„Wir haben ganz klar  die Jungen im Fokus“
© Martina Berger
Martin Fleischhacker
MARKETING & MEDIA Redaktion 20.06.2025

„Wir haben ganz klar die Jungen im Fokus“

Geschäftsführer Martin Fleischhacker über die Wiener Zeitung in ihrer neuen Rolle als „WZ“.

••• Von Dinko Fejzuli und Jakob Klawatsch

Nach dem Ende der Printausgabe der Wiener Zeitung im Juli 2023 befindet sich das traditionsreiche Medium noch immer mitten in einem tiefgreifenden Wandel. Geschäftsführer Martin Fleischhacker spricht im medianet-Interview über den Transformationsprozess, neue Zielgruppen und die Rolle der „WZ” als Innovationsmotor.

 medianet: Herr Fleischhacker, im Juli 2023 wurde die ‚Wiener Zeitung' – die bis dahin älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt – in der Print-Form eingestellt. Seither ist die ‚WZ' ein Onlinemedium. Sie sind seit sieben Jahren Geschäftsführer. Welche Rolle haben Sie persönlich in diesem Transformationsprozess gespielt?
Martin Fleischhacker: Ich kenne das Unternehmen sehr lange und gut und konnte als Geschäftsführer dieses Wissen mit der notwendigen Umsicht eine Restrukturierung vornehmen. Mit dem Wegfall der Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt war dem Unternehmen die Geschäftsgrundlage entzogen und somit wurde die Wiener Zeitung ein Restrukturierungsfall.

Ich bin aber genau für diese Aufgabe angetreten und kann heute sagen, dass wir alles so umgesetzt haben, wie ich es in meiner Bewerbung in 2018 skizziert hatte. Restrukturierer sind meist nicht everybody’s darling. Aber wir konnten viel Positives möglich machen, was auf den ersten Blick unmöglich erschien. Das Aus der Tageszeitung hat die Politik entschieden, aber mit viel Arbeit und Kreativität haben wir in der Mediengruppe Wiener Zeitung Dinge umgesetzt, die dem Medienstandort wirklich viel bringen und auch die Eigentümerschaft des Bundes rechtfertigen. Unser vielfältiger Einsatz für Qualitätsjournalismus ist das beste Beispiel.

medianet: Wie ist die Umstrukturierung dann schließlich abgelaufen?
Fleischhacker: Wir haben 2017 mit dem ersten Strategieprozess begonnen. Defacto haben wir selbst definiert, was denn zukünftig die Aufgabe der Mediengruppe Wiener Zeitung sein kann. Der politische Auftrag klang ja zunächst wie eine mission impossible: das Geld fällt weg, aber die Marke soll bleiben und weiterhin entsprechende Bedeutung haben. Das ist in etwa so, wie wenn man der Asfinag die Betreuung der Straßen wegnimmt, ihr aber sagt, sie muss trotzdem weiter existieren, soll sich aber selbst ausdenken wofür.

Also haben wir überlegt, was ein Bundesunternehmen im Medienbereich leisten oder beitragen kann. Obwohl der Medienmarkt in Österreich auch damals schon nicht sehr ergiebig für neue Medien war, haben wir sehr genau analysiert und geprüft, welchen Beitrag wir als Bundesunternehmen leisten können. Alles, was wir heute anbieten, ist das Ergebnis dieses Prozesses.

medianet: Nämlich? Was bietet denn die Mediengruppe Wiener Zeitung heute an?
Fleischhacker: Eine weiterhin wichtige Aufgabe ist nach wie vor die Herausgabe der WZ, also der Wiener Zeitung. Diese hat eine komplette Restrukturierung hinter sich mit neuer Kultur, neuen Denkmustern und neuen Zielgruppen. Wir wollen nicht nur als eigenständiges Produkt gut funktionieren, sondern auch viel mit anderen Medienhäusern gemeinsam umsetzen. Und Neues ausprobieren: Wir evaluieren regelmäßig unsere Prozesse, überarbeiten unsere Workflows und passen sie an die Zielgruppe an. Das ist für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwar fordernd, weil wir nie wirklich zum Stillstand kommen, aber wir fahren sehr gut damit.

medianet:
Stichwort Zielgruppe: Deren Altersschnitt war bei der Tageszeitung ‚Wiener Zeitung' recht hoch. Wie unterscheidet sich davon nun die Zielgruppe der ‚WZ'?
Fleischhacker: In der gesamten Medienbranche gibt es das Problem, dass junge Menschen nicht mehr automatisch zu Print-Zeitungsleserinnen und -lesern heranwachsen. Wir haben uns deshalb angeschaut, warum wir die jungen Menschen nicht mehr klassischen Medienprodukten erreichen – und was passieren muss, damit wir sie wieder abholen. Wir haben bei der Umstrukturierung unseren Fokus klar auf die junge Zielgruppe gesetzt. Denn das Vorurteil, dass sich junge Menschen für nichts mehr interessieren, stimmt überhaupt nicht. Man muss die Themen nur richtig aufbereiten und dort ausspielen, wo man die gewünschte Zielgruppe erreicht.

