Milliardenschweres Investitionsprogramm
© APG/Ricardo Herrgott
INDUSTRIAL TECHNOLOGY Redaktion 03.11.2023

Milliardenschweres Investitionsprogramm

Vorstand Gerhard Christiner erklärt das APG-Zukunftsnetz und nimmt Politik, aber auch Gesellschaft in die Pflicht.

••• Von Helga Krémer

Das Fundament für die versorgungssichere Energiewende Österreichs ist eine ordentliche Strom­infrastruktur. Klingt logisch, ist es auch. Sie ist Voraussetzung, um die Klima- und Energieziele des Landes zu erreichen. Diese sind klar festgelegt: Bis 2030 soll der gesamte Stromverbrauch Österreichs von rund 80 TWh aus erneuerbaren Energien stammen bzw. die gesamte erneuerbare, installierte Leistung von rund 36.000 MW managebar sein. Bis 2040 gilt es, Österreich klimaneutral zu machen.

Hauptakteurin in diesem Zusammenhang ist die Verbund-Tochter Austrian Power Grid (APG), die kürzlich ein neun Mrd. € schweres Investionsprogramm auf den Tisch legte.

Rien ne va plus …

Das Netz stoße zunehmend an seine Belastungsgrenze, man sei an einem Kipppunkt angelangt, sagte Gerhard Christiner, Vorstand der APG, bei der Präsentation des Programms. Denn ein aktueller Befund zeige deutlich: Das überregionale, heimische Stromnetz kratzt heftig an seiner Kapazitätsgrenze, dem stetigen Ausbau der Erneuerbaren sei Dank. Quasi die Kehrseite der Medaille. Die Leitungs- und Übertragungsnetze sind am Limit. „Zusätzliche Photovoltaik beispielsweise macht dann keinen Sinn mehr, weil wir die Kapazitäten nicht mehr haben”, warnt Christiner.

Stromsystem am Anschlag

Das Bestandsnetz der APG sowie die aktuellen gesetzlichen bzw. energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen seien den Anforderungen nicht gewachsen. Die größten Brocken sind neben den fehlenden Anschlusskapazitäten für die erneuerbaren Energien etwa der stetig steigende Redispatchbedarf bzw. Engpassmanagement mit Kosten von 125,6 Mio. € (Stand Ende September 2023) im Vergleich zu 94 Mio. € im Gesamtjahr 2022.

Die spürbare Strompreisdifferenz zwischen Österreich und dem benachbarten Ausland richtet Jahr für Jahr einen volkswirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe an – gerechnet mit dem 2022er-Preisspread von rd. 26 €/MWh kommt der auf rd. zwei Mrd. €. Dazu kommen noch das fallweise notwendige Abriegeln von Wasserkraft- oder Windkraftwerken zur Vermeidung von Netzüberlastungen, viel zu lange Genehmigungsverfahren, mangelhafte digitale Vernetzung der Akteure des Energiesystems sowie das Fehlen einer abgestimmten Gesamtsystemplanung inkl. einer Speicherstrategie – ein grausiger Mix, den die APG nur zum Teil selbst lösen kann.

Schlüssel für Energiewende

Im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Netzplanung hat APG die aktuellen Defizite analysiert, die hohen Anforderungen an das APG-Netz eingearbeitet und die notwendigen Investitionsprojekte – als Weiterentwicklung ihrer Bestandsinvestitionen – geplant.

Bis 2034 wird mit diesem neun Mrd. € schweren Investitionsprogramm die Trafo­kapazität auf 57.000 MVA nahezu verdoppelt, die Anzahl der Umspannwerke um rd. 39% auf 90 bzw. der Trafos um rd. 74% auf 165 erhöht. Weiters erfolgt eine gesamtsystemische Verstärkung der West-Ost-Achse durch den Neubau, die Umstellung oder die Verstärkung von rd. 500 km 380-kV bzw. rd. 400 km 220-kV an Stromleitungen. Damit wird die Basis geschaffen, die rd. 500.000 Produktionsanlagen physikalisch und digital managebar zu machen.

