WIEN. Ein weitgehend unbeachtetes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sorgt für eine Zäsur im Umgang mit Wirtschaftsauskunfteien wie KSV 1870, Crif oder Dun & Bradstreet: Die Bewertungsmethoden zur Bonitätsbeurteilung müssen offengelegt werden – und unvollständige Auskünfte begründen Schadenersatzansprüche und können von den Behörden zwangsweise exekutiert werden.
Schluss mit der Black Box
Im Urteil C-203/22 hält der EuGH fest, dass Betroffene ein Recht auf „präzise, transparente und verständliche” Information darüber haben, wie automatisierte Entscheidungen – etwa Bonitätsbewertungen – zustande kommen.
Damit, so die Interpretation von ARGE Daten, müssen Auskunfteien nun offenlegen: Welche personenbezogenen Daten (z.B. Geburtsdatum, Adresse, Geschlecht) verwendet wurden; welche mathematische Formel den Score berechnet; welche Werte den Faktoren zugewiesen wurden; welche Intervalle zur Bewertung herangezogen wurden – und wie vergleichbare Personen im selben Zeitraum bewertet wurden.
Fall mit Signalwirkung
Auslöser war der Fall einer Konsumentin, der wegen angeblich mangelhafter Bonität ein Mobilfunkvertrag über zehn Euro verweigert wurde. Die Datenschutzbehörde und das Bundesverwaltungsgericht forderten von Dun & Bradstreet eine verständliche Offenlegung der Berechnungsgrundlagen – vergeblich. Der Fall landete beim EuGH – mit klarem Ergebnis: Wer keine nachvollziehbare Auskunft erhält, hat nicht nur Anspruch auf vollständige Information, sondern auch auf Schadenersatz.
Hans G. Zeger von der ARGE Daten erläutert: „Bisher konnten Wirtschaftsauskunftsdienste bei den Bonitätswerten buchstäblich würfeln. Zum Schaden der Betroffenen, aber auch zum Schaden ihrer Kunden.”
Damit sei nun Schluss: Betroffene sollen künftig nicht nur wissen, wie ihre Bewertung zustande kam, sondern auch, wie sie im Vergleich zu anderen abschneiden. Wem etwa plötzlich keine Ratenzahlung mehr bewilligt wird, wer keinen Kredit oder keinen Energievertrag mehr erhält, sollte den Bonitätswert hinterfragen.
Unvollständige oder intransparente Auskünfte können von Bezirksbehörden zwangsweise durchgesetzt werden – in der Regel durch die Magistratsabteilung am Sitz des Auskunftsdienstes. Befürchtet die Auskunftei eine Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen, ist die zuständige Aufsichtsbehörde bzw. das Gericht zu Rate zu ziehen. Diese haben eine Interessenabwägung durchzuführen.
Schadenersatz möglich
Laut EuGH und OGH können immaterielle Schäden durch intransparente Auskünfte – etwa Kontrollverlust, Angst vor wirtschaftlicher Benachteiligung oder Datenmissbrauch – zu Schadenersatzansprüchen zwischen 1.000 und 5.000 € pro Auskunft führen. (sb)