••• Von Sabine Bretschneider
Michael Brandtner ist Markenstratege und Experte für Marken- und Unternehmenspositionierung sowie Associate von Ries Global. Zu seinen Klienten zählen nationale und internationale Unternehmen aus über 50 Branchen. medianet hat mit Brandtner über sein neuestes Buch „Siegermarken” („Die 10 ultimativen Denkmuster zum Marken- und Unternehmenserfolg”) gesprochen, aber auch über den Kunstgriff von XXXLutz und die Markendestruktion von Tesla.
medianet: Herr Brandtner, Ihr neuestes Buch heißt ‚Siegermarken'? Was ist Ihre Definition von Siegermarken – und, noch wichtiger, wie lautet die Siegerstrategie?
Michael Brandtner: Also, ‚Siegermarke' ist relativ einfach definiert. Das ist eine Marke, die in ihrem Markt eine Monopolstellung in den Köpfen der Kunden besitzt, die sich sowohl in der Wertschätzung als auch in der Wertschöpfung widerspiegelt.
Der wichtigste Schritt in der Strategie ist, dass man sich zuerst nicht mit der eigenen Marke beschäftigt, sondern mit dem Markenumfeld im mentalen Kontext. Im Sinne: Wo steht die Marke im mentalen Kontext, bei einer oder mehreren Kaufentscheidungen? Man sollte den Mut haben und versuchen, den Markt so objektiv wie möglich aus Sicht der Kundenwahrnehmung und des Kundengedächtnisses zu betrachten. Bin ich bei einer Kaufentscheidung aus Kundensicht die erste Wahl, zweite Wahl, dritte Wahl? Bin ich vielleicht gar nicht dabei und nur ein Notnagel, wenn nichts anderes gefunden wird?
medianet: Heißt das, ohne Marktforschung im Vorfeld geht gar nichts?
Brandtner: Nein, in vielen Fällen kann man das als Markeninhaber relativ gut einschätzen, wo man steht. Speziell in etablierten Märkten. Wenn ich Smartphones hernehme: iPhone ist erste Wahl, Samsung Galaxy ist zweite Wahl – erst dahinter wird es dann zu bröckeln anfangen. Vivo, Xiaomi, Huawei … da beginnt das unprofilierte Mittelfeld. Je geordneter aber ein Markt aus Kundensicht in Summe ist, desto stärker wirkt das Prinzip Marke. Das heißt, der Markt für Smartphones ist ideal aus Markensicht, weil die Kunden eine Rangordnung im Kopf haben.
Wenn ich jetzt aber einen klassischen Windows-PC suche, dann fallen mir vielleicht Marken ein wie HP, Lenovo, Dell, Acer. Aber der Unterschied zum Smartphone-Markt ist, ich habe keine Rangordnung mehr. Und wenn die Rangordnung weg ist, wenn ich nicht weiß, wer Nummer eins, zwei, drei ist, dann nehme ich sie sehr ähnlich wahr. Das Prinzip Marke wird schwächer und damit gewinnen andere Kaufentscheidungsfaktoren bzw. Produktfeatures an Bedeutung, wie der Preis.
medianet: Wenn es also dieses intrinsische Ranking nicht gibt, dann ist das ein schlechtes Zeichen für die beteiligten Marken? Oder kann das auch Kennzeichen eines Marktes sein?
Brandtner: Das zeigt, dass der Marktführer auf alle Fälle versäumt hat, seine marktführende Stellung zu kommunizieren.
Es gibt in Österreich ein sehr brachiales Beispiel: kika/Leiner. 1999 war kika der absolute Marktführer in Österreich. Als man aber Kunden befragt hat: Wer ist die Nummer eins in Österreich? Dann haben die Antworten je nach Bundesland sehr variiert. In Wien haben manche auf Ludwig und Michelfeit getippt, in Niederösterreich auf Leiner, in der Steiermark auf Gröbl Möbel, in Oberösterreich auf kika, Leiner, Braunsberger. Und dann hat Lutz 1999 in Wien mit XXXLutz das ‚größte Möbelhaus Österreichs' eröffnet. das haben Sie auch in der Radiowerbung kommuniziert, das ‚größte Möbelhaus Österreichs' – obwohl sich das nur auf einen einzigen Standort bezogen hat. Und ab dem Augenblick hat XXXLutz auf diese Marktführerschaftsstrategie gesetzt. kika hat das zugelassen und die langfristigen Folgen hat man dann gesehen …
medianet: Wenn man also dieses ‚be first' nicht geschafft hat, sollte man es zumindest vorschützen …
Brandtner: Ja, wir nennen das ‚suggestive Marktführerschaft'.
medianet: Aber wieso ist es für den Kunden wichtig zu wissen, wer der Marktführer ist?