medianet:
Zieht sich dieser Fokus auf junge Menschen auch durch die weiteren Säulen der ‚WZ' durch?
Fleischhacker: Ja, denn eine unserer großen Säulen ist der Media Hub Austria mit dem Ziel den österreichischen Medienmarkt zu stärken. Hier arbeiten wir konkret an drei Themen für junge Medienschaffende – nämlich die Bereiche Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Nutzer.

Im Arbeitgeber-Bereich fördern wir Medien Start-ups mit dem Ziel, neue Medienschaffende in den österreichischen Markt zu bringen und Arbeitsplätze zu schaffen.

medianet: Und für jene, die in die Branche wollen?
Fleischhacker: Für die Arbeitnehmer-Seite bieten wir ein zwölfmonatiges Praxisprogramm, das über die ‚handwerklichen' Fähigkeiten hinausgeht. Denn wie man recherchiert, einen Artikel schreibt oder Social Media betreut, wird Jungjournalistinnen und -journalisten meist bereits in der Ausbildung beigebracht. Was aber fehlt, sind Bereiche wie Produktentwicklung und ganz simpel die Erfahrung in der Mitarbeit bei anderen Medienhäusern. Das vermitteln wir im Rahmen unseres Traineeships.

Und die Nutzerinnen und Nutzer erreichen wir im Zentrum für Medienwissen über Kooperationen mit Medienschaffenden. Wir erstellen gemeinsam mit Influencern, Medienhäusern und der WZ Inhalte, die niederschwellig Medienwissen erklären. Da wir so die Zielgruppen unserer Kooperationspartner erreichen, können wir Medienkompetenz in praktisch ganz Österreich stärken.

medianet: Sie haben es bereits angesprochen: Vielen jungen Journalistinnen und Journalisten ist die ‚WZ' vor allem wegen des Traineeships ein Begriff. Ein Vorwurf, den man dazu immer wieder hört, ist, dass sich die jeweilige Bundesregierung über die ‚WZ' die nächste Generation an Journalistinnen und Journalisten heranzieht?
Fleischhacker: Das stimmt nicht, denn das Traineeship ist mehr Praxisprogramm als Ausbildungsprogramm. Die Trainees haben ihre Ausbildung meistens schon hinter sich und bereits erste Erfahrungen in Medienhäusern gesammelt. Unser Programm geht weit über den klassischen Redaktionsalltag hinaus: Inhalte wie Medienrecht, Controlling, digitale Geschäftsmodelle, Produktentwicklung oder Personal Branding fördern ein ganzheitliches Verständnis für journalistisches Arbeiten im digitalen Zeitalter.

medianet:
Das Thema Einmischung wurde jetzt elegant umschifft …
Fleischhacker: … das Traineeship untersteht unserem Redaktionsstatut und unsere Kooperationspartner entsenden eine Journalistin oder einen Journalisten in einen Beirat, der alle wesentlichen Entscheidungen trifft. Sollte also auch nur der Anschein entstehen, unsere Ausbildung tendiere in irgendeine parteipolitische Richtung, sitzen in diesem Beirat mittlerweile 18 Personen, die sofort darüber berichten würden.

medianet:
Wie geht es den Start-ups, die das Media Innovation Lab durchlaufen?
Fleischhacker: Mittlerweile haben rund 60 Start-ups unsere beiden Programme, den Inkubator und das Fellowship, durchlaufen. Nicht alle davon sind komplette Neugründungen. Oft bewerben sich junge Medienunternehmen, um ein innovatives, wirtschaftlich umfangreiches Format in ihr bisheriges Portolio aufnehmen zu können. Vor allem im Tech-Bereich haben wir aber viele Neugründungen, die sich aktuell häufig mit KI-Themen beschäftigen.

medianet:
Und was hat der Markt davon?
Fleischhacker: Der Markt profitiert in jedem Fall davon – unser Media Innovation Lab zeigt, was in Österreich möglich ist. Viele Start-ups generieren inzwischen Umsätze, haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt und tragen zur medialen Vielfalt in Österreich bei.

medianet:
Sie haben erwähnt, dass Sie im Zentrum für Medienwissen mit Influencern und Medienhäusern kooperieren. Warum und wie funktioniert das genau?

Fleischhacker: Unsere Medienkompetenz-Förderung vereint alle unsere Stärken als Medienhaus: qualitative Inhalte, Innovation und Kooperation. Wir binden Medienschaffende in Österreich aktiv ein, sich mit wichtigen Fragen auseinander zu setzen und helfen ihnen, Wissen zu Medienthemen auch auf ihren Kanälen darzustellen.

