Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider
TRANSFORMATIV. Die digitale Transformation schreitet in Unternehmen voran – mag man das wie auch immer bewerten. Ein Daran-Vorbeikommen ist – von vereinzelten EPU abgesehen, die sich traditionellen Materien wie der Flickschusterei verschrieben haben – mittlerweile weitgehend unmöglich. Doch „ohne Vereinfachung der Prozesse und Strukturen” werde die Veränderung nicht gelingen, sagte Ulrich Irnich (er ist tatsächlich „Director Simplification & Transformation” bei Telefonica Deutschland) eben auf der Konferenz re:publica in Berlin. Vereinfachung sei „der Klebstoff der Digitalisierung”. Wenn man einen schlechten Prozess digitalisiere, werde man auch nur einen schlechten digitalen Prozess herausbekommen.
Irnich ist Simplifikationsbeauftragter, er muss es wissen. Andererseits: Definieren Sie einen „schlechten Prozess” … Ein „schlechter Prozess”, das ist in den herrschenden Modern Times eigentlich jeder Prozess, der noch auf analoger Basis läuft. Und selbst der Unterschied zwischen analog und digital ist nicht ganz einfach darzustellen.
Jemandem, der die letzten hundert Jahre verschlafen hat – Dornröschen etwa – diesen Unterschied klar zu machen, und zwar im Kontext des heutigen Sprachgebrauchs, ist eine Aufgabe für rhetorisch Gewandte. Die Darstellung der unterschiedlichen Verarbeitung von Signalen – Schallwellen am Plattenspieler versus CD-Player, das sollte noch funktionieren. Um es zeitlich einzuordnen: Als Dornröschen einschlief, publizierte etwa Albert Einstein in Annalen der Physik schon den Artikel „Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie” – kurze Zeit später konnte man schon mit Binärcodes umgehen. Aber: Wie erklärt man die Verbindung zwischen der Überführung analoger Größen in digitale Werte mit so gut wie jedem existierenden Geschäftsmodell, ohne – siehe Anfang und Zitat Irnich – die Prozesse grundsätzlich zu hinterfragen?
Das Thema ist komplexer, als das ganze Theater rund um disruptive Change-Prozesse eigentlich klingt. Im Bankwesen etwa lautet die Frage schon längst nicht mehr, ob und wie Produkte und Dienstleistungen digitalisiert werden können, sondern ob es demnächst überhaupt noch Banken geben wird.
Ein nettes Statement dazu: Das oft und laut besungene disruptive Potenzial von Fintechs für Banken sei „ein Witz”, zitiert „Fonds Online” John Biggs, Fintech-Experte und Gründer des Bitcoin-Unternehmens Freemit. „Das einzig Disruptive an Fintechs sind die Innovationen, mit denen die Banken Fintech-Investoren abschrecken.”
Nur Mut!
Was bleibt, ist viel Ratlosigkeit einerseits, viel Mut und Erfindungsreichtum andererseits, sind überforderte Konzernkapitäne und zögernde Investoren – und eine allgemeine Verunsicherung.
Ob sich daraus wie im Gefolge jeder industriellen Revolution bahnbrechend Neues und gleichzeitig Verträgliches für Wirtschaft und Gesellschaft ergeben wird – oder aber eine anhaltende Krisenstimmung, das werden wir sehen. Andererseits: Heiß gekocht ist noch nicht heiß gegessen. Und selbst Microsoft-Gründer Bill Gates hatte so seine Startschwierigkeiten mit dem technologischen Wandel.