••• Von Katrin Grabner
Wir werden immer älter. Von Jahr zu Jahr steigt die Lebenserwartung in Österreich – ein Zeichen für eine gute Gesundheitsversorgung und ein gesünderes Leben. Wurden Frauen 1991 im Schnitt 79 Jahre alt, waren es 2019 schon 84 Jahre. Bei Männer ist die Lebenserwartung im selben Zeitraum von 72,3 auf 79,3 Jahre gestiegen. Je älter wir werden, desto eher steigt aber auch das Risiko altersbedingter Gebrechen. Demenzerkrankungen gehören zu den gefürchtetsten davon. Laut Zahlen der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft (ÖAG) und des Sozialministeriums leiden zwischen 100.000 und 140.000 Menschen in Österreich an einer demenziellen Erkrankung, bis zum Jahr 2050 soll sich diese Zahl mehr als verdoppeln.
Das wird nicht nur für die Betroffenen und deren Angehörige eine große Herausforderung, sondern auch für unser Gesundheitssystem. „Die Betreuung ist viel aufwendiger als bei anderen Patienten mit Pflegebedarf”, weiß Kornelia Rümmele-Gstrein, diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und Expertin für Methoden und Konzeptentwicklung im Bereich Wohnraumgestaltung bei Demenz. Der Betreuungsaufwand hänge dabei vom Stadium der Krankheit ab, ambulante Betreuung sei nur möglich, wenn tagsüber eine gute Betreuung garantiert werde.
Umdenken bei Therapie
Außerdem problematisch: Bisher war Demenz ein Thema der Altenbetreuung. Die Diagnostik der verschiedenen demenziellen Erkrankungen sowie deren Behandlung war und ist nach wie vor oft schwierig (siehe Textbox auf Seite 63). „Selbst wenn bewiesen ist, dass jemand an Alzheimer-Demenz leidet, werden die therapeutischen Konsequenzen meist als gering eingeschätzt”, erklärt die Demenzforscherin Elisabeth Stögmann von der Medizinischen Universität Wien das langsame Fortschreiten von Forschungen in diesem Bereich. Spezielle Zentren, die sich auf diesen Teil der Medizinforschung konzentrieren, gibt es in Österreich nur wenige.
Diagnose dank Bio-Marker
Möglicherweise wird sich das aber bald ändern (müssen). Denn in den USA erhielten gerade sowohl ein neuer Alzheimer-Test als auch ein neues Alzheimer-Medikament von der US-Arzneimittelbehörde FDA Zulassungen.
Der als einfach und günstig angepriesene Test soll bei Personen ab 55 Jahren zum Einsatz kommen, wo er zwei Bio-Marker der Alzheimer-Krankheit nachweisen könne, nämlich die Proteine Beta-Amyloid und Tau, deren Ablagerungen im Zuge der Krankheit zum Absterben der Gehirnzellen und zum Schrumpfen des Gehirns führen können.
Und auch in Österreich identifizierte eine Forschungsgruppe des Gottfried Schatz Forschungszentrums der Medizinischen Universität Graz einen Bio-Marker, der helfen könnte, zwischen Alzheimer und Frontotemporaler Demenz (FTD) – auch Morbus Pick genannt – zu unterscheiden.
Bahnbrechende Erkenntnis
Für die Alzheimer-Forschung besonders spannend ist laut Stögmann allerdings das vor Kurzem von der FDA zugelassene Medikament. Es enthält den Antikörper Lecanemab, der das erwähnte Beta-Amyloid im Gehirn einfängt und so verhindert, dass sich Ablagerungen bilden. So könne ein Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung um 30% verzögert werden. Je länger man das Medikament nimmt, desto besser die Ergebnisse. Für Elisabeth Stögmann ist die Entdeckung „bahnbrechend”. „Lecanemab ist eine interessante Substanz. Es ist das erste Mal, dass ein Amyloid-Antikörper in einer Studie zu Alzheimer klinische Verbesserungen zeigt”, erklärt Stögmann die Signifikanz der Studienergebnisse.
Die FDA vergab in diesem Fall sogar eine beschleunigte Zulassung – so können Medikamente bei Krankheiten, für deren Behandlung es ein unerfülltes Bedürfnis gebe, eingesetzt werden, obwohl weiterhin umfangreichere Testreihen durchgeführt werden. Die Entscheidung führte allerdings zu Kritik, weil es in Testreihen zu Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen und Blutungen im Gehirn gekommen war. Damit im Zusammenhang stehende Todesfälle sind nicht bestätigt, Ende Dezember erschien allerdings im Fachmagazin Science ein Beitrag, wonach möglicherweise drei Todesfälle im Zusammenhang mit der Therapie vorgekommen seien. Die Forschenden selbst schrieben im New England Journal of Medicine, dass die Sicherheit der Behandlung in längeren Studien weiter untersucht werden müsse.
EMA prüft Zulassung
Auch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) sowie die zuständige Behörde in Japan prüfen derzeit eine Marktzulassung. Laut Stögmann ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Medikament auch in Europa zugelassen werde, „sehr hoch”. Von einer Heilung von Alzheimer könne aber nicht die Rede sein, warnt die Demenzforscherin. Eine mögliche Zulassung gelte wahrscheinlich nur für Betroffene in frühen Krankheitsstadien, die erst geringe Einbußen haben, und auch nur solche, wo die Alzheimer-Demenz nachgewiesen ist.
Viele offene Fragen
Genau hier würde das österreichische Gesundheitssystem vor Herausforderungen gestellt werden. Nur wenige Zentren bieten detaillierte Untersuchungen an, die Demenz-Diagnostik wurde lange nicht vorangetrieben. Der sogenannte PET-Nachweis, ein aufwendiger Test, der zeigt, ob eine Person unter Alzheimer-Demenz leide oder nicht, werde in den wenigsten Ländern routinemäßig durchgeführt. Laut Stögmann muss sich das ändern.
Sollte das vom US-Unternehmen Biogen zusammen mit dem japanischen Pharmaunternehmen Eisai entwickelte Medikament wirklich zugelassen werden, brauche es eine funktionierende Infrastruktur. „Die Frage ist dann, unter welchen Bedingungen dieses Medikament verabreicht wird”, sagt Stögmann. Die Substanz müsse intravenös verabreicht werden und das alle zwei Wochen. Dazu brauche es die passende Infrastruktur, genügend Personal, und auch die Frage der Bezahlung müsse laut der Demenzforscherin vorher noch geklärt werden. Bis die Normalbevölkerung die Vorteile der (inter-)nationalen Forschungsfortschritte spüren würde, würde es also noch etwas dauern.