Vicenza/New York/München. Über das Volumen des weltweiten Schmuckmarktes – für 2022 kursieren Werte zwischen 100 und 340 Mrd. € – herrscht Uneinigkeit unter den verschiedenen Marktforschungs- und Analyseunternehmen. Einerseits wegen der unterschiedlichen Berechnungsmethoden und Datenquellen, andererseits wegen der speziellen Marktstruktur.
Da gibt es zum einen die Marken der großen Luxuskonzerne – Tiffany, Bulgari, Fred, Chaumet und Repossi (LVMH), Cartier, Piaget, Van Cleef & Arples und Bucellati (Richemont), Harry Winston (Swatch Group), Boucheron, Pomellato und Qeelin (Kering). Über die gibt es durch die Geschäftsberichte – in denen steht die beiden letzten Jahre durchwegs ein Plus – recht fundiertes Zahlenmaterial, wenn auch keine Detailergebnisse.
Mit Ausnahme von Chanel und einiger weniger börsennotierter Firmen fehlen exakte Geschäftsdaten dagegen bei der großen Gruppe unabhängiger Marken. Zu diesen meist familiengeführten Betrieben gehören unter anderem Bucherer und Chopard (Schweiz), Wempe, Wellendorff, Niessing, Schaffrath, Capolavoro, Gellner oder Leo Wittwer (Deutschland), Marco Bicego, Nanis, Fope, Serafino Consoli oder Annamaria Cammilli (Italien), David Yurman (USA), Bigli (Belgien), Carrera y Carrera (Spanien), Mes-sika (Frankreich) oder Ole Lynggaard (Dänemark). Und dann gibt es noch die auf Einzelstücke und Kleinserien spezialisierten Juweliere und Schmuckdesigner.
Glänzende Geschäfte …
In einem Punkt sind sich die Marktbeobachter aber einig: Schmuck und vor allem der hochwertige boomt, gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten. Denn neben den hedonistischen Motiven – man will sich schmücken, sich etwas Schönes gönnen – und Statusdenken rückt der Anlagegedanke verstärkt in der Fokus der Konsumenten – Gold und Diamanten gelten nach wie vor als sichere Werte. Und auf die wird von den Konsumenten verstärkt gesetzt.
Neben den Zahlen der Luxuskonzerne zeigen das auch jene der Associazione Nazionale Orafi Argentieri Gioiellieri Fabbricanti (Federorafi), des Verbands der italienischen Schmuckindustrie. Diese ist die mit Abstand größte in der EU und weltweit nach China, Indien, den USA und Hongkong fünfgrößtem Exporteur edler Geschmeide. Anfang März wurden die – noch vorläufigen – Ergebnisse für 2022 veröffentlicht und sie sind äußerst positiv. Zwischen Jänner und November lagen die Exportumsätze bei knapp neun Mrd. € und damit um 22% über jenen der Vergleichsperiode 2021 bzw. um fast 41% über 2019. Eine steigende Nachfrage verzeichnete man mit Ausnahme von Hongkong in allen Märkten; besonders gut liefen die Geschäfte mit der Schweiz und den Vereinigten Arabischen Emiraten (jeweils +21,9%) sowie den USA (+13,9%). Für das Gesamtjahr geht man von einem Umsatz im Höhe von 10,9 Mrd. € aus.
… mit Gold & Edelsteinen
Auch die Aussichten für die weltweite Schmuckbranche sind – da sind die Analysten wenn auch nicht im Detail ebenfalls einer Meinung – glänzend: Für die nächsten Jahre werden Steigerungsraten zwischen fünf und zehn Prozent jährlich prognostiziert.
„Der italienische Schmuck erlebt derzeit einen großen Aufschwung und ist vor allem im Ausland sehr gefragt”, freut sich Marco Carniello, Global Exhibition Director Jewellery & Fashion bei der Italien Exhibition Group (IEG), Veranstalter einer der wichtigsten Branchenfachmessen in Europa, der VicenzaOro. Die konnte diesen Jänner wieder im gewohnten Rahmen und ganz ohne Pandemie-Beschränkungen stattfinden.