Projekte der APG

Zusätzlich zu den aktuell bereits in Verfahren befindlichen Projekten wie u.a. das Projekt sichere Stromversorgung Zentralraum Oberösterreich, die Salzburg- bzw. Deutschland-Leitung kommen der Netzraum Kärnten bzw. der Projektcluster Österreich Ost als Schlüsselprojekte hinzu.

„Mit diesem Investitionsprogramm geben wir nicht nur die netztechnische Antwort auf die energiewirtschaftlichen Ziele bis 2030ff, sondern setzen auch wesentliche Impulse für Österreich als Wirtschafts- und Lebensstandort. Dem Ausbau des Stromnetzes bzw. aller Projekte der APG muss höchste Priorität eingeräumt werden”, betont Christiner und erklärt: „Jede verfahrenstechnische Verzögerung oder Unsicherheit ist nicht nur eine Gefahr für die Versorgungssicherheit, sondern verzögert auch den Netzanschluss der Erneuerbaren oder die Dekarbonisierung der Industrie.”

Beispiel Zentralraum OÖ

Das aktuelle Beispiel des Projekts „Sichere Stromversorgung Zentralraum Oberösterreich” – statt des bestehenden, mehr als 70 Jahre alten und den zukünftigen Anforderungen nicht mehr entsprechenden 110-kV-Netzes ist die Errichtung eines 220-kV-Versorgungsrings geplant – zeige mehr als deutlich, dass die bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen der Bedeutung von Netzprojekten zur Dekarbonisierung bzw. der Energiewende nicht gerecht würden. „Dies muss umgehend saniert werden – die Beschlussfassung des Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) sowie des Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz (EABG) sind somit das Gebot der Stunde”, fordert Christiner.

Umwelt- vor Klimaschutz

Hier ein Auszug aus dem betreffenden Zeitplan:

Gemeinsam mit den Projektpartnern Netz OÖ und Linz OÖ wurde das Projekt „Sichere Stromversorgung für den Zentralraum OÖ” am 29. November 2021 zur Umweltverträglichkeitsprüfung eingereicht.
Am 9. März 2023 erfolgte der positive UVP-Bescheid des Landes Oberösterreich. Gegen den Bescheid wurden bei der oberösterreichischen Landesregierung insgesamt drei Beschwerden eingebracht. Über diese hat das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden. Das Verfahren liegt im Zeitplan – noch.
Anfang Juni 2023 wird die aufschiebende Wirkung von Beschwerden gegen den Bescheid seitens der OÖ-Landesregierung ausgeschlossen.
Am 6. Oktober 2023 entscheidet das Bezirksgericht Linz mit Beschluss, dass auf ersten von Maßnahmen betroffenen Grundstücken Beweissicherungen durch einen Sachverständigen durchgeführt werden dürfen.
Am 11. Oktober 2023 dann der Knaller: Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) anerkennt das hohe öffentliche Interesse an der Anbindung des Zentralraums, hält aber aus formal juristischen Gründen die aufschiebende Wirkung der Beschwerden aufrecht.

Ein herber Dämpfer

Zum Zentralraum Oberösterreich gehört übrigens auch die voestalpine und damit auch die zukünftige Stromversorgung ihrer geplanten Elektrolichtbogenöfen – für Österreichs größtes Klimaschutzprogramm ein herber Dämpfer. Stein des Anstoßes: ein Strommast. Er stünde auf einer Trockenwiese. Mast und Wiese decken auf ihre Art eine Diskrepanz in der heimischen Gesetzgebung auf: Was wiegt schwerer? Umweltschutz oder Klimaschutz? Es nämlich nicht dasselbe …

Rückenwind vonnöten

APG-Vorstand Christiner mahnt abschließend: „Das APG-Zukunftsnetz liegt auf dem Tisch. Wir wissen, was zu tun ist. Jetzt braucht es den dringend nötigen Rückenwind von Gesellschaft und Politik, damit alle Speicher-, Digitalisierungs- und Netzausbauprojekte im Sinne einer umgehenden versorgungssicheren Energiewende vom Plan in die Realität überführt werden können. Gelingt das nicht, steht die Zukunft Österreichs auf dem Spiel. Für den Wirtschaftsstandort Österreich wären die Folgen unabsehbar.”

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