Die Lage am Papiermarkt wird zunehmend brisant
© Delfort
MARKETING & MEDIA Redaktion 18.02.2022

Die Lage am Papiermarkt wird zunehmend brisant

Ein Ende der heftigen Turbulenzen am europäischen Papiermarkt ist bis auf Weiteres nicht in Sicht.

••• Von Britta Biron

 WIEN. Kriminalistisches Interesse darf man bei den Lesern des Magazins Zeit Verbrechen voraussetzen. Ob sie durch die Lektüre allerdings auch einen überdurchschnittlichen kriminalistischen Spürsinn entwickelt haben, ist fraglich. Vermutlich hätten nur sehr wenige bemerkt, dass sich die aktuelle Ausgabe von den bisherigen in einem kleinen Detail unterscheidet: Das Papier ist ein wenig dünner. Chefredakteur Daniel Müller weist im Editorial auf diesen Umstand aber dennoch hin und nennt auch die Gründe dafür: die seit Monaten weltweit herrschende Papierknappheit, die durch streikbedingte Produktionsausfälle beim größten Papierhersteller Europas, der finnischen UPM, noch zusätzlich verschärft wird.

Außergewöhnliche Situation

Dass solche Interna auf diese Art publik gemacht werden, ist ungewöhnlich, zeigt aber auch die Brisanz der Lage, von der nicht allein Zeit Verbrechen, sondern die gesamte Verlags- und ­Druckbranche in Europa betroffen ist.

Abzuzeichnen begann sich das Dilemma ab Mitte des Vorjahres mit der wieder steigenden Nachfrage im Printsektor. Da diese höher als das verfügbare Angebot an Papier war, gingen die Preise nach oben. „Ende 2020 lagen die Durchschnittspreise für eine Tonne Papier noch auf unter 650 Euro. Das war zwar ein sehr niedriges Niveau, doch 2021 brachte eine massive Teuerungswelle, die schon bald über dem Vorkrisenniveau lag. Im Oktober erhöhten die Papierhersteller die Preise nochmals um 100 bis 150 Euro pro Tonne – auch bei bereits bestellter oder sogar schon ausgelieferter Ware”, so Gerald Watzal, Präsident des Verbandes Druck Medien Österreich, zu dieser unerfreulichen Entwicklung, deren Ende vorläufig noch nicht abzusehen ist. Für manche Papiersorten sind mittlerweile bereits Rekordpreise von 1.300 € pro Tonne fällig – und die Papierhersteller drehen weiter an der Preis­schraube.

So hat die britische The Navigator Company kürzlich angekündigt, dass holzfreie Naturpapiere ab 1. März zwischen acht und 15% teurer werden, Laakirchen Papier wird ab 1. April für grafische Papiere bei Neubestellungen und Zusatzmengen 100 € pro Tonne mehr verlangen, die deutsche Papierfabrik Palm hat ihre Kunden informiert, dass der Preis für das 45grammige Zeitungsdruckpapier ab 1. April auf 750 € pro Tonne angehoben wird, und Inapa, einer der größten Papiergroßhändler in Europa, wird ab März – und mittlerweile seit April 2021 zum siebenten Mal – die Preise für das gesamte Sortiment ­anpassen.

Preistreiber Energie

Hauptargumente der Papierindustrie für die Teuerungswelle sind die Energiepreise, die 300 bis 400% (!) über dem Niveau von vor einem Jahr liegen, und dass gleichzeitig auch die Preise für Zellstoff, Altpapier und Chemikalien, die Hauptrohstoffe für die Papierherstellung, massiv gestiegen sind. Dazu kommen höhere Transportkosten aufgrund geringer Kapazitäten sowohl bei Seecontainern als auch Lkw.

Doch Papier ist nicht nur teuer, sondern es hapert zunehmend auch an der Verfügbarkeit, vor allem bei grafischen Papieren. Viele und vor allem große Papierhersteller verlagern seit einigen Jahren ihre Kapazitäten in Richtung Karton und Verpackungspapier – angesichts der voranschreitenden Digitalisierung von Medien und Werbung und den wachsenden Verpackungsbedarf im boomenden E-Commerce eine logische Entscheidung. Gleichzeitig aber ist das auch ein Schuss ins eigene Knie, da man damit einem ganzen Kundensegment die Basis entzieht. Denn Print ist – Totgesagte sind meist doch recht langlebig – noch nicht auf dem Abstellgleis.

