„Es ist ein völlig neuer Markt“
© Katharina Schiffl
Im Interview blickt Corinna Drumm – seit 15 Jahren Geschäftsführerin des VÖP – auf diese Jahre zurück.
MARKETING & MEDIA Dinko Fejzuli 21.11.2025

„Es ist ein völlig neuer Markt“

Corinna Drumm im Talk über die Branche und ihre ersten 15 Jahre beim Privatsenderverband VÖP.

Seit 15 Jahren ist Corinna Drumm Geschäftsführerin des Verbands Österreichischer Privatsender (VÖP). Im Interview spricht sie aus diesem Anlass über strukturelle Ungleichgewichte im Markt, fehlende politische Unterstützung, Überregulierung und die Herausforderungen durch internationale Plattformen und Künstliche Intelligenz.

medianet: Frau Drumm, Sie führen nun seit 15 Jahren den Verband der heimischen Privatsender VÖP als Geschäftsführerin. Wenn Sie diese Zeit Revue passieren lassen – wie hat sich der Privatradiomarkt in Österreich entwickelt?
Corinna Drumm: In diesen 15 Jahren hat sich der Markt grundlegend verändert. Anfangs ging es noch darum, Strukturen aufzubauen und eine starke Stimme für Privatsender zu entwickeln. Mittlerweile hat sich die Branche toll entwickelt. Heute sind die Sender technisch, organisatorisch und redaktionell auf einem sehr hohen Niveau. Aber die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich massiv verschlechtert. Die Erlöse stagnieren oder sinken, die Kosten steigen, und gleichzeitig nimmt der Wettbewerbsdruck ständig zu. Während der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch Gebühren abgesichert ist, müssen sich die Privatsender im freien Markt behaupten – und das in einem Umfeld, in dem immer mehr Werbegelder zu internationalen Plattformen abwandern.

medianet: Sie sprechen den Umstand an, dass mittlerweile mehr Werbegeld ins Ausland abfließt, als der gesamte heimische Markt generieren kann. Welche Folgen hat das?
Drumm: Das zentrale Problem ist das fehlende Level Playing Field. Globale Plattformen wie Google, Meta oder TikTok entziehen dem österreichischen Markt erhebliche Werbegelder, ohne hier Steuern zu zahlen oder zur Medienförderung beizutragen. Diese Plattformen unterliegen keinerlei inhaltlicher oder regulatorischer Verantwortung. Nationale Anbieter hingegen müssen hohe Auflagen erfüllen, Beiträge leisten, Meldepflichten einhalten – und all das unter schwierigeren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Das ist eine massive Wettbewerbsverzerrung, die den heimischen Medienstandort nachhaltig schwächt.

medianet: Welche Auswirkungen hat das für die privaten Radios und Fernsehsender?
Drumm: Viele arbeiten mittlerweile an der Grenze der Wirtschaftlichkeit. Der Markt ist härter geworden, und die Einnahmen reichen oft nicht mehr aus, um den Aufwand für redaktionelle Qualität, Technik und Personal langfristig zu tragen. Wenn Werbegelder in großem Stil zu internationalen Konzernen abfließen, fehlen sie in den heimischen Redaktionen. Das hat Folgen für die journalistische Vielfalt und letztlich auch für die demokratische Meinungsbildung. Wir reden hier also nicht nur über Wirtschaft, sondern über demokratiepolitische Verantwortung.

medianet: Die fordern seit Jahren faire Wettbewerbsbedingungen. Wie groß ist die Bereitschaft der Politik, hier gegenzusteuern?
Drumm: Wir sprechen seit Langem über gleiche Regeln für alle Marktteilnehmer, aber es passiert zu wenig. Die österreichische Medienpolitik reagiert zu langsam, und auf EU-Ebene ist die Situation kaum besser. Nationale Anbieter werden immer stärker reguliert, während internationale Plattformen weitgehend unberührt bleiben. Die Politik ist gefordert, den Medienstandort Österreich als Ganzes zu denken und zu stärken.

medianet: Welche Rolle spielt dabei die Medienförderung?
Drumm: Eine sehr wichtige. Hier wurden Schritte in die richtige Richtung gesetzt – etwa die Einführung der Privatrundfunkförderung vor 15 Jahren, die Digitaltransformationsförderung 2022 oder medienpolitische Sondermaßnahmen während der Pandemie. Trotzdem sind die Förderungen für ein so kleines Land wie Österreich zu niedrig. Wir brauchen langfristige Planungssicherheit, damit Investitionen in Technologie und Journalismus auch wirklich möglich sind.

medianet: Medienminister ­Babler hat angekündigt, mehr Geld für die heimischen Medien in die Hand nehmen zu wollen. Welche Hoffnungen verbinden sie mit dieser Ankündigung?
Drumm: Zusätzliche Förderungen für den Medienstandort sind in der aktuell besonders schwierigen Situation gut und richtig. Der Bundesminister muss dabei aber den gesamten Medienmarkt im Blick behalten, also TV, Radio und Print. Denn jeder dieser Sektoren trägt in unterschiedlicher und auch unverzichtbarer Weise zur Medienvielfalt und zum demokratischen Diskurs bei.

