Zurück in die (cookielose) Zukunft
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Das Digitalteam der Media 1: Margit ­Kastner, Sebastian Hahn, Roman Breithofer, Jurga Zemelyte und Lilly Schulz.
MARKETING & MEDIA Redaktion 02.10.2020

Zurück in die (cookielose) Zukunft

Kontext, Allianzen und neue Tools: Das Ende der Third-Party-Cookies führt zu Altbewährtem und frischen Ideen.

••• Von Laura Schott

Covid-19 hat vieles in der Werbewelt auf den Kopf gestellt, aber nicht alles. Ein kleines bisschen hat die Pandemie auch Google überlassen, das mit der Abschaffung der Third-Party-Cookies im Chrome Browser die Karten im Bereich Programmatic völlig neu mischt. Bekannt gegeben hat Google dies bereits Anfang des Jahres, doch mit fortschreitender Zeit nimmt der Druck auf Agenturen und Publisher zu, sich cookielose Alternativen zu überlegen – immerhin sollen die Third-Party-Cookies bis Anfang 2022 endgültig Geschichte sein. So macht man sich bei Media 1 bereits seit einiger Zeit intensiv Gedanken über zukunftsträchtige Targetinglösungen, die ohne Cookies auskommen, und greift dabei unter anderem auf eine altbekannte Strategie zurück, erklärt Roman Breithofer, Head of Digital Media bei der DMB.-Schwester: „In Zeiten, wo Third-Party-Cookies zu Ende gehen, erlebt der Kontext ein Revival. Kontext-Targeting war bei uns aber nie weg. Wir haben immer versucht, die beiden Bälle Audience und Kontext, also Who- und Where-Targeting, bestmöglich zu nutzen, oft in Kombination.”

Natürlich sei das Inventar im Kontextbereich begrenzt, sodass sich Audience-Targeting als sinnvolle Ergänzung etabliert hat, die es den Publishern ermöglicht, ihr in dem Fall auf historischen Daten basierendes Inventar jederzeit zu verkaufen. Bei all dem bequemen Audience-Targeting sollte man jedoch nicht darauf vergessen, dass die ureigene Aufgabe von Werbung darin besteht, die Menschen von etwas zu überzeugen, von dem sie noch nicht überzeugt sind, sagt Breithofer – und hier kommt der richtige Moment, der richtige Kontext ins Spiel. Das macht die Angelegenheit ein wenig diffiziler, muss man sich doch die Frage stellen, was ein adäquates, sinnvolles Umfeld eigentlich ausmacht. Breithofer: „Darüber kann man streiten. Deshalb haben wir uns ein Modell überlegt, das sich dieser Frage aus einer rein objektiven, technischen Perspektive nähert.”

Vorm Crawler sind alle gleich

Unter dem Arbeitstitel „Technical-Context-Evaluation” haben Breithofer und sein Team einen Crawler, der normalerweise Dinge wie die Page Load Time oder die Schriftgröße von Headlines misst, mit einem Partner so umgebaut, dass er an die 30 neuartige technische Parameter erfasst. Darunter fallen etwa Dinge wie die Anzahl der Ad Slots auf einer Website, ihr Animationsgrad, das Bild/Text-Verhältnis, die Page Weight oder die durchschnittliche Artikellänge. Die erfassten Parameter sollen anschließend jedoch nicht bewertet, sondern ihre jeweilige Wirkung auf unterschiedliche Zielgruppen in einer nachfolgenden wissenschaftlichen Studie erhoben werden, erklärt Breithofer. User, die ein Sujet auf einer Website gesehen haben, bekommen dieses nach einer gewissen Zeitspanne noch einmal vorgelegt und werden anschließend dazu befragt. Die Ergebnisse können dann skaliert und so ein Zusammenhang zwischen den jeweiligen Parametern und der Werbewirkung hergestellt werden. Ausschlaggebend sei hier die Objektivität: „Wir wollen keine einzelnen Seiten bewerten, sondern Parameter definieren, die uns in der Mediaplanung für unsere Kunden eine zusätzliche Betrachtungsweise erlauben. Gleichzeitig kann auch jeder Publisher das Tool nutzen und selbst entscheiden, was mit seinen Zielen und Produkten zusammenpasst.” Weniger Werbung, die dafür besser ist, sei das langfristige Ziel des Projekts – „oder zumindest meine Hoffnung”.

Kontext erlebt also eine Renaissance. Doch um als nationaler Publisher neben Google bestehen zu können, braucht man noch etwas: Partner. Denn mit der „Privacy Sandbox”, die zahlenden Websites auch nach Auslaufen der Third-Party-Cookies weiterhin Nutzerdaten zur Verfügung stellt, schafft Google ein unheimlich mächtiges Tool, das unter Umständen großen Druck auf den Markt ausüben können wird. Erste Ansätze zu nationalen Publisher-Netzwerken gab es bereits; manch einer mag sich etwa an das Projekt „Marketplace Austria” erinnern, eine gemeinsame Vermarktungsplattform österreichischer Medien, die jedoch nie über den von immerhin 15 Medienhäusern unterzeichneten Letter of Intent zu ihrer Gründung hinausging. Auch der ORF setzte seine Unterschrift darunter. Um sein Mitwirken bei einer solchen Plattform sinnvoll zu machen, bedürfe es jedoch einer Gesetzesänderung im Hinblick auf das dem ORF verbotene Zielgruppentargeting, die jedoch bis heute auf sich warten lässt.
Das – zumindest vorläufige – Scheitern des „Marketplace Austria” gab dieses Jahr schließlich den Anstoß für Der Standard und die Kronen Zeitung, mit der Net Austrian Programmatic Alliance (NAPA) eine eigene Vermarktungsplattform zu gründen, der sich auch der Kurier angeschlossen hat. Weitere heimische Publisher hätten ebenfalls Interesse bekundet, bestätigt Breithofer.