Laut dem aktuellen Focus-Werbebarometer (medianet hat darüber berichtet) ist der Sektor das mit Abstand größte Stück (40,6%) des heimischen Werbekuchens. Auch der heimische Buchmarkt, der im Vorjahr ein Umsatzplus von 4,2% gegenüber 2020 erwirtschaftet und damit das Vorkrisenniveau sogar leicht übertroffen hat, ist zu 60% analog. „Österreich ist ein Printland und Österreichs Zeitungen haben im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern durchaus respektable Reichweiten”, sagt Gerald Grünberger, Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Zeitungen (VÖZ). Dass sich die ungute Gemengelage aus steigenden Preisen und sinkenden Mengen am Papiermarkt in absehbarer Zeit ändern wird, hält er für wenig wahrscheinlich: „Für heuer gehe ich grundsätzlich von einer ähnlichen Situation wie im vergangenen Jahr aus, eine Entspannung ist – wenn überhaupt – frühestens im zweiten Halbjahr absehbar. Sollten die Rohstoff- und Energiepreise weiter steigen und die Produktionskapazitäten zurückgehen, wird sich dies mittelfristig natürlich auch auf die Preisgestaltung der Verlage niederschlagen.”

Doch so einfach wie die Papierhersteller hat man es bei Preiserhöhungen nicht – schließlich können Leser und Anzeigenkunden leicht zu digitalen Alternativen wechseln.

Schwammige Zusagen

Heftig unter Druck ist natürlich auch die Druckbranche trotz insgesamt guter Auftragslage.

„Seit Anfang 2021 wurde es Woche für Woche schwieriger, verbindliche Zusagen zu Preisen und Lieferzeiten seitens der Papierindustrie zu bekommen”, so Markus Purker, Geschäftsführer der Druckerei Bösmüller. „Im Zwölfmonatsvergleich bewegen sich die Preissteigerungen im Rohstoff-Bereich bisher bei bis zu 100%, im Durchschnitt liegen sie bei plus 60%. Dadurch können manche Produkte in der bislang gewohnten Form nicht mehr hergestellt werden und für andere ist die wirtschaftliche Grundlage verloren gegangen.”
Betroffen seien alle Geschäftsbereiche im Akzidenz- und Werbedruck und egal ob Bogen- oder Rollen-Ware. Im Verpackungsbereich seien kurzfristige Produktionen nur dort möglich, wo man auf lagernde Kartonsorten zurückgreifen kann.

„Kurzfristige (neue) Projekte sind zumeist nur dann möglich, wenn der Kunde bereit ist, sich beim Papier auf alternative Qualitäten einzulassen”, so Purker weiter. „All das kann einen vermehrten Budgettransfer, weg von Print, hin zu digitalen Medien beschleunigen.”

Unklare Lieferzeiten

Mit „Hamsterkäufen” aller gängigen Papiersorten konnte man beim Druckunternehmen Marzek Etiketten+Packaging bisher die meisten Aufträge erfolgreich erfüllen und auch den einen oder anderen Neukunden an Land ziehen. Die Lager aufzufüllen, werde, so CEO Michael Wareka, aber zunehmend schwierig: „Für einige Materialien wurden Lieferzeiten von vier Monaten angekündigt, und der endgültige Preis kann nicht bei der Bestellung, sondern erst zum Zeitpunkt der Lieferung festgelegt werden. Daher können wir auch den eigenen Kunden den endgültigen Verkaufspreis und die Lieferzeit nicht zu 100% garantieren, insbesondere wenn zwischen Angebotslegung und Lieferung mehrere Wochen liegen. Aufgrund der teilweise eingeschränkten Materialverfügbarkeit musste unser Verkauf bereits angewiesen werden, in bestimmten Segmenten aktuell keine Neukunden zu kontaktieren.”

Besonders stark von Materialknappheit und Preissteigerungen betroffen sind laut Wareka die Produkte Faltschachteln, Feinkartonage, Vollpappe sowie Bogen-, Nassleim- und Selbstklebeetiketten. Bei Rundumetiketten sowie der Flexiblen Verpackung gibt es dagegen derzeit noch kaum Versorgungseng­pässe.

Engpässe meistern

Speziell für Industriekunden wurde das Vendor Managed Inventory ausgebaut, bei dem Marzek Etiketten+Packaging die geplanten Bedarfs-, Lager- und Bestandsdaten seiner Kunden automatisiert übernimmt. „Unsere Kunden können auch in herausfordernden Zeiten das Thema Supply Chain für Etiketten und Verpackungen vollständig uns überlassen. Mit unseren hochmodernen Anlagen und Lagerhaltungen garantieren wir, dass sie Etiketten und Verpackungen genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort haben, um ihre Warenauslieferungen optimal zu gestalten”, erklärt Wareka. „Gerade jetzt bringt dies für unsere Kunden einen großen Vorteil, weil wir den Beschaffungsmarkt laufend genau beobachten und so proaktiv disponieren können.”

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL