Bitterer Risikococktail
© Inverto
Philipp Mall, Managing Director bei Inverto.
INDUSTRIAL TECHNOLOGY Redaktion 17.06.2022

Bitterer Risikococktail

Eine aktuelle Inverto-Studie zeigt: Unternehmen leiden unter Lieferausfällen, steigenden Preisen und damit Zeitnot. Dadurch ist der Ausbau digitalen Risikomanagements ins Stocken geraten.

WIEN / KÖLN. Feuer löschen, statt in Brandschutz investieren – damit lassen sich die Resultate einer aktuellen Risikomanagementstudie von Inverto, eine auf Einkauf und Supply Chain Management spezialisierte Unternehmensberatung, auf den Punkt bringen. 83 Einkaufsverantwortliche, Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum und Großbritannien, nahmen an der Studie teil. Rund die Hälfte von ihnen stammt aus den Industriebranchen Chemie, Konsumgüter, Automotive sowie Maschinen- und Anlagenbau.
Neun von zehn Befragten waren im vergangenen Jahr 2021 von Lieferausfällen betroffen. Dennoch stagnierte die Zahl derer, die in strategisches Risikomanagement und entsprechende digitale Lösungen investierten. „Von unseren Kunden wissen wir, dass die ständig neu auftauchenden Lieferprobleme und die hohe Inflation extrem viel Zeit und Ressourcen gebunden haben. Dadurch war für Planung und Weiterentwicklung kein Freiraum mehr“, sagt Philipp Mall, Managing Director bei Inverto und verantwortlich für die Studie. Künftig wollen die Studienteilnehmenden das Thema jedoch proaktiver angehen: 89% erwarten, dass das Risikomanagement in Zukunft eine gewichtigere Rolle spielt als zurzeit.

Doch dass die Entscheider in den kommenden Monaten mehr Zeit haben, um sich um Planung und Implementierung einer Strategie und flankierender Software zu kümmern, sei nicht absehbar. Denn durch den Ukrainekrieg habe sich die Versorgungslage weiter verschlechtert. So würden die Sicherung der Versorgung und das Beschränken von Preissteigerungen bis auf Weiteres die dominante Rolle im Risikomanagement spielen: „Liefersicherheit hat mit über 90 Prozent Priorität vor allen anderen Themen“, stellt Mall fest. Die massiv steigenden Einkaufspreise beunruhigen 77% der Befragten – der Anteil hat sich im Vergleich zur Vorjahresstudie um 46 Prozentpunkte mehr als verdoppelt.

Die Sache mit den Lieferketten…
Das Lieferkettengesetz, das für Anwendung der UN-Nachhaltigkeitsregeln in der Supply Chain sorgen soll, spiele für knapp die Hälfte der Befragten eine Rolle (44%). Die Mehrheit von ihnen setzt zurzeit konkrete Maßnahmen um. Dazu zählen zum Beispiel direkte Gespräche mit Lieferanten sowie die Einbindung von Standards in das eigene Risikomanagement und die Definition von Maßnahmen bei Nichteinhaltung. 33% der Studienteilnehmer sagten, das Lieferkettengesetz spiele für sie keine Rolle. Experten raten jedoch auch jenen, die noch nicht von den Regelungen betroffen sind, zur Vorsorge: Kunden, die die Neuregelung anwenden müssen, fordern von ihren Lieferanten Konformität. Zudem hat jetzt auch die Europäische Union einen Gesetzentwurf zum Schutz von Umwelt- und Menschenrechtsstandards in der Lieferkette vorgelegt. Dieser fällt schärfer aus als die UN-Nachhaltigkeitsregeln in der Supply Chain und betreffe damit einen weitaus größeren Kreis von Unternehmen.

… und der Nachhaltigkeit
Bei Nachhaltigkeitsrisiken spiele die Reduktion des eigenen CO2-Fußabdrucks für die befragten Unternehmen die wichtigste Rolle (70%), gefolgt von Umweltschäden durch Produktionsmethoden (51%) sowie die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten (42%), so die Studie. Transparenz in der Lieferkette sei die zentrale Voraussetzung, um diesen Risiken zu begegnen. Auf dieser Basis lassen sich Nachhaltigkeitsrisiken in die Lieferantenbewertung integrieren und Maßnahmen definieren. Die Bewertung von Lieferanten und Warengruppen sollte sowohl in die Beschaffungsstrategie als auch in das Risikomanagement einfließen.

Kostenfragen
Angesichts der drastisch gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise sei es aktuell nahezu unmöglich, Preissteigerungen zu verhindern. Komplett entgehen können Einkäufer den Kostensteigerungen nicht. Mall rät aber zu Wachsamkeit und strategischem Vorgehen: „Unternehmen sollten die Preisforderungen ihrer Lieferanten hinterfragen, nicht jede Erhöhung ist in ihrem Umfang gerechtfertigt.“ Sogenannte Cost Break Downs, bei denen ein Vorprodukt in seine Einzelteile zerlegt wird und diese dann bewertet werden, können Anhaltspunkte geben. Auf dieser Basis können Preismodelle mit Lieferanten vereinbart werden, sodass bei sinkenden Preisen die Entlastung direkt spürbar ist.
Um die Aufwärtsspirale zumindest zu bremsen, sollten Einsparpotenziale zum Beispiel bei nicht strategischen Gütern, aber auch durch technische Optimierungen („Design-to-Cost“) oder Bedarfsoptimierungen gezielt gesucht und ausgenutzt werden. „So lassen sich Preissteigerungen ausbalancieren und die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen“, erklärt Mall.
Trotz aller Belastungen rät Mall dringend, das Risikomanagement weiter auszubauen und digitale Lösungen zur Steuerung zu nutzen: „Investitionen in Brandschutz sind immer besser als Feuer löschen.“ (hk)

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