„Alle wollen nur noch billige Lebensmittel!”
© Land schafft Leben
MARKETING & MEDIA Redaktion 10.11.2023

„Alle wollen nur noch billige Lebensmittel!”

Hannes Royer vom Verein Land schafft Leben redet im medianet-Interview Klartext: Billig ist teuer bezahlt.

••• Von Georg Sohler

Hannes Royer ist Bio-Bergbauer und Gründer des Vereins Land schafft Leben. Der Pod­caster und Keynote-Speaker klärt über Lebensmittel und deren Produktion auf und setzt sich dafür ein, dass unser Essen in der Gesellschaft wieder einen höheren Stellenwert erlangt. medianet hat ihn zum Interview über brennende Themen getroffen.

 

medianet: Wie geht es Österreichs Lebensmittelproduzenten im Jahr 2023?
Hannes Royer: Der Markt ist seit dem Angriff auf die Ukraine außer Rand und Band geraten, und das trifft den Lebensmittelhandel und somit die Landwirtschaft mit voller Wucht. Die explodierenden Treibstoffkosten betreffen auch die Bauern, die am Feld arbeiten, und die Logistik. Die Dünger- und Energiepreise sind hochgegangen. Vielen war wohl auch nicht bewusst, in welchem Ausmaß die Ukraine landwirtschaftliche Produkte exportiert. Dazu kommt die Inflation. Was mich dabei ärgert, ist, dass beim Thema Teuerung in Medien immer Lebensmittel gezeigt werden und nicht die Treibstoff- und Energiepreise.

medianet:
Was ist Ihre Erklärung dafür?
Royer: Wir müssen dreimal am Tag essen, da nimmt man jeden Cent mehr wahr. Aber die Teuerung geht eben vor allem von Gas- und Treibstoffpreisen aus, und wenn ich mir die Daten ansehe, hält das aber niemanden davon ab, weniger Auto zu fahren. Die Menschen meinen nun, der Lebensmittelhandel verdient sich eine goldene Nase. In Wahrheit sind aber die Energiepreise und steigende Lohnkosten verantwortlich.

Dafür ist das Thema Regionalität, das während Corona wichtig war, wieder in den Hintergrund getreten, und alle wollen nur noch Aktionen und billige Lebensmittel. Österreichs Haushalte geben rund zwölf Prozent des verfügbaren Einkommens für Lebensmittel aus, Italien und Frankreich um die 14 Prozent. Zur Erinnerung: Anfang der 70er-Jahre waren es noch rund 40 Prozent in Österreich. Wir sollten uns auch wieder mehr Zeit zum Essen nehmen, es als Kulturgut wahrnehmen. Bei unseren südlichen Nachbarn wird das Essen zelebriert, das ist eine andere Esskultur – und damit auch eine ganz andere Wertschätzung.


medianet:
Ihr Verein will nicht wertend über Lebensmittel aufklären. Wenn Sie sich nur ein Thema aussuchen würden, das Sie Konsumenten vermitteln wollen, welche wäre dies?
Royer: Wenn es um das Thema Lebensmittel geht, wird sehr viel Populismus betrieben. Ständig wird gesagt, dass Lebensmittel billiger werden müssen. Aber die Masse der Bevölkerung lebt so gut wie nie zuvor. Der ‚Welterschöpfungstag' in Österreich war dieses Jahr am 6. April – das heißt, wenn alle Menschen so leben würden wie wir in Österreich, dann wären all unsere Ressourcen für das ganze Jahr bereits aufgebraucht.

Wir müssen anders essen, weil umgekehrt machen wir uns ja auch Sorgen um das Klima. Billigste Lebensmittel und Klimaschutz, das geht sich nicht beides aus. Wir müssen wieder anfangen, unsere Lebensmittel viel bewusster zu konsumieren und darauf zu achten, wie sie produziert wurden.


medianet:
Ein Argument für billigere Produkte ist vonseiten einiger Stakeholder bis in die Politik, dass ‚das Schnitzel leistbar' sein muss. Ein gemischtes Faschiertes mit allerhöchsten Standards kostet 18 Euro pro Kilo, bei einem Diskonter weniger als die Hälfte. Wie schätzen Sie das ein?
Royer: Eines ist klar – Qualität gibt es nicht zum billigsten Preis. Aussagen wie ‚ein Recht auf billiges Fleisch' haben für mich keine Berechtigung. Hinter jedem Stück Fleisch steckt ein Tier, das dafür gestorben ist – und dementsprechend wertschätzend sollten wir diesem Lebensmittel gegenüberstehen. Billigstpreise und Aktionen sind keine Wertschätzung.

