Microsoft bereitet mit Hochdruck die Markteinführung der HoloLens vor. Die Technologie ist einsatzbereit, nahezu wöchentlich werden neue Anwendungsfälle kommuniziert, und Entwickler reizen die Grenze dessen immer weiter aus, was mit einer holografischen Brille möglich erscheint. Spätestens 2016 wird Microsoft die HoloLens auf dem Markt anbieten – auf einem Preisniveau, das einen breiten Einsatz im Consumer- wie auch im Businesskontext ermöglicht. Wer braucht noch einen Monitor oder Fernseher, wenn alles holografisch und dreidimensional an Wände oder in den Raum projiziert werden kann?
Vielleicht ist Ihr Geschäftsmodell betroffen oder bietet Anknüpfungspunkte? Wer bei dieser Debatte mit Blick auf den anfänglichen Hype und den jähen Niedergang von Google Glass die neuen Möglichkeiten verkennt, steht fast zwangsläufig in Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Die aktuellen Besprechungen in Fachmagazinen und Blogs sind durchgängig geprägt von der erhöhten Convenience und der optischen Faszination, die durch HoloLens möglich werden. Diese Brille wird, das scheint unstreitig, Süchte auslösen und befriedigen. Was bei dieser bislang oberflächlichen Diskussion jedoch in den Hintergrund tritt, ist die zugrundeliegende Technologie: Dank des seit vielen Jahren exponentiellen Leistungsanstiegs von Computerchips steckt in den Datenbrillen mehr Rechenleistung als in den Rechnern der gesamten Apollo-Mission. Diese technologische Leistungsfähigkeit ermöglicht innovative Geschäftsmodelle, die die Verbreitung und den Erfolg der HoloLens prägen werden. Sie hat das Potenzial, so ganze Branchen zu verändern. Daher lohnt sich ein Blick auf die Treiber dieser Entwicklung.
Microsoft als Treiber
Google und Oculus hatten mit ihren Datenbrillen noch den Privatanwender und sein Unterhaltungsbedürfnis im Blick. Das Ergebnis ist ernüchternd. Die HoloLens soll eine völlig neue Grundlage für Augmented Reality bieten – Microsoft nennt es „mixed reality” –, die deutlich über das bisher Dagewesene hinausgeht.
Seit Jahren wird ein wesentlicher Teil der Microsoft-Softwareentwicklung auf die Entwicklung der HoloLens ausgerichtet. Ein zentraler Bestandteil ist die maximale Interkompatibilität des kommenden Betriebssystems Windows 10 über alle Plattformen hinweg – Desktop, Mobile, HoloLens. Damit bietet es die Grundlage für Entwickler, Anwendungen für HoloLens einfach zu programmieren, ohne sich dafür Spezialwissen aneignen zu müssen. Im Rahmen der Microsoft HoloLens Academy werden Programmierer gezielt angeworben, um denkbare Anwendungsfälle softwareseitig zu realisieren. Die mühsame nachträgliche Programmierung von API-Schnittstellen zu anderen Geräten und anderer Software entfällt. Damit schafft Microsoft die Grundlage für diverse Geschäftsmodelle entlang jeglicher Branchen.
Rapid-Realtiping
HoloLens ist also mehr als die inkrementelle Weiterentwicklung von Smartphone und Computern, ob zur Präsentation von Produkten und Lebenswelten für den Kunden oder zur maßstabsgetreuen, nahezu plastischen Konzeption von Modellen. Architekten erhalten die Möglichkeit, virtuelle Rundgänge mit Kunden oder zum Projektpitch mit Auftraggebern durchzuführen. Dafür muss noch nicht ein einziger Spatenstich erfolgt sein! Die erste Begehung wird buchstäblich auf der grünen Wiese stattfinden – und die Anpassung des Entwurfs per Drag & Drop möglich.
Damit reduziert sich die Fehlerwahrscheinlichkeit erheblich, System- und Planungskonflikte werden frühzeitig offensichtlich. Nicht nur die Planung der heimischen Küche beginnt mit der Definition der Laufwege – ein Paradigmenwechsel, der vor allem im Bereich der Gewerbeimmobilien vorangetrieben wird: Produktionsgebäude, Bürogebäude, Handelsflächen, Lagerflächen können unmittelbar von der Nutzung her konzipiert werden. Noch vor Baubeginn können sie auf ihre Praxis-tauglichkeit geprüft werden. „Form follows function” wird hier auf eine neue Stufe gehoben. Hatte Design Thinking in den vergangenen Jahren das Rapid Prototyping methodisch als Benchmark etabliert, ermöglicht HoloLens den entscheidenden weiteren Schritt: Rapid Realtyping! Die Anpassung der Immobilie durch Gestensteuerung, haptische und taktile Impulse im 3D-Modell integriert die Bauten in die geplanten Prozesse. Dasselbe gilt auf Ebene der Bautechnik: Die Anordnung und Koordination der Kräne, Baumaschinen und -logistik visualisiert der Bauleiter detailliert im Voraus, ohne dass der Auftrag überhaupt begonnen hat. Wer diese Technik als Ausrüster beherrscht, gewinnt einen deutlichen Marktvorteil.
