••• Von Dinko Fejzuli
Öffentliche Ausschreibungen seien zu einem reinen Formalismus verkommen. Egal ob man eine Firma für den Bau einer Brücke suche oder ein neues Logo etwa für ein Ministerium benötige, die Vorgaben, wie der Auftrag auszuschreiben und zu vergeben sei, seien in den letzten Jahren immer komplizierter und aufwendiger geworden, so Rechtsanwalt und Vergaberechtsexperte Martin Schiefer.
Nun soll ein neues Vergaberecht alles besser machen. Die Gunst der Stunde nutzt auch Schiefer – und eröffnet die gleichnamige Kanzlei, um als Spezialist öffentliche Stellen bei der Ausschreibung darin zu beraten, nicht nur formal alles richtig zu machen, sondern am Ende auch den besten Auftragnehmer zu finden. Dies muss nicht immer der billigste sein – das macht nun auch das neue Gesetz endlich möglich.
medianet: Herr Schiefer, in Bezug auf öffentliche Ausschreibungen gilt es, ein neues Vergabegesetz zu beachten. Wie stellt sich die Situation nun dar?
Martin Schiefer, Schiefer Rechtsanwälte: Als ich vor 20 Jahren mit dem Vergaberecht begonnen habe, hatte das Gesetz ca. 100 Paragrafen, mittlerweile sind es mehr als 400. Es ist eine Disziplin für Fachleute geworden, und der eigentliche Zweck ist in den Hintergrund getreten. Im Moment ist es ein reiner Formalismus. Man muss darauf achten, dass alle Subunternehmen richtig benannt werden, dass alles unterschrieben ist und die richtigen Referenzen benannt sind. Aber gerade bei Agenturen geht es nicht um Formalismen, sondern um Kreativität und darum, die besten Ideen für den Kunden zu entwickeln. Mit der Gründung meiner neuen Kanzlei versuche ich, dieses Thema auf ein Niveau zurückzuführen, auf dem es Unternehmen wieder Spaß macht, bei Ausschreibungen mitzumachen.
medianet: Wie können Sie bei einem Gesetz konkret helfen, das offensichtlich nicht für die Branche gemacht ist?
Schiefer: Das neue Vergabegesetz lässt Interpretationsräume zu; diese muss man als Auftraggeber nur finden bzw. finden lassen. Das Vergabegesetz lässt zum Beispiel Markterkundung zu. Das heißt, ich kann im Vorfeld den Markt screenen, ohne dabei strengen Regeln unterworfen zu sein. Das ist besonders spannend bei Social Media, bei neuen Technologien oder bei der Digitalisierung. Hier kann man die Pre-Qualifikationsphase, also wie man zu den Agenturen kommt, knapper formulieren.
medianet: Was ist da derzeit das Problem?
Schiefer: Derzeit werden Umsatzzahlen, KSV-Ratings, die Mitarbeiteranzahl abgefragt und von Rechtsanwälten oder Unternehmensberatern einfach und immer wieder abgeschrieben. In meiner Kanzlei wird dieser Prozess abgeschlankt. In einer persönlichen Präsentation soll die Agentur vor einer Bewertungskommission überzeugen, warum sie die beste Agentur für diese Aufgabenstellung ist. Damit ist mit weniger Aufwand schon viel früher klar, mit welcher Agentur ich zusammenarbeiten möchte.
medianet: Wer ist Ihre Zielgruppe? Sind es die Agenturen oder die Auftraggeber?
Schiefer: Meine Zielgruppe ist historisch gewachsen und ist der Auftraggeber. Um aber eine gute Ausschreibung machen zu können, muss man den Markt kennen und verstehen. Daher bin ich immer im Austausch mit den Agenturen. Ich will ihre Probleme verstehen, um es so zu übersetzen, dass es im Vergabeprozess zu guten Lösungen kommt.
medianet: Und was unterscheidet Sie von den Pitch-Beratern?
Schiefer: Mich unterscheidet, dass ich der Übersetzer bin. Der Pitch-Berater kommt aus der Branche und macht den Inhalt. In diesen Bereich mische ich mich nicht ein. Mein Ziel ist es, dass dieser juristische Prozess, der sich über Jahre verkrustet hat, wieder aufbricht und durch meine Kanzlei anders übersetzt wird.
medianet: … indem was passiert?
