••• Von Martin Rümmele
Eine Milliarde Euro soll die Reform und Zusammenlegung der Sozialversicherungen bringen. So stellt es sich zumindest die Regierung vor. Wie das bei einem gesamt Verwaltungsaufwand von knapp 500 Mio. € pro Jahr in der Krankenversicherung gelingen soll, ohne bei den Leistungen zu kürzen, kann noch niemand genau sagen. Zu Kürzungen werde es nicht kommen, hat Sozial- und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) mehrfach versichert. Weil sie aber gleichzeitig die Leistungen harmonisieren will, fürchten die Krankenkassen explodierende Kosten. Der Grund: Die Ankündigungen der Leistungsharmonisierung bei gleichzeitigem Ausschluss von Kürzungen freut vor allem die Ärzte. Sie wollen in den Honorarverhandlungen mit der neuen Kassenspitze auf eine Angleichung auf dem jeweils höchsten Niveau drängen. Und das wird viel Geld kosten. Bei Gesamtausgaben von fast vier Mrd. € für ärztliche Leistungen in der Krankenversicherung erwarten Beobachter Mehrkosten im dreistelligen Millionenbereich; dazu kommt, dass sich auch die Länder mehr Geld wünschen für die Finanzierung ihrer Spitäler.
Konjunktur wird zum Risiko
Ein anderes Problem lauert bereits in der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung: Lässt wie von Wirtschaftsforschern erwartet die Konjunktur nach, drückt das auch auf die Einnahmen der Krankenkassen. Gleichzeitig steigen erfahrungsgemäß in solchen Zeiten die Ausgaben, weil Druck, Ängste und Krankenstände bei den Beschäftigten zunehmen.
Womit sich auch das nächste versteckte Problem bei den Kassen zeigt: Die Zahl der psychischen Erkrankungen nimmt massiv zu. Nach Schätzungen von Experten sind bis zu 18% der Bevölkerung betroffen – das wären fast 1,6 Mio. Menschen. Die Versorgung in diesem Bereich ist allerdings schlecht. Therapeuten kämpfen noch immer um Psychotherapie auf Krankenschein, Psychiater und Psychologen fehlen – nicht zuletzt aufgrund der fehlenden Kassenvergütungen und niedrigen Honorare. Wird die Versorgung hier ausgebaut, kostet das zusätzlich Geld.
Pflegefinanzierung offen
Noch größer ist die Hürde allerdings in der Pflege. Wie berichtet, will die Regierung hier bis Jahresende eine Lösung präsentieren, wie die wachsende Zahl alter und hochbetagter Menschen künftig versorgt werden soll. Zur Diskussion stehen in der Finanzierung eine private Pflegeversicherung oder eine staatliche Finanzierung. Denkbar ist aber auch eine Finanzierung im Sozialversicherungsbereich – das würde sich für die Regierung nicht im Budget niederschlagen. Das Thema Pflege bilde neben der Digitalisierung und der Steuerentlastung einen weiteren wesentlichen Arbeitsschwerpunkt der Bundesregierung im Jahr 2019, bekräftigte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Ziel der Regierung sei es, eine nachhaltige Finanzierung sicherzustellen und die Pflegenden zu unterstützen. Er wolle an dieses Thema nicht ideologisch herangehen, weshalb man sich bewusst entschieden habe, einen ordentlichen Dialog mit allen Stakeholdern zu führen und Modelle in anderen Staaten genau zu analysieren. Notwendig sei auch eine bessere Organisation der Pflege und ein bedarfsorientiertes Angebot. Das Steuergeld müsste bestmöglich eingesetzt und die Qualität sichergestellt werden. Derzeit beziehen rund 450.000 Menschen Pflegegeld, rund 940.0000 Angehörige arbeiten in deren Betreuung.
„Staat hat genügend Geld”
Die SPÖ spricht sich für eine Finanzierung der Pflegeleistungen aus öffentlichen Budgetmitteln aus, eine Pflegeversicherung lehnt sie dezidiert ab. Die Einführung einer Pflegeversicherung nach einem Sozialversicherungsmodell würde eine zusätzliche Belastung von rund 1.400 € pro Jahr für jeden Versicherten bedeuten, rechnete SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner bei einer Parlamentsdebatte vor. Der Staat habe genügend Geld, um die Pflege zu finanzieren, der Sozialstaat sei dieser Herausforderung mit Sicherheit gewachsen.
Immer mehr alte Menschen
„Unsere Lebenserwartung steigt – wir werden statistisch gesehen alle zwei Jahre um drei Monate älter, und der Fortschritt in der Medizin trägt dazu entscheidend bei”, betont Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres. Diese Entwicklung stelle die Gesellschaft bereits jetzt vor große Herausforderungen bei der Betreuung der älteren Mitbürger und werde es in Zukunft noch verstärkt tun. Allein in Österreich werde die Zahl der pflegebedürftigen Personen im Jahr 2030 bei ungefähr einer Mio. Menschen liegen. Szekeres: „Die großen gesellschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahre werden sich aus diesen Gründen um die Themen Pflege und Betreuung im Alter, Altern in Würde sowie um den Umgang mit chronischen Alterserkrankungen wie Demenz drehen.” Schon jetzt sind 30% aller Pflegefälle dement oder haben demenzielle Symptome. „Neben den diesbezüglichen ethischen, sozialpolitischen und versorgungstechnischen Aspekten ist die Frage der Finanzierung des zunehmenden Aufwands in allen Bereichen der Pflege eine essenzielle Frage, der sich vor allem die Politik stellen muss”, sagt Szekeres. Schon jetzt werden in Österreich jährlich mehr als 4 Mrd. € für pflegebedürftige Menschen ausgegeben – nicht einberechnet sind dabei jedoch die Aufwendungen für jene Österreicher, die von Angehörigen privat gepflegt werden.