Kaufleute-Offensive: Billa knackt die Zehnermarke
© Billa/Robert Harson
MARKETING & MEDIA Redaktion 07.12.2023

Kaufleute-Offensive: Billa knackt die Zehnermarke

Zwischenbilanz nach einem Jahr fällt positiv aus; für 2024 sind insgesamt 20 weitere Privatisierungen geplant.

••• Von Paul Hafner

Überlegungen hatte es schon lange davor gegeben, doch erst im Zuge der Umflaggung von „Merkur” auf „Billa Plus” im April 2021 bestätigte Rewe-Vorstand Marcel Haraszti konkrete Pläne bezüglich eines eigenen Billa-Kaufleutemodells. „Das ist nichts in weiter Ferne, lieber früher als später”, erklärte Haraszti und nannte sich gar, mit Verweis sowohl auf die guten Erfahrungen mit Adeg wie auch der deutschen Konzernmutter, einen „totalen Kaufmannsmodell-Fan”. Einen Zeitplan für die Umsetzung gab es damals noch nicht, „wenn wir es ausrollen, dann hat es Hand und Fuß”, so Haraszti.

So richtig Fahrt nahmen die Pläne schließlich im Sommer 2022 auf, als die Rewe ihre Großhandelskompetenzen bei Billa ansiedelte und Brian Beck, damaliger Adeg-Vorstandssprecher, als Leiter des neuen Ressorts „Großhandel und Kaufleute” präsentiert wurde. Keine vier Monate später ging Marko Miskovic mit seinem selbständig geführten Markt im niederösterreichischen Gloggnitz als erster Billa-Kaufmann in die Geschichte ein.
Ein gutes Jahr ist seit diesem Meilenstein ins Land gezogen. Die Zwischenbilanz fällt positiv aus, und am großen mittelfristigen Ziel, „100 Kaufleute bis 2026”, wird weiterhin festgehalten, wie Brian Beck beim Rundgang durch den ersten selbstständig geführten Billa Plus-Markt in Pottendorf mit Nachdruck bestätigt.

Neue Meilensteine

Geführt wird eben erwähnter Markt von Emir Spahic, dem achten Mitglied der Billa-Kaufmannsfamilie. „Das Kaufleute-Modell ist für mich eine einmalige Chance, gemeinsam mit Billa den Weg in die Selbstständigkeit zu gehen. Ich freue mich sehr, nicht nur als erster Billa Plus-Kaufmann zu starten, sondern auch in den ersten Neubau als Kaufmann involviert gewesen zu sein”, so Spahic – der unter anderem durchsetzte, dass in dem Markt mit über 1.600 m² Verkaufsfläche ein Kunden-WC installiert wird.

In Summe rund neun Mio. € investierte die Rewe in den modernen Nahversorger, der sich fortan ein symbolträchtiges Match mit dem etwa 200 m entfernten Eurospar liefern wird. Herzstück ist eine groß angelegte Feinkostabteilung, außerdem gibt es eine „plant-based”-Themenfläche mit 150 veganen Produkten, die bisher großteils exklusiv bei Billa Pflanzilla in Wien und in Graz erhältlich waren.

Kandidaten-Pool wird größer

Barrierefrei zugänglich und mit 80 Parkplätzen plus Stromladetankstellen ausgestattet, sind im Zuge der Markteröffnung 30 neue Arbeitsplätze in der Region entstanden.

Spahic führt ein 52-köpfiges Team. Er arbeitet seit 23 Jahren im Rewe-Konzern, war u.a. zwölf Jahre lang Marktleiter in Maria Enzersdorf und dann Vetriebsmanager in Niederösterreich und Wien.
„2025 wird der erste Zentralmitarbeiter mit eigenem Markt an den Start gehen”, erläutert Beck. Wurden zu Beginn primär Marktmanager für das Kaufleute-Modell rekrutiert, landen nun auch zunehmend Zentralisten im Kandidaten-Pool; auch Feinkostmitarbeiter will man berücksichtigen. „Externe” Anwärter sollen erst in einem späteren Schritt in Betracht gezogen werden.
Apropos späterer Schritt: Im kommenden Jahr soll der Expansionsradius des Kaufleute-Modells (aktuell: Wien, Niederösterreich und Burgenland) vergrößert werden, wird es auch in der Steiermark und in Oberösterreich erste selbstständige Billa-Kaufleute geben.

Die Zehnermarke ist gefallen

Naturgemäß ist auch Beck ein großer Befürworter des Kaufleutemodells. „Damit können wir schneller, flexibler und individueller auf Kundenbedürfnisse reagieren – zum Beispiel durch lokal optimierte Sortimente, durch lokale Kooperation, aber auch durch die persönliche Note, die jeder Kaufmann und jede Kauffrau in ihrem Markt miteinbringt – ich glaube das ist es, was das Modell so besonders macht.” Das Kaufmannstum sei „die DNA der Rewe-Gruppe, wir sind eine Genossenschaft, und das wollen wir auch hier in Österreich, in dem zweitwichtigsten Heimatmarkt der Gruppe, auf breitere Füße stellen. Wir bauen hier natürlich ganz stark auf die Erfahrungswerte von Rewe in Deutschland und Adeg in Österreich auf”.