Mit 1.300 Ausstellern und etwa 25.000 Fachbesuchern, darunter 400 Einkäufer aus der ganzen Welt, war dieses Ausgabe der VicenzaOro, so Carniello, die bisher größte und erfolgreichste.
Dass in der Schmuckbranche trotz weiterhin hoher Inflation, den andauernden Ukrainekrieg, einem drohenden Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China sowie diverser anderer geopolitischer Problemfelder keine Krisenstimmung herrscht, hat sich auch an anderen Messeorten gezeigt.
Mit 802 Ausstellern und rund 24.000 Fachbesuchern ist die Inhorgenta, die Ende Februar in München stattgefunden hat, heuer zwar noch unter dem Vor-Corona-Niveau geblieben – ein voller Erfolg war sie, trotzdem. „Die Inhorgenta Munich ist fulminant zurück, internationaler denn je und eindrucksvoll bestätigt als wichtigste Geschäftsplattform der Uhren-, Schmuck- und Edelsteinbranche in Europa”, kommentierte Stefan Rummel, Geschäftsführer der Messe München, das Ergebnis.
Erfolgreiche Fachmessen
Im März erfolgte dann nach langer Corona-Pause der Neustart der vom Hong Kong Trade Development Council (HKTDC) veranstalteten Hong Kong International Jewellery Show und Hong Kong International Diamond, Gem & Pearl Show.
Das fünftägige Messeduo verzeichnete mehr als 2.500 Aussteller und über 60.000 Einkäufer aus 130 Ländern rund um den Globus.
Sophia Chong, stellvertretende Geschäftsführerin des HKTDC, sagte: „Wir freuen uns über den überwältigenden Zuspruch von Einkäufern und Ausstellern zu den beiden Messen. Die lebhafte Atmosphäre, der rege Verkehr und die vollen Stände spiegelten den Nachholbedarf des globalen Schmuckmarkts nach drei Jahren sowie die starke Kaufkraft wider.”
Die steigende Nachfrage nach feiner Juweliersware wirft für die Hersteller aber auch Probleme auf. Ein immer drängenderes ist – wie in vielen anderen Branchen auch – die Personalknappheit, vor allem in den Handwerksberufen.
Der LVMH-Konzern hat sein Métiers d’Excellence Institute-Programm, mit dem seit 2014 in Frankreich Nachwuchs angeworben wird, im Sommer 2022 auf die USA ausgeweitet – mit dem Schwerpunkt Schmuckdesign und -herstellung. Die ersten acht Teilnehmer haben ihre Ausbildung, die auch verschiedene Praktika bei Tiffany beinhaltet, mittlerweile schon begonnen.
„Indem wir einer außergewöhnlichen Gruppe von Auszubildenden die Möglichkeit geben, von erfahrenen Handwerkern zu lernen, stellt Métiers d’Excellence sicher, dass diese Fähigkeiten an Berufsanfänger weitergegeben werden, und lehrt die Auszubildenden, die langjährigen LVMH-Standards der Exzellenz zu wahren”, so Gena Smith, Personalchefin bei LVMH North America.
Darüber hinaus hat Tiffany 2021 das About Love Scholarship-Förderprogramm auf afro-amerikanischen Colleges und Universitäten gestartet, das neben Pluspunkten in Sachen Inklusion und Diversität auch solche beim Recruitung bringen soll. Im laufenden Studienjahr erhalten 60 ausgewählte Studenten aus den Bereichen Kunst und Kommunikation an der Lincoln University in Pennsylvania, der Norfolk State University in Virginia, dem Bennett College in North Carolina, der University of Arkansas in Pine Bluff und der Central State University in Ohio ein Stipendium.
Mehr Engagement …
Problematisch ist die Personalsituation auch in der italienischen Schmuckindustrie, wie die aktuelle Federorafi-Statistik zeigt. Derzeit beschäftigen die rund 7.100 italienischen Schmuckhersteller etwa 30.600 Mitarbeiter, von denen nur 13% unter 30 Jahre sind, dafür aber mehr als die Hälfte in den nächsten zehn Jahren das Rentenalter erreichen wird.