Brandtner: Ich habe sonst keine Ordnung im Kopf. Deswegen lieben ja Kunden Hitparaden, Rangordnungen, Statistiken, die sieben beliebtesten Urlaubsziele. Ohne Ordnung braucht unser Gehirn automatische Ersatzordnung. Und die einfachste Ersatz Ordnung ist: Es ist alles gleich, wichtig ist der Preis.
medianet: Sie schreiben in ihrem Buch ‚Siegermarken': ‚Erfolge beruhen nicht nur nicht nur auf großen Visionen, sondern immer auf konkreten Ideen.' Was unterscheidet jetzt die große Vision von der konkreten Idee? Ist das nicht irgendwo deckungsgleich?
Brandtner: Nein, leider nicht, weil viele Unternehmen große Visionen haben, die überhaupt nicht in der Gegenwart verankert sind. Ein Beispiel: Yahoo hat die große Vision gehabt, wir wollen nicht mehr die führende Suchmaschine sein, wir wollen das führende Portal sein. Die Portalidee war total abgehoben, Die Leute haben keine riesengroße Portale gebraucht. Den Leuten waren konkrete Suchmaschinenideen sehr viel wichtiger. Und Yahoo hat freiwillig die Suchmaschinenidee aufgeben. Google hat sie aufgegriffen und der Rest ist Geschichte.
Oder: Die Vision vom ‚Mobilitätskonzern'. Alle Autokonzerne wollten vor zehn Jahren Mobilitätskonzerne werden. Heute kämpfen Sie darum: Wie kann ich im Elektrozeitalter überleben? Die Leute kaufen keine Mobilitätskonzepte. Sie stehen nicht in der Früh auf und sagen: Ich brauche Mobilität. Die Leute denken konkret an Auto, Fahrrad, Scooter, Eisenbahn, Flugzeug, was auch immer, aber nie an ‚Mobilität'.
Natürlich, was Apple groß gemacht hat, war die riesengroße Vision von Steve Jobs. Aber: Es gab auch sofort die konkrete Verankerung im Jetzt, den ersten MP3-Player mit Harddisc, den iPod.
medianet: Ein großes Thema ist derzeit Tesla. Der Aktienkurs hat sich in den letzten drei Monaten halbiert, der Markenwert ebenfalls. Was ist da aus Ihrer Perspektive schiefgegangen?
Brandtner: Aus meiner Warte sind es mehrere Punkte. Der eine Punkt ist, dass Herr Musk die Rolle gewechselt hat. Er ist nicht mehr Sprecher für E-Mobilität oder Technologieführerschaft. Er ist Politik-Sprecher und polarisiert total – für eine Politik, die genau der Überzeugung vieler Tesla-Fahrer widerspricht.
Der zweite Punkt, der damit verbunden ist, ist dieses Extreme, Provozierende, das durch die Medien aktuell massiv verstärkt wird. Die Kombination aus extremer Provokation gegen meine eigene Zielgruppe plus massive Medienberichterstattung trägt dazu bei, dass die Marke Tesla aktuell leidet. Und wenn man sich die Modellpolitik von Tesla selbst anschaut: Die Modelle sind überaltert. Da kommt nichts Neues.
medianet: Welche Lehren kann man daraus ziehen?
Brandtner: Eine aktuelle Studie besagt, dass Unternehmen generell mit dem Thema Haltung etwas vorsichtiger sein sollten als früher. Das Problem ist, dass die Leute immer öfter das Gefühl haben, das ist alles nur Marketing-Blabla.
In der Meaningful Brands-Studie von Havas im vergangenen Herbst haben drei Viertel der Befragten gesagt, sie haben es satt, dass Marken so tun, als ob sie etwas für das Wohl der Gesellschaft tun würden. Die Marken sollten wirklich wieder auf ihren Kern und auf den Nutzen, auf Relevanz fokussieren. Sie täten gut daran, das Thema Haltung durch Relevanz zu ersetzen. Und man sollte sich bewusst sein, dass eine Haltung nicht per se etwas Positives ist.
medianet: Noch einmal zurück zu ‚großen Visionen' und ‚konkreten Ideen': Gerade Marken wie Tesla beruhen auf Glaube, Liebe, Hoffnung. Nicht auf konkreten Verkaufszahlen, nicht auf Umsatzzahlen. Der Aktienwert ist eine Wette auf die Zukunft …
Brandtner: Es ist das Problem vieler Visionen, dass sie sich immer nur in der Zukunft abspielen.