Auch wenn Fleisch für mich persönlich zu einer ausgewogenen Ernährung gehört, essen wir in Österreich deutlich mehr als aus gesundheitlicher Perspektive empfohlen wird. Weniger, dafür qualitativ hochwertig produziertes Fleisch aus klimaeffizienten Produktionssystemen zu essen, würde uns selbst, den Tieren und der Umwelt etwas Gutes tun. Und dieses Fleisch darf und soll auch mehr kosten.


medianet:
An Lebensmittel gibt es hohe Anforderungen – zu Recht. Fangen wir am Ende der Produktionskette an: Passen die Informationen, die die Konsumenten erhalten, oder müsste mehr vorgeschrieben werden, etwa Inhaltsstoffe, Allergene, Herkunft?
Royer: Es fehlt den Konsumenten meistens an Wissen. Das hat einerseits damit zu tun, dass viele Lebensmittel in Österreich vollkommen anonym sind. In der Gastronomie etwa erfahre ich nach wie vor nicht, woher die Lebensmittel auf meinem Teller kommen. Es ist aber auch ein strukturelles Problem, denn wenn man jetzt nicht gerade aus einem Elternhaus kommt, in dem Wert auf Lebensmittel und Ernährung gelegt wird, woher soll man diese Dinge denn wissen? Deshalb haben wir vor zwei Jahren die österreichweite Bildungsinitiative ‚Lebensmittelschwerpunkt' gestartet, im Rahmen derer wir Pädagogen dabei unterstützen, den Kindern und Jugendlichen Wissen über Lebensmittel, Ernährung und Konsum zu vermitteln. Denn je mehr ich darüber weiß, desto eher frage ich mich, was ich meinem Körper eigentlich zuführen will und welche Nährstoffe ich brauche, anstatt nur auf den Preis zu schauen. Toll ist ja auch, dass wir mit dem AMA-Gütesiegel etwas europaweit Einzigartiges haben. Es garantiert die österreichische Herkunft eines Lebensmittels, und das ist schon sehr viel wert.

medianet:
Das Gütesiegel ist aber, nicht nur in den letzten Monaten, hoch umstritten …
Royer: Ich bin ein scharfer Kritiker der AMA-Marketing. Die Werbebilder waren einfach wirklich irreführend, mit dem Schweinchen im Stroh oder auf der grünen Wiese. Diese Bilder passen nicht zur Realität. Aber die gesetzlichen Standards, die dahinterstehen, sind schon viel höher als in den allermeisten Staaten Europas.

In Polen, Rumänien oder Ungarn wird ein zehnfach höherer Antibiotikaeinsatz bei Monitorings nachgewiesen, in Spanien bei etwa der Schweinehaltung sind die Werte dreimal so hoch wie in Österreich. Bei den Puten haben wir gemeinsam mit Schweden als einzige Länder in der EU eine gesetzliche Regelung, was die Besatzdichte angeht. Das Fleisch aus anderen Ländern ist billiger, ja. Ein Stier aus Polen kostet aktuell ein Drittel weniger als der österreichische. Aber das Gütesiegel garantiert mir: geboren, gemästet, geschlachtet und verarbeitet in Österreich. Darüber hinaus werden zum Beispiel im konventionellen Bereich die AMA-Betriebe auch öfter kontrolliert als jene, die nicht unter dem Gütesiegel produzieren. Das AMA-Gütesiegel gehört natürlich auch weiterentwickelt – zum Beispiel etwa so wie in Deutschland, wo es auch eine Haltungskennzeichnung gibt.

