch die Industrie und andere Partner im Gesundheitssystem, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit zu schaffen. Es fließt sehr viel Geld ins System und innerhalb des Systems – die Effizienz dieser bereits vorhandenen Finanzierungsströme und -flüsse zu heben, das ist ein ganz zentraler Ansatz.

medianet:
Die Politik hat im Spitalsbereich ein Bewertungsboard neue, teure Therapien geschaffen. Wie beurteilen Sie dieses System nach den ersten Erfahrungen?
Dobrocky: Das Bewertungsboard ist grundsätzlich ein Schritt hin zu mehr Transparenz und einer etablierten Systematik bei der Bewertung von Arzneimitteln. Entscheidend wird aber sein, wie es in der Praxis agiert: Es muss wissenschaftlich fundiert, innovationsfreundlich und im konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten arbeiten. Nur dann kann es seiner Rolle als Instrument zur Qualitätssicherung, nicht als Hürde für medizinischen Fortschritt, gerecht werden.

medianet:
Konkret?
Dobrocky: Wir sehen hier nach wie vor noch nicht gelöste Fragen beziehungsweise Verbesserungspotenziale, etwa bei der Zusammensetzung des Boards, bei der Einbindung indikationsspezifischer Expertise, der fehlenden Koppelung einer positiven Anwendungsempfehlung an eine Finanzierungslösung, das Risiko der Einschränkung der Therapiehoheit der behandelnden Ärzte und in der Frage, wie der Zugang zu Therapien während laufender Verfahren sichergestellt wird. Hier braucht es Nachschärfungen, damit das Board nicht unbeabsichtigt zur Verzögerung oder Einschränkung des Zugangs zu innovativen Therapien führt. Das könnte insbesondere bei seltenen Erkrankungen oder hochspezialisierten Behandlungen der Fall sein.

medianet:
Reden wir noch über das globale Umfeld: das Modell der Blockbuster hat sich überholt – dadurch kommen vor allem niedrigpreisige (Massen-)Medikamente unter Druck. Welche Folgen kann das auf die Versorgung haben?
Dobrocky: Richtig. Die Versorgung mit häufig eingesetzten, bewährten Medikamenten steht zunehmend unter Druck. Nicht, weil diese Arzneimittel an Bedeutung verlieren – im Gegenteil. Sondern weil ihre Preise vielfach unter den Produktionskosten liegen. Das betrifft Generika ebenso wie bestimmte Nischenprodukte. Die Folgen sind Engpässe, Produktionsverlagerungen und eine Erosion der industriellen Basis in Europa. Um gegenzusteuern, braucht es wirtschaftlich tragfähige Rahmenbedingungen, gezielte Versorgungssicherungsstrategien und eine stärkere Anerkennung des Werts etablierter Therapien. Also ein Gegensteuern mit realistischen Preisen, die Produktion und Lieferfähigkeit langfristig sichern. Dafür braucht es faire Rahmenbedingungen und ein klares politisches Bekenntnis.

medianet:
Kann Österreich im Bereich der Forschung von den aktuellen Entwicklungen in den USA profitieren? Kann es dort zu einem Brain-Drain kommen?
Dobrocky: Die Entwicklungen in den USA – etwa politische Unsicherheiten oder Einschränkungen bei der Forschungsfreiheit – könnten dazu führen, dass sich Forschende nach stabileren Standorten umsehen. Das ist eine Chance für Europa und auch für Österreich, wenn wir aktiv handeln. Derzeit ist Österreich als Forschungsstandort solide, aber international nicht führend. Genehmigungsverfahren dauern zu lange, und es fehlt an gezielten Anreizen für forschungsstarke Unternehmen. Auch beim Zugang zu Risikokapital für Start-ups gibt es strukturelle Schwächen. Was es braucht, ist ein forschungsfreundliches Gesamtpaket: schnellere Verfahren, eine gestärkte Forschungsprämie, gezielte Talentförderung und mehr Risikokapital. Nur so kann aus einem möglichen Brain-Drain ein echter Brain-Gain werden.

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