Digitalisierung der Logistik kommt langsam in Schwung
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INDUSTRIAL TECHNOLOGY 06.11.2015

Digitalisierung der Logistik kommt langsam in Schwung

Die Branche bereitet sich auf die Zukunft vor, fehlendes Know-how und Geld sind größte Hindernisse für mehr Investitionen.

••• Von Britta Biron

Als wesentliches Bindeglied zwischen Unternehmen, Zulieferern und Kunden, Rohstofflagern und Verarbeitern kommt der Logistik natürlich auch beim nächsten Evolutionsschritt der Wirtschaft, jenem der Vernetzung sämtlicher Player und Produkte, eine wesentliche Rolle zu.

Für Michael ten Hompel, Leiter des Fraunhofer Instituts für Materialfluss und Logistik IML und Professor für Förder- und Lagerwesen an der TU Dortmund, ist es daher nicht nur notwendig, dass Logistik und IT künftig enger zusammen- arbeiten.
„Statt mit den Systemen zu leben, die die Software-Industrie uns anbietet, muss die Logistik zu der führenden Instanz in der Software-Produktion werden. Dies kann nur durch einen radikalen Wandel in der Software-Entwicklung gelingen. Wir müssen in Deutschland künftig Software produzieren wie Autos – zielgerichtet, informationseffizient und ökonomisch”, so der Logistikexperte

Mehr Forschung

Sein Institut geht dabei mit gutem Beispiel voran und hat bereits vor einem Jahr gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Software und Systemtechnik ISST ein Innovationszentrum für Logistik und IT gestartet, wo beide Institute gemeinsam an branchenspezifischen Software-Lösungen arbeiten.

Aber auch andere Fraunhofer-Institute widmen sich Logistik-Themen. So hat etwa jenes für Photonische Mikrosysteme IPMS jetzt ein kontaktloses, in den Fahrersitz integriertes EKG entwickelt, mit dem das Herz-Kreislaufsystem der Lkw-Fahrer überwacht wird, um bei Übermüdung oder medizinischen Notfällen das Fahrzeug vollautomatisch und kontrolliert zum Stehen zu bringen.

Digitalisierte Verkehrsnetze

Auch auf politischer Ebene treibt man die Digitalisierung in der Logistik voran. Mit der Begründung, dass „ein effizienterer elektronischer Informationsaustausch den Schlüssel zur Optimierung des Güterverkehrs darstellt, und zwar durch die Vereinfachung von Verwaltungsverfahren, die Nachverfolgbarkeit von Frachtsendungen und optimierte Fahrpläne und Verkehrsflüsse”, beschloss die EU-Kommission diesen April die Einsetzung einer Expertengruppe für die Digitalisierung in Verkehr und Logistik. Das aus maximal 110 Personen aus den verschiedensten Transport- und Logistiksektoren bestehende Gremium wird derzeit noch zusammengestellt und soll künftig die Kommission in ihren weiteren Entscheidungen beraten.

In den Unternehmen geht man das Thema deutlich praxisorientierter an.
Wie weit man dabei bereits ist, mit welchen Hindernisse die Betriebe zu kämpfen haben, wie viel investiert wird und welche Auswirkungen auf Geschäftsmodelle und Arbeitsweise die Digitalisierung haben wird, damit beschäftigt sich eine Reihe aktueller Umfragen und Studien; die wichtigsten Erkenntnisse daraus hat medianet hier zusammengefasst.
So rechnen die von der BVL kürzlich befragten Manager und Logistik-Fachleute aus Handel, Industrie, Logistik-Dienstleistung und Wissenschaft damit, dass sich 47% aller Arbeitsplätze in der Branche (aktuell sind das allein in Deutschland rund 3 Mio.) durch die Digitalisierung ändern werden.
Was den eigenen Arbeitsplatz betrifft, erwarten 60% mehr Effizienz, fast genauso viele (58%) Erleichterungen durch zentrales Datenmanagement. 52% freuen sich auf den Wegfall monotoner Aufgaben, 51% auf eine bessere Kommunikation von Standorten, Abteilungen und Mitarbeitern. 47% geben an, dass ihre Arbeit schneller und komplexer wird, und 45% sehen höheren Qualifizierungsbedarf bei sich selbst.

Qualifizierung notwendig

Die überwiegende Mehrheit der Befragten glaubt zwar, dass in ihrem Unternehmen die richtigen Fachkräfte vorhanden sind, um den Herausforderungen der Digitalisierung in der Logistik zu begegnen, aber etwas mehr als die Hälfte sieht die Notwendigkeit, hier noch personell aufstocken zu müssen. Immerhin ein Fünftel sagt, dass mit dem vorhandenen Personal die kommenden Herausforderungen nicht zu bewältigen sein werden.

Was die Meinung zum Ausbildungsstand des Nachwuchses von Universitäten, Berufs- und Fachhochschulen betrifft,gehen die Meinungen der Befragten – je nach Branchen – recht weit auseinander.