Nationale Login-Allianzen

Eine weitere beziehungsweise ergänzende Option, um Werbetreibenden auch nach Auslaufen der Third-Party-Cookies valide Nutzerdaten liefern zu können, stellen Login-Allianzen dar. MeineSichereID nennt sich die österreichische Version einer solchen, die einen „intelligenten europäischen Weg als Gegenpol zur konzerngesteuerten ID” darstellen soll, wie es auf der Website von MeineSichereID heißt. Das Prinzip ist simpel: Die User haben einen einzelnen Zugang, mit dem sie sich auf allen partizipierenden Websites einloggen können, wodurch die Publisher wiederum valide Daten zur Zielgruppenansprache erhalten. Auch im Hinblick auf DSGVO und Consent Management bringe eine solche Login-Allianz Erleichterungen. Die Vorteile lägen jedoch nicht nur auf Publisherseite, erklärt Breithofer: Die User könnten ihre Daten zentral verwalten, hätten Souveränität über diese und erhielten nicht zuletzt für sie relevante Werbung. Die Angabe zusätzlicher Daten könnte man außerdem mit Benefits wie Premium Content belohnen.

Der Konsument ist gefragt

Bei Media 1 befürwortet man solche Modelle stark, sagt Breithofer: „Der User soll wissen, wer seine Daten hat, und für die Werbewirtschaft bringt es den Vorteil, dass ich aktuelle, harte Daten habe, die ich den Usern zuordnen kann. Hier wird sich sehr bald etwas tun.” Auf Agenturseite gebe es in Österreich weitgehenden Konsens über die Sinnhaftigkeit einer solchen Allianz, vorantreiben müssten diese jedoch die Publisher selbst.

Ob Initiativen wie die NAPA oder MeineSichereID seitens Publishern und Agenturen ausreichen, um der Allmacht aus Übersee langfristig gegenwirken zu können, ist fraglich. Damit solche Modelle funktionieren, bedarf es schließlich vor allem des Willens der Konsumenten, sich etwa ein entsprechendes Konto zuzulegen und dann auch zu nutzen; Breithofer sieht hier auch eine ethisches beziehungsweise demokratiepolitisches Dilemma: „Es kann nicht ein Konzern alle relevanten Daten der Welt verwalten und alle anderen dürfen nur zukaufen aus dieser Blackbox.” Entsprechende gesetzliche Vorgaben schließt Breithofer nicht als Lösung aus: „Der Konsument ist oft gefragt. Manchmal antwortet er und manchmal nicht. Es ist wie bei der Erderwärmung: Der Gang zum Biobauern reicht in der heutigen Zeit nicht mehr aus, also braucht es Gesetze.”

Awareness ist auch performant

Bei all der Relevanz, die Cookies für Programmatic und Programmatic für den Werbemix an sich hat, warnt Breithofer jedoch vor dem Einsatz programmatischer Werbung als Selbstzweck: „Programmatic ist einfach eine Art des Einkaufs, ein Mittel zum Zweck, dessen Eignung wir für jedes individuelle Kampagnenbriefing neu bewerten. Und dahinter stehen am Ende des Tages immer noch Menschen, die die Regeln nach dem Muster ‚if this, then that' festlegen.” Auch die gängige Unterteilung in Awareness und Performance hält Breithofer für wenig zielführend: „Die Unterstellung, Awareness sei nicht performant, finde ich nicht fair.” Er spricht lieber von Awareness und Response – im Sinne der kognitiven und affektiven Wirkung von Werbung.

Doch während Letztere mit der Click-Through-Rate (CTR) sehr einfach zu erfassen ist, werden Recall-Raten nur punktuell erhoben, zumal dies unter erheblichem Aufwand geschieht. Aus diesem Grund haben Breithofer und sein Team die Idee der „Recall-Through-Rate” geboren, die die kognitive Wirkung von Kampagnen genau so schnell, einfach und automatisch messbar machen soll wie die CTR die affektive Wirkung. Dafür soll Usern, die ein bestimmtes Sujet gesehen haben, dieses nach einer gewissen Zeitspanne noch einmal vorgelegt werden, verbunden mit der Frage, ob sie sich an das Sujet erinnern können. Die Antwort kann schließlich mit Parametern der Werbung verknüpft und so Schlüsse auf deren Wirkung gezogen werden.

„G’scheit, sinnvoll, relevant”

Wie vielen in den letzten Wochen und Monaten bewusst wurde, bieten Krisen immer auch Chancen. Das Ende der Third-Party-Cookies in Zeiten wie diesen als Krise zu bezeichnen, wäre wohl übertrieben, doch eine Herausforderung stellt es für die Werbewirtschaft allemal dar – und bietet eben auch Raum für Neues. Innovative Ideen, die Rückbesinnung auf Altbewährtes und der Zusammenhalt untereinander mögen die ein oder andere Parallele zu den Entwicklungen in der Krise darstellen und vielleicht auch Roman Breithofers Hoffnung nach weniger und dafür qualitätsvollerer Werbung erfüllen.

„Werbung soll g’scheit, sinnvoll und relevant sein. Und dann liegt es am User zu sagen ‚ja, das möchte ich' oder eben nicht”, sagt Breithofer und bezieht sich auf ein Zitat des Marketers Howard Luck Gossage, der einst sagte: „Niemand liest Werbung. Die Menschen lesen, was sie interessiert, und manchmal ist es Werbung.”

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