Schiefer: Wir starten im Herbst mit drei Agenturausschreibungen, bei denen wir den neuen Ansatz anwenden – auch im Interesse des Auftraggebers, denn er möchte auch nicht siebzehn Agenturen einladen, auf sechs runterscreenen, auf weitere drei reduzieren und zum Schluss bleibt eine Agentur übrig, die nicht ideal ist. Es muss mehr Fairness hinein und die heißt: Ich will dich oder ich will dich nicht. Und das soll der Auftraggeber bzw. die Bewertungskommission viel früher entscheiden können.
medianet: Für welche Branchen sind Sie besonders qualifiziert?
Schiefer: Wir kommen sehr stark aus dem IKT, Gesundheitsbereich, Verkehrs- und Kommunikationsbereich. In diesen Bereichen bewegen wir uns und wollen wir uns auch in Zukunft positionieren.
medianet: Können Sie uns bitte noch näher erklären, was das neue Vergabegesetz kann.
Schiefer: Mir ist wichtig, dass aus Sicht des Auftraggebers Kreativität besser bewertet werden kann, denn dieser entscheidet auch. Der Auftraggeber darf sich was wünschen. Wenn er sich eine konservative Idee wünscht, dann ist das so, auch wenn die Agentur anderer Meinung ist, und umgekehrt. Ich glaube, das müssen Agenturen akzeptieren. Je schneller sie sich darauf einstellen, desto besser geht es ihnen danach.
Zusätzlich können künftig die Bewertungskommissionen stärker betont werden und stellen damit den Kreativprozess wieder in den Vordergrund. Wobei man darauf achten muss, dass die Agenturen nicht zu sehr belastet werden. In der Vergangenheit wurden oft 47 Ausführungen in drei Runden gefordert. Das ist übertrieben. Kreativleistungen müssen erkannt werden, ohne dass großartige Ausführungen, Minifilme oder Theaterstücke aufgeführt werden.
medianet: Auf der anderen Seite sind die Ausschreibungsbedingungen aber oftmals so formuliert, dass sie genau nur eine Agentur erfüllen kann.
Schiefer: Das lässt sich dadurch verhindern, indem man Fragen an den Auftraggeber stellt, was Agenturen selten machen. Da fordere ich auch die Agenturen auf, aktiver zu werden und mit dem Auftraggeber in eine Diskussion zu gehen. Wenn das mehrere Agenturen machen, dann wird das die Auftraggeber zum Umdenken führen.
medianet: Wie schafft man es im Rahmen all dieser Formalismen, noch die Kreativität zu retten?
Schiefer: Indem man diese Formalismen wieder aufbricht und durch Entscheidungen ersetzt, die es auch gibt von den Verwaltungsgerichten, wie zum Beispiel eine Bewertung durch Bewertungskommissionen.
Was einzelne Vertreter der Branche zum neuen Gesetz sagen, lesen Sie auf der nächsten Seite.
Und das sagt die Branche
Was sagt die heimische Agentur-Branche zum neuen Vergaberecht? Michael Piber, Geschäftsführer Reichl und Partner Werbeagentur, etwa meint gegenüber medianet: „Bisher war das neue Vergaberecht noch kein großes Thema. Reichl und Partner sieht das neue Vergaberecht grundsätzlich positiv, da das Bestbieterprinzip vs. das Billigbieterprinzip gestärkt wird. Jedoch ist der bürokratische Aufwand und der damit verbundene Kostenaufwand für die Abwicklung von öffentlichen Ausschreibungen erheblich. So wird meistens erst in der zweiten Stufe eine finanzielle Entschädigung angeboten, und dies ist auch nicht der Regelfall.”
Anpassungen werden begrüßt
Tina Kasperer, Geschäftsführerin der Allmediabizz Mediaagentur, begrüßt ebenfalls grundsätzlich die Anpassung der Vergaberichtlinien an europäische Standards ebenso wie das Wegfallen der „antiquiert anmutenden Zeremonie der öffentlichen Angebotsöffnung”. Und: Kasperer weist auf den Umstand hin, dass Fehler während der Ausführung für Auftragnehmer eine Sperre bei künftigen Ausschreibungen nach sich ziehen können. „Das ist fast revolutionär und sollte die Bereitschaft, absolut korrekt vorzugehen, noch erhöhen”, so Kasperer.