Konkret sind das Fragen wie: ‚Wie wählt ein Medium Themen aus oder was ist eine Blattlinie?' Unser Learning: Menschen, die gerne in den Medien arbeiten wollen einen aktiven Beitrag zu Problemen wie Fake News oder Vertrauensverlust in Medien leisten. Wir geben ihnen die Möglichkeit dazu.

medianet: Bleiben wir bei der redaktionellen Arbeit. Die ‚Wiener Zeitung' war ein fundamental anderes Produkt als die heutige ‚WZ'. Ein Unterscheidungsmerkmal ist – wie Sie bereits ausgeführt haben – der Fokus auf die junge Zielgruppe. Über welche Medienkanäle erreichen Sie diese?
Fleischhacker: Das lässt sich so pauschal nicht beantworten, denn unser oberstes Gebot ist: Audience First. Unsere Hauptkanäle sind die, die unsere Zielgruppe derzeit am meisten nutzt: Instagram und TikTok. Daneben noch YouTube und Podcasts, sowie unsere Website, auf der wir die Longreads veröffentlichen, samt Info- und Quellenseite. Neben den Online-Kanälen erscheint mehrmals im Jahr unser Print-Magazin und wir haben letztes Jahr auch ein erstes (analoges) Community-Event veranstaltet.

Ganz wichtig für uns ist, dass jeder User gleich viel ‚wert' ist, egal auf welchem Kanal er sich mit unseren Inhalten auseinandersetzt. Wir evaluieren laufend, wie wir die Zielgruppe am besten erreichen und welche Formate gut ankommen – auch weil wir ja immer wieder neue Dinge ausprobieren.

medianet: Neben den Inhalten auf Social Media und Ihrer Website: Welche Rolle spielt die Vor-Ort-Präsenz der Mediengruppe Wiener Zeitung auf Branchenveranstaltungen, um an die Zielgruppe zu gelangen?
Fleischhacker: Die direkte Ansprache der 18- bis 30-Jährigen ist uns sehr wichtig. Eigene Veranstaltungen – etwa re:think media – nutzen wir, um Start-ups und Jungjournalistinnen und -journalisten eine Bühne zu geben und um Vernetzung zu ermöglichen. Außerdem schicken wir unsere Redakteurinnen und Redakteure dorthin, damit sie in den Austausch mit der jungen Zielgruppe kommen. Wesentlich ist für uns dabei, dass wir zwar ‚Wiener Zeitung' heißen, aber ein Bundesunternehmen sind. Wir wollen künftig noch stärker aus den Redaktionen heraus- und in die Regionen hineingehen.

medianet:
Ist diese Funktion als Austauschplattform ein wesentlicher Faktor für Wirtschaftstreibende, um mit der Mediengruppe Wiener Zeitung eine Kooperation einzugehen?
Fleischhacker: Ja, vor allem, weil wir uns als Förderer und ‚Jobbörse' verstehen. Da wir die junge Zielgruppe erreichen, bieten wir Wirtschaftstreibenden den Benefit, über uns an junge Leute zu gelangen. Mich freut es deshalb sehr, dass wir in der österreichischen Medienlandschaft mittlerweile als Innovationstreiber und Förderer des Medienstandorts angesehen werden. Das war nicht immer so. Als ich hier begonnen habe, war keineswegs klar, ob die ‚Wiener Zeitung' für Professionalität und Innovation steht. Aber das hat sich gewandelt: Wir arbeiten sehr transparent, erzählen und zeigen jedem, was wir machen. Alles steht jedem in der Branche offen.

Kommerzielle Kooperationen entstehen bei uns im Rahmen unserer Content Agentur Austria, die Content-Dienstleistungen für öffentliche Einrichtungen, Bundesunternehmen und die Privatwirtschaft anbietet.

medianet: Frage zum Schluss: Welche Pläne oder Visionen haben Sie für den weiteren Weg der ‚WZ'?
Fleischhacker: Wir möchten auf jeden Fall einen Schwerpunkt auf das Thema Regionalität legen. Außerdem wollen wir neue Kanäle ausprobieren – etwa die Livestreaming-Plattform Twitch. Aktuell arbeiten wir außerdem an einem Whitepaper, das die Learnings aus unserer Transformation zusammenfasst, damit andere Medienhäuser daraus lernen können.

Und nicht zuletzt wollen wir den Kooperationsbereich weiter stärken. Ich bin davon überzeugt, dass wir – um innerhalb des Medienstandorts Österreich zukunftsfit zu sein – mehr zusammenarbeiten und das Konkurrenzdenken ablegen müssen.

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