••• Von Evelyn Holley-Spiess
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschreibt Burn-out als Syndrom aufgrund von „chronischem Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet wird”. Begleitet werde der Zustand von einem Gefühl von Erschöpfung, einer zunehmenden mentalen Distanz zum eigenen Job und verringertem Leistungsvermögen. Eine aktuelle wissenschaftlichen Studie der Med Uni Wien zu den psychischen Erkrankungen in Österreich gibt Aufschluss über die konkrete Lage hierzulande. Demnach zeigen mehr als 40% der heimischen erwachsenen Bevölkerung Anzeichen eines Burn-out, acht Prozent sind bereits krank. Nach Einschätzung des Psychiaters Michael Musalek ist das Problem in der Wirtschaft allerdings noch nicht ganz angekommen. „Ein großer Teil sagt: ‚Das sind Menschen, die persönliche Probleme oder Beziehungsprobleme haben.'”
Drei Schritte ins Burn-out
Dieser Darstellung widerspricht der Experte vehement. Musalek, Leiter des Instituts für Sozialästhetik und Psychische Gesundheit der Sigmund Freud Privatuniversität (SFU), beschreibt die Entstehung von Burn-out als Trias: Im Stadium 1 kommt es zu Erschöpfungszuständen, einer Leistungsreduktion und zu Entfremdungstendenzen. „Man fühlt sich fremd gegenüber seinen Arbeitskollegen, gegenüber seiner Arbeit und schließlich gegenüber sich selbst.” Betroffen seien gerade die Leistungswilligen. „Sie nehmen sich dann auch Arbeit nach Hause mit, die Freizeit wird immer ‚dünner'.” Ein anderes Phänomen sei „eine erhöhte Reizbarkeit. Was uns früher oft nur ein wenig böse gemacht hat, macht uns plötzlich sehr böse”, beschreibt der Psychiater. Zu diesem Zeitpunkt seien die Betroffenen zwar noch gesund. Wird aber nicht gegengesteuert, folgt der Schritt ins Stadium 2. „Hier geht Burn-out bereits mit körperlich objektiv nachweisbaren Veränderungen einher. Das sind vor allem erhöhter Blutdruck, erhöhte Herzfrequenz, beginnende Schlafstörungen und Spannungszustände”, skizziert Musalek. Stadium 3 hat schließlich Krankheitsbedeutung, weil es zu starken und lang andauernden Erschöpfungszuständen kommt, die in schwere Depressionen übergehen können.
Die Situation am Arbeitsplatz hat entscheidenden Einfluss darauf, ob dieser Kreislauf in Gang gesetzt wird oder nicht. Denn es sind vier Faktoren, die die Entstehung von Burn-out befeuern. „Viel arbeiten allein gehört nicht dazu”, lässt Musalek aufhorchen. Vielmehr seien fehlende positive Rückmeldungen, also die Würdigung guter Leistung sowie ein schlechtes, vergiftetes Arbeitsklima und außerdem eine empfundene unfaire Behandlung an der Entstehung von Burn-out beteiligt. Die vierte – und laut Forschungen – schwerwiegendste Komponente beschreibt der Psychiater wie folgt: „Es geht darum, dass das eigene Wertesystem mit dem Wertesystem des Arbeitsplatzes nicht zusammenpasst, ich also Dinge tun muss, die für mich nicht in Einklang zu bringen sind.” Dabei stünden oft ethisch-moralische Fragen im Zentrum.
Der Griff zu Suchtmitteln
Zu Beginn würden Mitarbeiter oft noch versuchen, mit „Alltagsdoping” über die Runden zu kommen – einerseits mit dämpfenden Substanzen wie Alkohol, um zur Ruhe zu kommen, andererseits mit Stimulanzien, beispielsweise Kokain oder Amphetamine, um zu entsprechen. Für Menschen, die sich in den ersten beiden Stadien befinden, stehen laut Musalek vor allem Beratung und Coaching im Mittelpunkt der Betreuung. Bei schwereren Fällen sind Antidepressiva und Psychotherapie notwendig. Und: „Die Ausfälle durch Krankenstände dauern Wochen, manchmal auch Monate.”
Damit es erst gar nicht so weit kommt, empfiehlt der Psychiater präventive Maßnahmen – und zwar am Arbeitsplatz. Die Beratung müsse dabei Top-down aufgesetzt werden. In einem ersten Schritt erfolge der Austausch mit dem obersten Management, danach werden Führungskräfte und Mitarbeiter eingebunden – nur so sei sichergestellt, dass sich auch an den Abläufen und Strukturen etwas ändert.