medianet: Der österreichische Markt gilt als besonders stark reguliert. Ist das für den privaten Rundfunk heute noch zeitgemäß?
Drumm: Viele Bestimmungen stammen aus einer Zeit, als Frequenzen knapp und lineare Strukturen dominant waren. Heute stehen wir im globalen Wettbewerb mit digitalen Plattformen, die keinerlei vergleichbaren Vorgaben unterliegen. Es ist absurd, dass ein kleiner Privatsender in Österreich detaillierte Auflagen zu Werbung, Programminhalten oder Lizenzbedingungen erfüllen muss, während internationale Streamingdienste völlig frei agieren. Wir brauchen dringend eine Modernisierung des Rechtsrahmens – mehr Flexibilität, weniger Bürokratie und mehr Vertrauen in die Eigenverantwortung der Anbieter.

medianet: Auch auf europäischer Ebene scheint es nur schleppend voranzugehen.
Drumm: Die EU hat in den letzten Jahren zwar beachtliche Schritte gesetzt – Digital Markets Act, Digital Services Act, European Media Freedom Act und andere – aber dennoch gelingt es seit Jahren nicht, die Marktmacht der globalen Plattformen wirksam zu begrenzen. Nationale Anbieter werden hingegen immer stärker reguliert, während internationale Plattformen kaum betroffen sind. Solange diese Ungleichheit besteht, bleibt der Wettbewerb verzerrt und die Medienvielfalt gefährdet.

medianet: Wie stabil ist der Radiomarkt aktuell wirtschaftlich?
Drumm: Der österreichische Privatradiomarkt verzeichnet hohe Reichweiten und ein starkes Vertrauen des Publikums. Gleichzeitig spüren wir natürlich die konjunkturelle Unsicherheit, die Inflation und die Zurückhaltung im Werbemarkt. Viele Häuser haben in den letzten Jahren stark investiert – in Studios, Innovationen, Streaming, Podcasts, Datenmanagement. Diese Investitionen müssen sich nun amortisieren, und dafür brauchen wir ein Umfeld, das Wachstum ermöglicht, nicht behindert.

medianet: Welche neuen Herausforderungen bringt KI?
Drumm: KI wird den Medienmarkt tiefgreifend verändern und tut das bereits. Natürlich kann sie in der Produktion, z.B. beim Schnitt oder bei Transkriptionen, helfen. Aber sie verstärkt die bestehenden Ungleichgewichte, weil sie vor allem von jenen genutzt wird, die über riesige Datenmengen verfügen – also wieder von den globalen Plattformen. Gleichzeitig entstehen neue Risiken: Fragen des Urheberrechts, der Haftung, der Transparenz. Wir brauchen klare Regeln, um sicherzustellen, dass Inhalte nachvollziehbar und herkunftstransparent bleiben und geistiges Eigentum geschützt wird.

medianet: Welche Rolle spielt der VÖP in diesem Umfeld?
Drumm: Der Verband ist heute mehr denn je eine starke Interessenvertretung für die privaten Rundfunkunternehmen. Wir vertreten über 50 Radio- und TV-Anbieter in Österreich – von großen nationalen Marken bis zu lokalen Sendern. Wir sind Ansprechpartner für Politik, Regulierungsbehörden und Öffentlichkeit und bringen die Perspektive der Privaten in Gesetzgebungsprozesse ein. In den 15 Jahren, in denen ich die Geschäftsführung innehabe, hat sich der VÖP stark professionalisiert. Wir arbeiten datenbasiert, vernetzt und international – auch in Kooperation mit unseren europäischen Partnern.

medianet: Gab es während dieser Zeit auch Tiefpunkte?
Drumm: Ja. Der viel zu frühe Tod von Mike Graf hat mich 2016 sehr getroffen. Als erster RMS-Geschäftsführer war Mike einer der prägendsten Vertreter des Privatradios in Österreich, Pionier und Freund. Ebenso wie der Tod von Ernst Swoboda im Jahr 2021. Ernst war einer der wichtigsten und charismatischsten Vertreter der Branche und ein unermüdlicher Kämpfer für den privaten Rundfunk.

medianet: Wenn Sie nach 15 Jahren Bilanz ziehen – was überwiegt: Stolz oder Sorge?
Drumm: Beides. Ich bin stolz darauf, dass der VÖP heute eine starke Stimme in der österreichischen Medienlandschaft ist und die Privatsender sich professionell etabliert haben. Aber ich bin auch besorgt, weil die Rahmenbedingungen schwieriger werden. Die Politik hat den Ernst der Lage wahrscheinlich noch nicht ausreichend erkannt. Wir stehen an einem Punkt, an dem es entschlossene politische Entscheidungen braucht – für faire Wettbewerbsbedingungen, eine moderne Regulierung und eine Medienförderung, die Zukunft ermöglicht. Sonst droht die heimische Medienvielfalt Schritt für Schritt zu ­erodieren.

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