Dies ist nur der Beginn des Wandels in der Immobilienbranche: In bestehenden Immobilien präsentieren Innenarchitekten neue Wohnkonzepte, ohne dass sich ein Gegenstand in der Wohneinheit befindet. Franchise-Geber zeigen neue Ladenkonzepte direkt am Ort. Immobilienmakler machen Wohnungen begehbar, ohne dass ein Interessent im Treppenhaus Schlange stehen muss, bieten aber den Praxistest: Wohnungsbesichtigung in der mit eigenen Möbeln eingerichteten Wohnung.
Designer, Architekten oder Zahnärzte können darüber hinaus Modelle von Möbeln, Gebäuden oder Zähnen zunächst virtuell gestalten und anschließend 1:1 mit einem 3D-Drucker umsetzen. Auch hier können Anwender sehr früh in Planungs- und Entwicklungsprozessen ihre Konzepte greifbarer tes-ten und mögliche Schwierigkeiten erkennen und ausbessern. Diese Form des intuitiven und unmittelbaren Zusammenspiels von Theorie und Praxis stellt diese Berufsbilder auf eine neue Grundlage.
Retouren: Das war einmal
Für Bekleidungshersteller und Modelabels ergibt sich die virtuelle, individualisierte Anprobe direkt im Geschäft oder von der heimischen Couch aus. Mit der Brille können sich die Kunden im Spiegelbild betrachten und nach Belieben andere Kleidungsstücke anprobieren – auf Sprachbefehl. Andere Farbe? Schnitt anpassen, kürzen? Kein Problem. All das, ohne einen Schritt gegangen zu sein. Aber auch hier ist die Bequemlichkeit bestenfalls ein Nebeneffekt. Wer durch die konsequente Nutzung von Datenbrillen bessere, also besser angepasste Kleidung anbieten kann, senkt seine Retourenkosten und steigert seine Attraktivität – handfeste Wettbewerbsvorteile.
Nähe ist kein Kriterium mehr
Wo heute Videotelefonie steht, werden wir uns morgen mit den Hologrammen unserer Freunde, Kollegen und Geschäftspartner unterhalten. Daraus entstehen direktere und natürlichere Gesprächssituationen trotz der geografischen Distanz – dies reduziert nicht nur die Anzahl der Geschäftsreisen. Örtliche Nähe, bislang ein begrenzender Faktor vieler Geschäftsmodelle, rückt als Kriterium in den Hintergrund. Allein der heilend-pflegerische Bereich bietet zahlreiche Chancen für neue Geschäftsmodelle: Der Therapeut kann seine Dienstleistungen in anderen Städten anbieten, Fitnesscoaching, Bewegungsoptimierung, bis hin zur Holosprechstunde des Kinderorthopäden. Für Heilberufe bieten sich hier ganz neue Chancen der Spezialisierung.
Neue Erlebnistiefe
Auch im Unterhaltungsbereich bietet HoloLens neue Optionen für Geschäftsmodelle. Im Kino wird eine neue Erlebnistiefe geschaffen: Brille aufsetzen, Video streamen, zugleich interaktive Elemente wahrnehmen und gleichzeitig Live-Events einbinden. Surround-Sound nimmt sich dagegen wie eine Basistechnologie aus. Kino und Gamingelemente verschmelzen zu interaktive Filmerlebnissen, bei denen die Zuschauer Teil der Geschichte werden und deren Verlauf beeinflussen können. Mit den Möglichkeiten der Augmented Reality verschmelzen hier Branchen – im Kino, zu Hause oder auf der Straße: Jump&Run-Spiele, Adventures und Simulationen werden greifbarer, realistischer, authentischer. Schatzsuchen, Rätsel und Rollenspiele werden um viel mehr als die dritte Dimension erweitert. Die Spielewelt wird Teil Ihres Wohnzimmers, hinter der Couch lauert ein Gegner, Sie werden zum Helden der Story. Sightseeing-Touren werden noch viel greifbarer und multimedialer. Zeit-Erlebnisreisen ermöglichen Rundgänge durch das ummauerte Berlin, Besuche his-torischer Uraufführungen lassen Sternstunden – zugegeben: auch Abgründe – der Menschheitsgeschichte erfahrbar werden.
So verbergen sich auch im Bereich Erziehung und Weiterbildung enorme Potenziale. Alle theoretischen Betrachtungen werden durch die reale Perspektive erweitert: Augmented Reality unterstützt den Lernprozess durch nahezu greifbare Visualisierungen mathematischer Modelle oder dreidimensionale Erläuterungen zur Montage von Motoren. Fahrschulen können ihren Lehrbetrieb von der Straße in die Brille verlagern. Die künstliche Trennung zwischen Theorie und Praxis wird damit weitgehend nivelliert.