36% der Betriebe würden ihre Belegschaft heuer gerne ausbauen, haben aber zunehmend Schwierigkeiten, die Stellen zu besetzen. Insgesamt werden, so die Schätzung der Branchenvertretung, gut 3.000 neue Mitarbeiter gebraucht.
Zu den gefragtesten Berufsgruppen gehören, so Claudia Piaserico, Präsidentin der Federorafi und Leiterin der Produktentwicklung beim Schmuckunternehmen Fope, Goldschmiede, Graveure, Gemmologen, Experten für 3D-Druck und CNC-Maschinen sowie Spezialisten für digitale Medien.
Knapp sind aber nicht nur fertig ausgebildete Fachkräfte, sondern auch Lehrlinge. Neben sinkende Geburtenraten ist das der Hauptgrund dafür, dass auch in Italien der Trend zum Hochschulstudium geht und gleichzeitig die Attraktivität der Lehre gesunken ist.
… im Recruiting …
„Im Land des ‚Made in Italy' haben viele Familien schon lange aufgehört, auf technisch-praktische Berufe zu setzen, was zu einem Mangel an Humankapital führt, einem wesentlichen Faktor in Exzellenzbereiche wie der Goldschmiede- und Schmuckindustrie”, sagt Daniele Grassucci, Gründer und Direktor von Skuola.net, mit sechs Mio. Unique Usern und 2,5 Mio. Followern über die wichtigsten Sozialen Netzwerke die größte Onlineplattform für Schüler und Studenten in Italien. Aber es gebe durchaus Hoffnung auf Besserung. „Glücklicherweise gibt es immer noch Jungen und Mädchen – immerhin fast ein Drittel der Gymnasiasten –, die sich ganz allgemein für eine Tätigkeit in der Schmuckbranche interessieren würden.”
Warum sich schlussendlich zu wenige dann tatsächlich für eine solche Ausbildung, die im wahrsten Sinne des Wortes glänzende Karrieremöglichkeiten bietet, entscheiden, liege am mangelnden Wissen darüber.
… von Nachwuchskräften
Schuld an diesem Informationsdefizit ist aber auch die Schmuckindustrie selbst, wie ihre Präsidentin zugibt. Man habe sich in der Vergangenheit auf die Produkte fokussiert und in der Kommunikation nach außen die Menschen, die sie herstellen, vernachlässigt.
Das soll sich jetzt ändern. „Wir haben in Zusammenarbeit mit VicenzaOro eine Partnerschaft mit Skuola.net ins Leben gerufen, um mit den Schülern, ihren Familien sowie Lehrern in Dialog zu treten, damit sie erkennen, wie interessant und leistungsfähig der Sektor für die persönliche Entwicklung und Entfaltung jedes Kindes ist.”
Zudem wurden erstmals alle Schulen und Institute mit Goldschmiedekursen in Italien erfasst – immerhin fast 40. Über eine neue Plattform sollen Angebot und Nachfrage in der Ausbildung künftig einfacher und besser abgeglichen werden. Außerdem fand auf der diesjährigen VicenzaOro ein Tag der offenen Tür statt, der ganz im Zeichen des Recruitings einer neuen Generation von Schmuckkünstlern und -handwerkern stand.
Dass sich mit den jetzt eingeleiteten Maßnahmen die Lage nicht in kurzer Zeit verbessern wird, ist den Initiatoren bewusst: „Der Weg ist lang und nicht ohne Schwierigkeiten, aber junge Menschen sind die einzige Zukunft für die italienische Goldschmiedebranche”, ist Piaserico überzeugt, dass deutlich stärker als bisher in den Nachwuchs investiert werden muss.
Produktion auf Hochtouren
Warenknappheit herrscht in den Schmuckgeschäften – ob im stationären Handel oder online – bisher trotzdem nicht. In den Ateliers wird eifrig gearbeitet, und dass die Personaldecke vielerorts dünn ist, tut der Kunstfertigkeit und Kreativität keinen Abbruch, wie ein Blick auf einige der jüngsten Neulancierungen zeigen.
