Die Auswüchse der Steuerphobie
PRIMENEWS sabine bretschneider 08.04.2016

Die Auswüchse der Steuerphobie

Zur europaweiten Harmonisierung der Mehrwertbesteuerung soll den EU-Staaten mehr Flexibilität eingeräumt werden. Schlüssig?

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider


UND ACTION! Ein neuer Aktionsplan der EU liegt vor. Diesmal geht es um die Mehrwertsteuer und deren kreative Gestaltungsregeln. „Die tatsächlichen Mehrwertsteuereinnahmen (für 2013, Anm.) liegen 170 Mrd. Euro unter dem zu erwartendem Betrag. Dies ist eine enorme Verschwendung”, wird EU-Steuerkommissar Pierre Moscovici zitiert. Korrekt. Und: Die Staaten sollen bei der Festlegung der Abgabensätze mehr Freiheit bekommen, lautet einer der Vorschläge. Tja. Diese Freiheit nämlich, die gibt es bereits und die wird auch weidlich ausgenützt.

Die APA hat dazu am gestrigen Donnerstag eine sehr ausführliche und einigermaßen ernüchternde Aufstellung vorgelegt: In Deutschland etwa wird Babynahrung voll besteuert, Tiernahrung nur mit dem verminderten Satz, am Würstelstand ist die Currywurst zum Mitnehmen günstiger, im Sitzen verspeist, ist sie teurer. Österreich praktiziert Ausnahmeregelungen etwa bei der Milch (die ist in der Gastro kein Getränk), beim Wein (beim Winzer ist es steuergünstiger), beim Fliegen (Bahnfahren ist billiger), für Medikamente (Letztere sind steuerlich günstiger eingestuft als medizinische Geräte) …
Zurück zur neuen Richtlinie: Die Kommission will also den Mitgliedsländern mehr Flexibilität einräumen. Ein erstes Ergebnis gibt es schon: Bei Hygieneprodukten für Frauen – das war Großbritanniens Premier David Cameron ein Herzensanliegen – dürfen die Staaten künftig selbst entscheiden, ob sie eine Mehrwertsteuer einheben oder nicht … Wie diese Initiative wirtschafts- und gesellschaftspolitisch genau zu bewerten ist, sei jetzt mal dahingestellt. Hauptsache, die Pille gibts nicht auf Krankenschein, dürften sich einige österreichische Frauen jetzt denken.

Hauptsachs, die Kasse stimmt

Ob all dieses offizielle Geschraube an den Mehrwertsteuersätzen, das dem Gedanken einer Harmonisierung diametral entgegensteht, unter Umständen damit zusammenhängt, dass der Steuerwettbewerb der EU-Staaten schon bisher die prächtigsten Blüten treibt?

Die Klagen rund um den Themenkomplex der Geschäftspraktiken von Amazon, Apple, Starbucks, Google & Co – man erinnere sich: „Wir müssen in der EU das Prinzip durchsetzen, dass Firmen dort ihre Steuern zahlen, wo die Wertschöpfung stattfindet” – wurden ja auch wieder leiser, seit die Steuerermittlungen der EU-Kommission zur Zulässigkeit der Verlagerung von Gewinnen eines Mutterkonzerns aus einem Land mit hohen Steuern zu einer Tochter in einem Niedrigsteuerland bei der Regierung in Washington auf deutlichen Widerstand stoßen.
Inwieweit und inwiefern die Panama Leaks-Geschichte (lesen Sie dazu die heutige Cover­story) zu diesem hochkomplexen Thema beitragen kann, ist einstweilen fraglich.
Mögliches Motto der Steuerphoben: Wenn die Europäische Union sich als Vorreiter in Steuerangelegenheiten hervortut, dann weichen wir halt mit dem virtuellen Headquarter nach ­Belize, Brunei, auf die Cook Islands oder weiß Gott wohin aus.
Aber egal. Schlussendlich ist die Hauptsache, dass die Einführung der allgemeinen Registrierkassenpflicht in Österreich hinhaut. Nur noch kurz die Welt retten …

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