Wien. Ob kleine Edelboutique, pompöser Luxus-Flagship oder eleganter Department Store – das Grundkonzept stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die industrielle Massenfertigung ihren Anfang nahm. Mit dem Aufkommen der vierten industriellen Revolution – Stichwort Digitalisierung – begann der traditionelle Handel zu schwächeln. Ob er tatsächlich ein Auslaufmodell ist oder „nur” neu erfunden werden muss, hat medianet mit Irmie Schüch-Schamburek, Inhaberin der Agentur Trendvision, besprochen.
medianet: Bisher hat das alte Konzept ja noch ganz gut funktioniert. Ist jetzt ein Ende in Sicht?
Irmie Schüch-Schamburek: Im engeren Sinne ja. Unser Konsumverhalten, das die Basis dieser Verkaufskonzepte war, wird sich in den nächsten Jahren massiv verändern. Die Umstrukturierung der Lebens- und Arbeitswelt, angefeuert unter anderem durch Digitalisierung, Klimadebatte und Pandemie, bedingt eine Neuorientierung der Marken und des Handels.
medianet: Welche Rolle spielt dabei der technische Fortschritt?
Schüch-Schamburek: Die Verschränkung von Online und Offline entwickelt sich rasant weiter. Sensorisch raffinierte, virtuelle Shoppingerlebnisse mit personalisierter Onlineberatung und Avataren werden schon in den nächsten Jahren die Notwendigkeit, ein Geschäft real zu besuchen, weiter minimieren.
medianet: Weshalb sollte man weiter ‚real' in ein Geschäft shoppen gehen?
Schüch-Schamburek: Der Schwerpunkt der Shop-Konzepte wird – so wie in der virtuellen Welt – mehr auf Unterhaltung und Beratung fokussiert sein und nicht mehr ausschließlich im reinen Verkauf von Produkten liegen. Einerseits geht es darum, soziale Kontakte zu pflegen, andererseits, da die Verkaufsberater vertrauensvolle Experten sind, die im Waren-Dschungel den Überblick haben, eine auf den Kunden genau zugeschnittene Vorauswahl zu treffen.
medianet: Wie genau könnte das aussehen?
Schüch-Schamburek: Der Shopping-Coach stellt für seine Kundinnen und Kunden, beispielsweise nach einem virtuellem Beratungsgespräch, eine Auswahl zusammen. Die muss nicht nur aus Artikeln des jeweiligen Shops bestehen, sondern wird durchaus auch um passende Artikel anderer Anbieter ergänzt. Softfacts der Produkte wie zum Beispiel Transparenz, Authentizität, Nachhaltigkeit oder ökologischer Fußabdruck, die die Kaufentscheidung immer stärker bestimmen, werden dabei natürlich berücksichtigt. Dank Body Scan-Daten haben die vom Coach ausgewählten Teile, die man dann vor Ort probiert, eine perfekte Passform – ein weiterer Pluspunkt. Eine kompetente Beratung ist auch bei Goods on demand, die erst nach individuellen Bestellungen gefertigt werden, ausgesprochen wichtig.
medianet: Wird es auch noch Shoppen ohne Termin geben?
Schüch-Schamburek: Es gibt etliche Konzepte für neuartige Hybridläden, die unterschiedlichste Sortimente sowie Dienstleistungen vereinen, die auch spontane Shoppingerlebnisse ermöglichen. Sei es, dass im Shop ein kleines Atelier integriert ist, in dem die angebotene Kleidung individualisiert, angepasst oder umgeändert werden kann, oder ein Concept Store, der zusätzlich einen Secondhand- oder Mietkleidungscorner beinhaltet. Auch branchenfremde Sortimente wie Kunst, Bücher, Beauty und eventuell sogar ein Café eignen sich zur Integration, ebenso Kooperationsvarianten mit Kunsthandwerk oder Manufakturen. Ganz nach dem Motto ‚Nur gemeinsam sind wir stark' prophezeien etliche große Trendagenturen den Megatrend, dass künftig mehr solcher Gemeinschaftsprojekte entstehen werden.
medianet: Bedeutet das, dass der Entertainmentfaktor beim Shoppen künftig noch wichtiger werden wird?
Schüch-Schamburek: Es könnten sich zum Beispiel mehrere Geschäfte zu besonderen Event Locations zusammenschließen – mit Pop-up-Kollektionen von lokalen Designern oder ‚Roadshow'-Modellen einer ‚Community'. Wichtig dabei sind auch die Designer-Persönlichkeiten hinter den Kreationen, die bei diversen Shopping-Events, in Präsenz oder aber auch virtuell ihre Modelle mit den Kunden austauschen.
medianet: Der stationäre Laden ist also kein Auslaufmodell.
Schüch-Schamburek: Genau. Und dafür sprechen im Wesentlichen drei Gründe. Erstens ist die Suche nach einem bestimmten Artikel, trotz entsprechender Algorithmen, immer noch sehr zeitaufwendig, insbesondere wenn man etwas Besonderes, Ausgefallenes oder Einzigartiges sucht. Zweitens ist es für Laien fast unmöglich, Produkteigenschaften rund um Themen wie Nachhaltigkeit, soziale Fairness oder dem ökologischen Fußabdruck umfassend zu recherchieren. Und drittens wird es trotz des raschen technischen Fortschritts so bald kein Computerprogramm schaffen, den persönliche Austausch und das sinnliche Erlebnis, die Waren zu spüren, zu sehen das Einkaufserlebnis mit allen Sinnen zu genießen, ersetzen können. Der stationäre Shop ist nicht nur ein Ort des Konsums, sondern auch der Begegnung, des Austauschs, wo man gerne bewusst Zeit verbringt. Und diese Funktion wird er behalten, wie in den guten, alten Zeiten. Für schnelles, funktionales Shoppen gibt es Online-Shopping.
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