Innovative Technologien

Während 85% der Logistikdienstleister und immerhin die Hälfte der Industriemanager mit dem fachlichen Know-how des Nachwuchses zufrieden sind, sind es im Handel lediglich 39% . Der Grund liegt vermutlich darin, dass in diesem Sektor die Umwälzungen durch den eCommerce besonders groß sind. Generell sehen aber so gut wie alle Befragten in Qualifizierungsmaßnahmen der Belegschaft die zurzeit wichtigste Aufgabe in Sachen Digitalisierung. Erst danach folgt die Anschaffung bzw. Entwicklung digitaler Steuerungssysteme, Datenbanken und Software.

Ein Beispiel dafür ist das G-com von Grenzebach. Basis des Systems sind mobile Regale, die von kleinen Robotern, den „Carrys”, unterfahren, angehoben und vollautomatisch zur Pick-Station transportiert werden. Die Regale sind in ihrer Aufteilung völlig variabel und können somit Artikel unterschiedlichster Abmessungen und Gewichte sowie hängende Konfektion lagern. Die Steuerung der Carrys erfolgt über die Fleetmanager-Software. Laserpointer, Put-to-Light-Technologie sowie Scanner in Verbindung mit einem Display unterstützen die Mitarbeiter an der Pick-Station.
Eingesetzt wird das Systemseit einem Jahr im Frankfurter Logistikcenter der BLG Logistik für das Retourenmanagement des Arbeitskleidungsherstellers engelbert strauss; dafür wurde BLG Logistik vor Kurzem mit dem ­Deutschen ­Logistikpreis ausgezeichnet.

Top-Thema der Branche

Laut einer Umfrage von Ernst & Young ist fast ein Viertel der T&L-Unternehmen der Überzeugung, dass für ihr Geschäft digitale Technologien schon heute eine sehr große Rolle spielen, und 29% rechnen für die Zukunft mit einer Zunahme. 36% haben dafür heuer Investitionen geplant. Für die gesamte Branche hat die Studie dafür ein Volumen von insgesamt 33 Mio. € errechnet. Damit liegt die T&L-Branche aber nur im Mittelfeld. Im Branchenvergleich ist die Quote der Unternehmen, die große Hürden für weitere Investitionen sehen, mit 42% dagegen sehr hoch. Am fehlenden Geld, wie etwa in der Energiebranche, liegt es allerdings weniger. Denn nur knapp ein Fünftel der Betriebe gab finanzielle Gründe an, warum man die Digitalisierung nicht stärker forciert.

Mehr Investitionen

Eine mögliche Erklärung dafür liefert eine Umfrage von PwC unter 200 Logistikunternehmen in Europa: 50% der Studienteilnehmer geben an, dass ihnen noch eine Big-Data-Strategie fehlt, und bei 47% liegt es am mangelnden Know-how.

Daher ist erst bei knapp einem Fünftel der Unternehmen Big Data bereits Teil der Wertschöpfung und Grundlage der Geschäftsprozesse; 35% haben sich noch nicht mit dem Thema auseinandergesetzt, wovon 70% das auch in Zukunft nicht ändern wollen.
Im Moment wird Big Data vor allem in den Bereichen Transport- und Streckennetzmanagement sowie in Finanzen und Controlling zu je rund 30% genutzt. Business Intelligence wird in diesen Bereichen ebenfalls vorrangig eingesetzt, vor allem zur Sammlung von Unternehmensdaten (76%) und für das Reporting (65%).
Nachholbedarf für Business Intelligence besteht bei der Datenanalyse zur Entscheidungsfindung und Steuerung sowie beim Echtzeit-Reporting. Die Mehrheit der Unternehmen verzichtet dabei bislang auf standardisierte Software-Lösungen, obwohl diese ein großes Kosteneinsparpotenzial bieten.

Kostenvorteile nutzen

„Gerade die Optimierung der Transport- und Streckennetzplanung durch Data Analytics hat für die Branche hohe Relevanz”, so Dietmar Prümm, Leiter des Bereichs Transport und Logistik bei PwC. „Auf der Kostenseite können reduzierte Wartezeiten der Fahrer und ideale Betankungsintervalle der Fahrzeuge hohe Einsparungen bringen. Und je besser die Kapazitätsauslastung ist, desto höher die Renditen. Auch hierbei kann Data Analytics durch Laderaum- und Routenoptimierung deutliche Wettbewerbsvorteile bringen.”

Als wichtigsten Grund für den Einsatz von Big Data nennen 34% der deutschen Logistikunternehmen vor allem die mögliche Kostensenkung, während für die europäischen Mitbewerber die Gewinnung neuer Kunden an erster Stelle steht (37%). Die Aussicht auf neue Geschäftsmodelle ist lediglich für 8% der Befragten das Hauptmotiv für den Einsatz von Big Data.
Auch wenn die Logistik das Thema Digitalisierung als essenziell für den wirtschaftlichen Erfolg erachtet, wird aber noch zu wenig getan
„Offenbar unterschätzen die Unternehmen, wie gravierend die neuen Technologien zur Datenanalyse die Branche verändern werden. Wer jetzt nicht die Weichen stellt, wird im Wettbewerb zurückfallen”, mahnt Prümm.

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