Seit wenigen Tagen glänzt in den Geschäften von Bucherer die neue Rock Diamonds-Kollektion. Ihr Design setzt auf das Wechselspiel von klaren Linien und scheinbarem Chaos. Zentrales Element ist das Trapez, entweder mit kleinen Brillanten besetzt oder als entsprechend geschliffener Diamant. Die Serie umfasst verschiedene Ringe, Creolen, Ohrhänger, Ketten und Armreifen sowie ein opulentes Collier.
Cartier hat seine High Jewellery-Kollektion namens Beautés du Monde um vier exquisite Colliers ergänzt, für die unter anderem Vogelfedern und Fischflossen die Designinspirationen lieferten. Bei der Neuauflage der Grain de Café-Linie ist es – wie der Name schon vermuten lässt – die Kaffeebohne. Ihren ersten Auftritt in Gold hatte die nur auf den ersten Blick unscheinbare Frucht auf Anregung der damaligen Cartier-Kreativdirektorin Jeanne Toussaint im Jahr 1938.
Die französische Marke Messika, bekannt für einen unkonventionellen und jugendlichen Stil, stellt in der aktuellen Kampagne mit Supermodel Kendall Jenner und dem Tänzer und Schauspieler Alton Mason die Stücke der neuen D-Vibe-Linie in den Fokus. Neben zierlichen Ringen, Ketten und Armbändern – perfekt für das weiterhin trendige Schmuck-Layering – bietet die Serie auch mehrreihige Colliers und opulente Ringe.
Gold gibt’s genug …
Hochkarätige Neuzugänge gibt es unter anderem auch in Piagets High Jewellery Collection, darunter üppig mit Brillanten im Marquise- und Baguetteschliff besetzte Ohrringe.
In der Haute Joaillerie ist Louis Vuitton zwar ein Newcomer – die erste Kollektion wurde im Sommer des Vorjahres vorgestellt –, aber offenbar fest entschlossen, auch in diesem Sektor einen Spitzenplatz einzunehmen. Kürzlich wurde bereits die vierte Kollektion präsentiert.
Ebenfalls kein Mangel herrscht bei den edlen Rohstoffen, auf die die Schmuckindustrie angewiesen ist. Die Menge des frisch geschürften Goldes lag 2022 mit 3.612 t (+2%) fast auf dem Rekordniveau von 2018, und auch vom Recyclinggold, auf das die europäischen Hersteller aus Nachhaltigkeitsgründen immer stärker setzen, war mit 1.144 t (+1%) ausreichend vorhanden. Insgesamt hat die Schmuckindustrie im Vorjahr 2.086,2 t Gold gekauft, ein Rückgang von drei Prozent, der aber vor allem auf die niedrige Nachfrage aus China (–15% auf 571 t) zurückzuführen ist. Der Bedarf der europäischen Schmuckmarken ist um vier Prozent auf 71 t gestiegen, jener der US-Marken mit 144 t zwar leicht gesunken, aber dennoch deutlich über dem Wert von 2019.
… und auch Diamanten …
Und wie wirken sich die Wirtschaftssanktionen gegen Russland auf die Verfügbarkeit von Diamanten aus? Immerhin ist der teilstaatliche russische Alrosa-Konzern einer der größten Diamantenproduzenten der Welt und mit einem Marktanteil von rund 50% der wichtigste Lieferant kleiner Steine.
Diese Melée- und Punktsteine werden nicht nur von Schmuckmarken im unteren und mittleren Preissegment verwendet, sondern in großer Menge auch von den Luxusmarken benötigt, sei es für üppigen Pavéebesatz auf Schmuckstücken oder in der Uhrenindustrie als Indizes und zum Aufputz von Lünetten.
… sind keine Mangelware
Dass im vergangenen Jahr die Preise dieser Diamanten gestiegen sind, liegt natürlich an einem zu geringen Angebot. Dessen Grund ist aber nicht das Fehlen der Alrosa-Ware. Die findet weiterhin Abnehmer, etwa in China, Indien, Israel, Dubai oder auch Belgien. Vor wenigen Wochen ließ Alrosa-CEO Sergey Ivanov über die Nachrichtenagentur TASS wissen, man liege hinsichtlich der Produktionsmenge für 2022 mit rund 35,5 Mio. ct über Plan und werde auch bei den Finanzergebnissen die Ziele übertreffen.