Ebenfalls erfreut ist sie über den Wechsel vom Billigst- zum Bestbieter-Prinzip.
Angelika Hammer, Geschäftsführerin der Agentur kraftwerk, begrüßt die Idee der Einführung einer zentralen Plattform, über die alle Ausschreibungen des Bundes und der Länder durchgeführt werden „und die auch funktioniert”. Ein leidiges Thema bleibe aber auch weiterhin der Aufwand, den Agenturen für einen Pitch betreiben müssten – hier spricht sie von Kosten zwischen 30.000 und 100.000 €, die unweigerlich zur Frage der Wirtschaftlichkeit sowohl für das Verfahren als für den Auftrag führten. „Das wird niemals durch Abstandshonorare vom im Schnitt 5.000 Euro wettgemacht.”
Schein-Briefings?
Irene Sagmeister, Eigentümerin und GF We Love\TBWA, bestätigt, dass auch für ihre Agentur die Änderungen im Vergaberecht ein Thema waren und sind, aber „in dem Sinn, dass Ausschreibungen vorgezogen wurden, um die Anwendung des neuen VGR zu vermeiden”. Denn, so Sagmeister gegenüber medianet: „Neben ein paar Verbesserungen wie bessere Chancen für kleinere Agenturen durch Änderung der Umsatzvorgaben sehen wir einen Punkt sehr kritisch: Der Zwang zur Offenlegung aller Infos gleich zum Start zwingt die Ausschreibenden, das gesamte Briefing schon zum Start öffentlich zu machen. Das kann nur dazu führen, dass Ausschreibungen mit ‚Spiel-Aufgaben' veranstaltet werden und die echte Aufgabe dann erst später gelöst wird. Das führt den Prozess de facto ad absurdum. Kein Auftraggeber wird die Details seiner Unternehmensstrategie, Produktneuerungen oder sonstige Pläne einem so großen Kreis offenlegen. Noch mehr leere Kilometer also – sowohl für Kunden als auch Agenturen.
Saskia Wallner, Geschäftsführerin Ketchum Publico, meint gegenüber medianet: „Wir haben einige Kunden aus dem öffentlichen Bereich und nehmen die Bürden und den Aufwand einer öffentlichen Ausschreibung eben in Kauf. Lästig ist es, wenn nach einem aufwendigen Prozess das last and binding-Offer gelegt werden muss und man dann möglicherweise wegen eines geringfügigen Betrags nicht zum Zuge kommt – ohne Möglichkeit, zu verhandeln.”
Was sagt der Fachverband?
Und was sagt der Branchenverband zu den Neuerungen? Gegenüber medianet weist Angelika Sery-Froschauer, Obfrau Fachverband Werbung und Geschäftsführerin ihrer eigenen Agentur Sery Brand Communications, vor allem auf die wichtigsten Neuerungen hin, wie etwa die verpflichtende vollelektronische Vergabe (und damit das verpflichtende vollelektronische „Bieten” über eine Plattform und nicht mehr in Papierform).
Aufgrund des zeitlichen und politischen Drucks wegen Säumigkeit bei der Umsetzung des EU-Vergaberechts konnte übrigens ein vom Fachverband Werbung vorbereiteter Abänderungsantrag nicht mehr in der parlamentarischen Beschlussfassung vor der Sommerpause 2018 berücksichtigt werden. Es wurde jedoch politisch zeitnah eine weitere Vergabegesetznovelle für Anfang 2019 in Aussicht gestellt, bei der die offenen vergaberechtlichen Forderungen für Kreativleistungen berücksichtigt werden sollen. Dabei geht es um Fragen wie etwa, dass, um eine hohe Teilnahmequote von Werbeunternehmen zu erhalten, bisherige in der Praxis vorhandene Auslegungsschwierigkeiten in Bezug auf die Abgeltung von aufwendig erstellten Präsentationen abgegolten werden sollten, oder etwa bei der Festlegung des Mindestgesamtjahresumsatzes als Eignungskriterium die Struktur des Leistungsversprechens zu berücksichtigen ist. „Dies deshalb, da die Erbringung dieser Dienstleistungen in keinem wesentlichem Zusammenhang zum Gesamtumsatz in der Vergangenheit stehen”, so Sery-Froschauer.