Die Welt sollte alles sein, was der Fall ist
PRIMENEWS 06.11.2015

Die Welt sollte alles sein, was der Fall ist

Wer Wittgenstein bemüht, hat sich meist in einem Argument verstrickt. Warum wir trotz Glück und Zufriedenheit nicht das Gefühl haben.

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider


WIE'S UNS GEHT. Die Statistik Austria hat uns gestern eine interessante Zusammenfassung einer statistischen Bewertung des heimischen Wohlseins zukommen lassen. Unkomplizierter formuliert: Die Aussendung betitelt sich mit „Wie geht’s Österreich?” Dazu gibt es eine aufschlussreiche Infografik, die diesmal – das sind wir von den Mitteilungen des statistischen Amtes der Republik nicht gewöhnt, es passt aber gut zur inzwischen tradierten Alltagskommunikation mittels grafischer Emoticons – mit netten meteorologischen Piktogrammen arbeitet: Sonne für „alles super”, Wölkchen für „ned so fein”, Regenwetter für „optimierungsbedürftig”, Blitze für „richtig bedenklich”.

Löblich und bemerkenswert ist: Anstatt das BIP, das ob seiner Komponenten ohnehin schon in Verruf geraten ist, in all seinen Entwicklungsstadien zu beleuchten, haben sich die Statistiker 30 Schlüsselindikatoren im Langzeitverlauf angesehen. Das Ergebnis: Eigentlich geht's uns gut. Und: Wir wissen das auch. Wir sind mit der Lebensqualität überdurchschnittlich zufrieden, an sich auch mit dem materiellen Status quo. Auch der Umwelt gehts im Vergleich mit den anderen EU-Ländern recht gut. Die allgemeine Lebenszufriedenheit bewerten die Menschen in Österreich mit 7,8; Maximalwert ist zehn. Die Erwerbstätigenquote ist – allen Arbeitslosenstatistiken zum Trotz – seit 2012 fast unverändert. Dass mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen, ist ein anderes Kapitel.

Warum so ein trauriges Gesicht?

Warum aber kann man sich dennoch des Gefühls nicht erwehren, dass es irgendwie oder anders mit allem und mit hoher Geschwindigkeit bergab geht? Warum schlägt sich unser Platz 13 im 160 Länder umfassenden Happiness-Index nicht in ein bissl mehr Happiness nieder? ­Warum so ein trauriges Gesicht? Je höher sie steigen, desto tiefer fallen sie?

Der Österreichische Journalist hat in seiner aktuellen Ausgabe das allbeherrschende Thema „Flüchtlinge” aufgegriffen – und zwar im Rahmen dessen journalistischer Aufbereitung („Und wo stehen wir? Wie Journalisten über das Thema Flüchtlinge berichten. Und was sie damit auslösen.”). Das Fazit: Die Berichterstatter in Österreich sehen sich immer weniger als diejenigen, die Nachrichten nach Relevanz filtern und entsprechend aufbereiten, sondern als jene, die Meinung bilden – teils mit unlauteren Mitteln. Die Beweggründe jedoch sind durchaus lautere; der Blickwinkel – diverse einschlägige Publikationen ausgenommen – ein begrüßenswert humanitärer.
Dazu kommt: Der als subjektiv kritisierte Blick auf die Ereignisse, der dem Leser weitergegeben wird, entspricht der empfohlenen Herangehensweise beim Einsatz der Neuen Medien: Personalisierung, die Marke mit Sinn, Bedeutung und materiell verwertbarer Identität aufladen – und: Personalisierung!
Zurück zu „Wie geht's Österreich?” Warum wird dieser positive Ansatz dann eigentlich nicht ausgeweitet? Warum umweht die (wirtschafts)politische Berichterstattung seit Jahren der Hauch verdorbener Ware? Und: Gibt es noch einen Mittelweg für eine halbwegs faktentreue Darstellung der Welt, wie sie ist, der das Gute schafft – ohne Gutes explizit zu wollen?

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