Was das bisherige Expansionstempo betrifft, liegt man zahlenmäßig zwar etwas hinter dem ursprünglichen Zeitplan von 15 Märkten bis Jahresende 2023, doch sind allein seit der Eröffnung des Billa Plus Spahic zwei weitere Kaufleute hinzugekommen: Mit Patrick Bastirsch in Himberg (Bezirk Bruck an der Leitha) und Sandy Wipprecht in Wien-Floridsdorf konnte nun immerhin noch die Zehner-Marke geknackt werden.

Weibliche Premiere

„Auf der Ebene der Marktmanager sind unsere weiblichen Kolleginnen bereits stark vertreten. In über 60 Prozent der Billa-Märkte liegt das Marktmanagement in weiblicher Hand. Wir freuen uns, insbesondere Frauen den Weg in die Selbstständigkeit zu ebnen”, kommentiert Beck; die weibliche Premiere sei ein „längst überfälliger Schritt” gewesen und somit „ein großes Highlight”.

Auch Wipprecht ist ein Rewe-Eigengewächs: „Nachdem ich meine Lehre bei Rewe in Deutschland absolviert habe, hat es mich nach Österreich gezogen. Hier bin ich nun schon seit 2007 Teil der Billa-Familie.” Zuletzt Filialleiterin im dritten Bezirk, habe sie in dieser Position schon viel Führungserfahrung sammeln können, die ihr „nun in der Selbstständigkeit zugutekommt”. Ausschlaggebend für den Schritt in die Selbstständigkeit waren für sie die (in der Infobox auf Seite 5 erläuterten) Vorzüge des Modells: „Als Kauffrau bin ich ab jetzt meine eigene Chefin und freue mich, noch mehr Verantwortung zu übernehmen. Billa als starken Partner an meiner Seite zu wissen, sichert mich dabei ab.”

Lokalität und Regionalität

Bei allem Beschwören der Individualität der Kaufleute-geführten Standorte, welche von der Sortimentsgestaltung bis zur Wahlfreiheit bei den Zusatzschildern („Familie Wojteckovsky”, „Demir”, „Patrick Bastirsch”) reicht, weisen die Märkte eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf: Sie sind eher groß dimensioniert (>20 Mitarbeiter, oft 1.000+ m²), hochmodern (in den letzten Jahren neu gebaut, mehrheitlich mit PV-Anlage und Co. ausgestattet), und bei den individuellen Einlistungen dominiert der Lokalitäts- und Regionalitätsgedanke; ein besonderes Augenmerk liegt auf einer großzügig bestückten Feinkosttheke.

Positive Bilanz

„Es war ein sehr spannendes, aufregendes Jahr”, bilanziert Beck, der auch von Herausforderungen zu erzählen weiß – wie etwa Umsatzdellen aufgrund von nahegelegenen Neueröffnungen des Mitbewerbs oder etwas zu spekulativen Einlistungen neuer Produkte. „Eine neue Betreiberform zu entwickeln, das macht man nicht jeden Tag, aber wir haben extrem viel Spaß dabei, gemeinsam mit den Kaufleuten und den vielen Fachbereichen diesem Modell Leben einzuhauchen und es zu gestalten.” Man habe die letzten Monate „erste kleinere Erfolge gefeiert” und sehe sich „grundsätzlich auf einem sehr guten Weg. Ich bin sehr zuversichtlich, was die Zukunft anbelangt”.

Zwei neue Kaufleute in Q1/24

Für heuer ist der Privatisierungsreigen damit zu Ende, 2024 sollen in Summe 20 weitere Märkte privatisiert werden – ein „sehr sportliches Ziel”, wie Beck einräumt. „Wir haben für Ende Q1 2024 zwei weitere Märkte in der Pipeline und wollen dann die restlichen 18 Standorte über das restliche Jahr verteilt privatisieren, darunter auch zwei Billa Plus-Märkte, die wir aber erst Ende des Jahres an den Start bringen wollen, weil wir natürlich die Erfahrungswerte von Pottendorf entsprechend übertragen wollen.”

Hoher Anspruch an Kaufleute

Trotz der ambitionierten Ziele gilt es also, nichts zu überstürzen. Beck: „Die Auswahl der Kaufleute ist von entscheidender Bedeutung; wir investieren extrem viel Zeit in diesen Prozess, der auch sehr transparent und fair abläuft. Ich bin der festen Überzeugung, dass die richtige Auswahl der Grundstein für den späteren Erfolg ist.” Dazu brauche es „Mut, Kreativität, Leidenschaft für den LEH, für das Thema Ware, Motivation und Ausdauer sowie unternehmerisches Geschick” – Eigenschaften und Werte, deren er sich bei den bisherigen Rekruten sicher ist.

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