MANNHEIM/WIEN. Sorgen bei den Herstellern, Freude bei den Verbrauchern: Der Wegfall der EU-Zuckermarktordnung vor einem Jahr hat den Markt kräftig durcheinander gewirbelt. "Das ist kein Grund zum Feiern", fasst Günter Tissen, Geschäftsführer der deutschen Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker, zum Jahrestag die Stimmung in der Industrie zusammen.
Fast 50 Jahre lang hatte die Verordnung Mindestpreise für Zuckerrüben und Produktionsquoten vorgeschrieben. Nach mehreren Reformschritten war zum 1. Oktober 2017 das endgültige Aus für den regulierten Markt gekommen - was den Herstellern, wie beispielsweise in Österreich der Agrana, nun zu schaffen macht, war aus Sicht der Kunden längst überfällig.
"Wir waren immer gegen eine Abschottung des europäischen Zuckermarktes", sagt Torben Erbrath, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Süßwarenindustrie. Die künstliche Mengenverknappung durch die starre Zuckerquote habe in der Vergangenheit zu extrem hohen Preisen und Zucker-Engpässen geführt. Zudem sei die Versorgungssicherheit durch die bisherigen Regelungen gerade nicht garantiert gewesen.
In der EU ist der Preis einer Tonne Weißzucker auf das historische Tief von 360 Euro gefallen, 140 Euro weniger als vor einem Jahr. "Folglich weisen deutsche Produzenten auch deutliche Verluste aus", räumt Tissen ein. Gewinner sind hingegen die Verbraucher: Mussten sie vor zwei Jahren für ein Kilo Haushaltszucker 85 Cent ausgeben, so sind es heute 65 Cent.
34,7 Kilogramm Zucker verzehrt jeder EU-Bürger im Durchschnitt pro Jahr. In Österreich stehen rund 6.500 Rübenbauern einem Abnehmer gegenüber, der Agrana. In Deutschland haben rund 27.000 Zuckerrüben-Anbauer vier Abnehmer: Der europäische Marktführer Südzucker (Mannheim), der an der heimischen Agrana mit 42 Prozent beteiligt ist, Nordzucker (Braunschweig), die Nummer zwei, sowie Pfeifer & Langen (Köln) und die Tochter eines niederländischen Unternehmens in Anklam (Mecklenburg-Vorpommern). Die Konzentration ist Folge früherer politischer Entscheidungen, die von 2005 an zu einer Schließung der Hälfte der Zuckerfabriken in der EU geführt hatten.
Die Industrie trauert der Quotenregelung hinterher. "Das bisherige System hat hervorragend funktioniert", sagt Südzucker-Sprecher Dominik Risser. Auswüchse infolge von Überproduktion wie Fleischberge oder Milchseen in der EU habe es beim Zucker nie gegeben.
Nun setzt der intensivierte Wettbewerb den deutschen Branchenprimus mit einer Produktion von 5,9 Millionen Tonnen Zucker im Jahr unter Druck. Im laufenden Geschäftsjahr erwartet das Mannheimer Unternehmen erstmals einen größeren Verlust in Höhe von 100 bis 200 Millionen Euro in seiner Zuckersparte - nach einem Gewinn von 139 Millionen Euro im Vorjahr. "Das Ergebnis ist uns komplett weggerutscht", sagt Risser.
Südzucker will nun Kosten senken. In einer Veröffentlichung heißt es allerdings wenig zuversichtlich: "Der drastische Rückgang der Zuckerpreise auf ein historisch niedriges Niveau kann bei weitem nicht durch sinkende Herstellkosten und höhere Verkaufsvolumina ausgeglichen werden."
Auch beim Konkurrenten ist die Stimmung mies. Der Verfall der Zuckerpreise in der EU sei in dieser Größenordnung nicht erwartet worden, sagt Nordzucker-Kommunikationschef Christian Kionka. "Wir setzen alles daran, in diesem Geschäftsjahr einen Verlust zu vermeiden und eine schwarze Null zu schaffen." Für das nächste Geschäftsjahr werde sich ein Verlust aber kaum vermeiden lassen.
"Es gibt keinen Weg zurück, aber wichtige politische Rahmenbedingungen müssten verbessert werden", sagt Verbandsvertreter Tissen. So kritisiert er als Folge eine unfaire Konkurrenz. Denn auf dem Weltmarkt gebe es weiterhin vom Staat subventionierte Unternehmen, etwa aus Brasilien mit einem Weltmarktanteil von 40 Prozent, Thailand oder Indien. Es sei ein Unding, dass diese mit Dumping-Preise in den nun völlig liberalisierten EU-Zuckermarkt durchschlagen könnten.
Auch die Ausweitung der Anbauflächen in der EU habe nichts gebracht als weiteren Preisdruck in der EU, heißt es in der Branche. Denn der Export aus der EU sei nicht wirtschaftlich. Hinzu kämen Sonderregelungen innerhalb der Gemeinschaft. In elf Ländern zahlen die Unternehmen den Landwirten an die Fläche gekoppelte Preise - aus Sicht des Zucker-Verbandes eine Wettbewerbsverzerrung.
Doch andere halten die Beschwerden der Zuckerindustrie für Klagen auf hohem Niveau. "Wir glauben schon, dass die Zuckerindustrie ungeachtet aller Unkenrufen gut gerüstet ist für den Wettbewerb und überleben wird", sagt Geschäftsführer Erbrath vom Süßwarenverband. Und Michael Theurer, FDP-Chef in Baden-Württemberg und Vizevorsitzender der Bundestagsfraktion, begrüßt das Ende eines "planwirtschaftlichen" Systems, auch wenn das bei dem einen oder anderen Unternehmen zu Anpassungsschwierigkeiten führe. "Das Preissignal ist das richtige Instrument, um Angebot und Nachfrage auszugleichen", sagt er. (red)
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