 

medianet: Das Siegel ist aber auch deshalb umstritten, weil der Verein gegen Tierfabriken (VGT) in den letzten Monaten und Jahren einige, ich kann es nicht anders sagen, Grauslichkeiten aufgedeckt hat – auch bei AMA-Betrieben. Helfen oder schaden diese Aufdeckungen?
Royer: Wir wissen alle, wie schnell man fahren darf, und dass auf der Autobahn Tempo 130 kontrolliert wird. Dennoch fahren Menschen manchmal schneller, auch viel zu schnell. So ist das auch bei den Höfen. Dass Gesetzesverstöße aufgedeckt und geahndet werden, ist wichtig, die Art Weise, wie das passiert, ist meiner Meinung nach aber nicht immer zielführend. Denn schwarze Schafe gibt es immer, aber 99 Prozent der Bauern arbeiten sehr sorgfältig und kümmern sich gut um ihre Tiere – die gehen in diesen Skandalen aber völlig unter. Das halte ich nicht für sinnvoll. Ich habe mit großen Schlacht­betrieben gesprochen, die mir erzählt haben, dass sie über ­ihren Betrieb nachdenken, wenn sie sehen, was der VGT mit dem unbemerkten Eindringen und dem Installieren von Kameras aufdeckt. In einigen Betrieben sind Kameras und 24-Stunden-Überwachung mittlerweile Usus, außer natürlich in den Umkleiden und Toiletten.

Man darf dabei aber nicht vergessen, dass manche Arbeitskräfte in den Schlachthöfen nicht aus Österreich kommen. Sie haben teilweise einen ganz anderen Zugang zu Tieren als wir. Manche erzählen, dass sie das Wort ‚Tierwohl' nicht einmal kennen und es eh wurscht ist, weil das Tier sowieso stirbt oder schon tot ist. Hier hilft genaues Controlling, auch über Video, einen entsprechenden Umgang mit den Tieren zu gewähr­leisten bzw. schnell einzuschreiten, wenn einmal etwas nicht passt.


medianet:
Arbeitskräfte sind ein gutes Stichwort. Konventionelle Fleischproduktion ist hierzulande sehr spezialisiert, und vieles läuft maschinell ab. Die Verarbeiter müssen aus Mangel an heimischen Fachkräften oft ausländische Angestellte holen, weil ‚wir' es nicht machen wollen. Dabei betrifft Nachhaltigkeit ja viel mehr, etwa hinsichtlich Obst und Gemüse – Farmen in Spanien, aber auch hierzulande die Spargelstecherei – auch soziale Themen. Muss das mehr in den Fokus?
Royer: Genau. Mit dem Importieren von Waren kommt auch viel soziales Leid mit. Wenn ich nur daran denke, wie während Corona bekannt wurde, wie viele Tausend chinesische Wanderarbeiter das italienische Gemüse ernten, für sehr wenig Geld und ohne soziale Absicherung oder Kollektivvertrag! Bei dem Thema werde ich auch emotional, weil wir in Österreich regen uns über alles auf, aber bei dem Thema ist es uns scheißegal, ob die ägyptischen Frühkartoffeln mit Pflanzenschutzmitteln behandelt werden, die bei uns schon in den 60er-Jahren verboten wurden, oder wir indische Essiggurkerl, die von Kindern geerntet werden, im Regal stehen haben. Wenn wir dann diese Luxusdiskussionen führen, dass wir uns die Lebensmittel nicht mehr leisten können, sollte der eine oder andere einmal acht Stunden Gedärme aus Schweinen schneiden oder mit dem Gurkenflieger ernten … Diese Arbeiten möchte ja beinahe niemand mehr machen, jetzt werden aktuell sogar schon in der Mongolei Arbeitskräfte gesucht.

medianet:
Gut – wie kommen wir aus diesem ganzen Wahnsinn wieder raus?
Royer: Durch Bildung. Als ich in den 80er-Jahren aus der Schule heim zu meinen Eltern kam und gemeint habe, dass wir in der Schule gelernt haben, dass man den Müll trennen muss, haben die sich überhaupt nicht ausgekannt, weil man einfach alles gemeinsam weggeworfen hat. Heute kommt man gar nicht mehr auf die Idee, eine Glasflasche in den Plastikmüll zu werfen. Und dann braucht es natürlich Medien, die aufklärend berichten – und natürlich mehr Transparenz und Bewusstseinsbildung.

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