BADEN. „Daten sind das neue Öl“ – dieser Satz ist längst zur Floskel verkommen. Öl ist wertvoll, selten und muss raffiniert werden. Daten hingegen sind mittlerweile billig, unendlich verfügbar und oft toxisch, wenn man sie falsch einsetzt. Der wahre Wert liegt nicht im bloßen Sammeln, sondern im Verstehen. Genau darin liegt die Chance für die Markt- und Meinungsforschung: Wir sind die Raffinerien im Zeitalter der Datenflut.
Doch während Öl irgendwann versiegt, sprudeln Daten unaufhörlich und genau darin liegt die eigentliche Herausforderung. Was früher Knappheit war, ist heute Übermaß. Wer versucht, Daten ausschließlich quantitativ zu bewältigen, läuft Gefahr, im Rauschen zu versinken. Entscheidend ist nicht mehr, ob wir Daten haben, sondern wie wir sie sinnstiftend übersetzen. Markt- und Meinungsforschung wird damit zum Navigator: Sie trennt Signal von Lärm, filtert Relevanz aus Überfluss und liefert Orientierung.
KI ist kein Orakel
Künstliche Intelligenz ist weder Feind noch Allheilmittel. Sie ist ein Werkzeug, das Geschwindigkeit und Skalierbarkeit bringt. Sie kann Muster erkennen, die Menschen übersehen würden. Aber sie kann nicht entscheiden, welche Muster relevant sind, welche kulturelle Bedeutung sie haben oder welche Emotionen sie im Alltag der Menschen prägen.
Wer glaubt, dass Algorithmen die Wahrheit liefern, macht denselben Fehler wie jemand, der eine Landkarte mit der Realität verwechselt. KI kann zählen, sortieren, berechnen, aber sie kann nicht fühlen, deuten oder verstehen. Sie liefert Hypothesen, keine Antworten. Wer ihr die Deutungshoheit überlässt, riskiert, die Menschen hinter den Daten aus dem Blick zu verlieren.
Die Renaissance der Qualität
Paradoxerweise führt die Allgegenwart von Daten zu einer Aufwertung qualitativer Forschung. In einer Welt, in der Algorithmen alles messen, wächst die Sehnsucht nach Kontext, Narrativ und Bedeutung. Tiefeninterviews, Fokusgruppen oder ethnographische Methoden gewinnen neue Strahlkraft, aber nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zu Big Data. Die Zukunft gehört der Mixed-Methods-Intelligenz: dem Zusammenspiel aus maschineller Power und menschlicher Empathie.
Denn Zahlen allein erzählen keine Geschichten. Sie zeigen, dass etwas geschieht, aber nicht warum. Qualitative Forschung liefert den emotionalen und kulturellen Resonanzraum, ohne den Daten zu toten Kennzahlen verkümmern. Gerade in Zeiten, in denen KI Antworten im Sekundentakt generiert, steigt der Wert jener Methoden, die Geduld, Nähe und echte Auseinandersetzung erfordern. Die wahre Innovationskraft entsteht nicht aus der Dominanz einer Methode, sondern aus der klugen Verschränkung: Daten geben uns die Breite, Menschen geben uns die Tiefe. Erst beides zusammen macht Forschung zukunftsfähig.
Vertrauen als knappstes Gut
Daten gibt es genug, Vertrauen nicht. Menschen geben ihre Meinung, ihre Klicks und ihre Zeit nur dort, wo sie sich ernst genommen fühlen. Markt- und Meinungsforschung der Zukunft ist daher nicht nur eine Frage von Technologie, sondern auch von Ethik, Transparenz und Haltung. Wir müssen nicht nur erklären, was wir herausfinden, sondern auch wie und warum.
Die Zukunft der Branche entscheidet sich nicht daran, wer die meisten Datenpunkte anhäuft, sondern wer die richtigen Fragen stellt und den Mut hat, zwischen Korrelation und Kausalität zu unterscheiden. Unsere Aufgabe ist es nicht, Maschinen nachzulabern, sondern menschliche Realität zu begreifen. Und zwar mit all ihren Widersprüchen, Emotionen und Bedeutungen.
Thomas Schwabl ist Gründer und Geschäftsführer von Marketagent.
