Der Innovator „Wir verändern die Arbeitskultur im Umgang miteinander und mit unseren Kunden” – den Anfang macht natürlich die Managementebene, sagt Michael Kleiter-Bingel, Geschäftsführer von Aon Österreich, der heimischen Dependance des weltweit größten Versicherungsmaklers.
Wien. Der Kollaps klassischer Geschäftsmodelle ist in aller Mund – allerdings nicht in Schumpeters positiver Interpretation der „schöpferischen Zerstörung”, die Innovationen auslöst, sondern im Sinne des Versagens tradierter Strategien und des Fehlens adäquater Alternativkonzepte. Das gilt auch für die ganz „Großen”, für global fest verankerte Konzerne mit jahrzehntelanger Geschäftserfahrung: „Auch unser Business hat in den letzten Jahren an Dynamik eingebüßt”, beschreibt Michael Kleiter-Bingel, Geschäftsführer von Aon Österreich, der heimischen Dependance des weltweit größten Versicherungsmaklers, die Problematik dieser Branche. „Die wirklich große Innovation, der große Wurf, die Zusammenführung bestehender Lösungen hin zu einem neuen Produkt, das hat im Prinzip nicht stattgefunden.”
Eine neue Arbeitskultur
Die Probleme der Kunden hätten sich gewandelt. Heute stünden insbesondere für die Aon-Klienten im Industriesegment Themen wie Cyberrisiken, Lieferkettenrisiken, Risiken aus Betriebsunterbrechungen ohne vorhergehende Sachschäden – „wenn etwa, Stichwort Fukushima, ein Produzent von Teilen in Japan ausfällt und hierzulande die Produktion beeinträchtigt wird”, wie Kleiter-Bingel erklärt – im Vordergrund, oder auch spezielle Absicherungskonzepte für Investitionen.
Kleiter-Bingel ist seit April 2014 als Leiter der Österreich-Niederlassung im Amt. Sein „Startvorteil”: Er wusste, dass keine Zeit zu verlieren war. „Wir haben letztes Jahr unsere gesamte Organisation reengineered”, erzählt er. „Einen Monat, nachdem ich gekommen bin, haben wir angefangen. Bis Jahresende waren Konzept und Struktur fertig. Seit heuer sind wir in der Umsetzung, zu 70 bis 80 Prozent werden wir auch das bis Jahresende erledigt haben.” Das Ziel: eine Veränderung der Arbeitskultur – „eine ganz klare Ausrichtung auf den Nutzen für den Kunden”, sagt Kleiter-Bingel. „If you don't have customers, you don't have a business. You have a hobby”, wie es die CRM-Expertin und Bestsellerautorin Martha Rogers schon in den Neunzigern beschrieb.
„Warum machen wir das jetzt?” nimmt der Aon Österreich-Chef die Frage vorweg. „Schlechte Umsätze, schlechter Ertrag, gibt es einen Anlass? Nein,es ist ganz einfach. Weil wir es uns jetzt leisten können. Ganz banal. Denn, wenn wir es uns nicht mehr leisten können, wenn wir unter Druck geraten – das haben wir in der Vergangenheit bei vielen Unternehmen gesehen –, dann wird’s blutig und dann bekommen wir auch den kulturellen Change nicht mehr hin.” – „Wir nehmen ein Risiko auf uns, wo wir es eigentlich nicht müssten, um das Risiko in der Zukunft zu minimieren.”
Radikale Schritte
Aon ist für die größten heimischen Unternehmen im Industriebereich tätig, entwickelt auch spezielle Konzepte und Sonderlösungen für Berufsgruppen wie Anwälte, Architekten, Ingenieure und Wirtschaftsberater. „Aber auch im Industriebereich ist jede Polizze ein handgeschriebenes Werk”, ergänzt Kleiter-Bingel den Zugang des Unternehmens in der Kundenbetreuung. „Wir bringen die Volatilität in den Ergebnissen unserer Kunden in Balance. Das versuchen wir in den von uns entwickelten Lösungen auszudrücken. Die Versicherung ist letztendlich nur das Endprodukt der Risikoberatung.” Aus diesem Bedarf nach maßgeschneiderten Lösungen heraus arbeitet Aon Österreich mit über 100 Versicherungsgesellschaften zusammen. „Wir müssen in der Lage sein, zu jedem Thema den entsprechenden Spezialisten beizubringen. Wir machen das Wording, der Versicherer übernimmt das Risiko.”
Das Betätigungsfeld ist breit gefächert, die Herausforderung groß: Aon, als Berater spezialisiert auf Risikomanagement und Versicherungslösungen, beschäftigt in Österreich rund 240 Mitarbeiter an sechs Standorten. Das Unternehmen platziert für seine Kunden hierzulande Versicherungsprämien im Wert von 400 bis 450 Mio. € pro Jahr, das ist ein Marktanteil von rund sieben Prozent am etwa sechs Mrd. € schweren Nichtleben-Prämienvolumen in Österreichs Versicherungslandschaft.
„Wir sind im Moment das einzige Unternehmen in diesem Segment Versicherungsmakler, das diesen radikalen Schritt macht”, sagt Kleiter-Bingel. „Wir richten uns jetzt auf unsere Zukunft aus. Wir haben erkannt, dass die Welt sich verändert, zunehmende Komplexität, Globalisierung … Darauf müssen wir antworten. Früher haben wir zwischen Kunde und Versicherung eine Verbindung hergestellt, die dann zu einem Ergebnis geführt hat. Heute geht es vielmehr darum, dass wir nicht nur eine Verbindung herstellen, sondern dass wir ganz gezielt vom Kunden heraus erfragen: Was ist die Lösung, die du brauchst? Dass wir den Versicherer dorthin bringen, diese Lösung zu liefern, die Märkte dorthin bringen, diese Lösungen zu akzeptieren. Weg von einer verwaltungs- und vermittlungsorientierten Aktivität hin zu einer Beratungsaktivität, die dem Kunden hilft, ihn nachhaltig und robust in die Zukunft zu tragen. Der Kunde trifft die Entscheidung. Wir verkaufen ihm nichts – außer der Entscheidungshilfe.”
Aon Österreich wurde in drei Segmente unterteilt – „Broking”, der Einkauf, „Operations”, das Prozesse und Abwicklung beinhaltet, und schließlich „Sales”, der Vertrieb. Kleiter-Bingel schmunzelnd: „Am Ende des Jahres haben wir festgestellt: Jetzt sind wir im Grunde genauso strukturiert wie die meisten unserer Kunden. Das war eigentlich auch die Bestätigung, dass wir es wohl richtig gemacht haben.”
Kultureller Wandel
Diese Veränderung der Arbeitskultur sei jedoch „eine radikale”: „Wir verändern die Arbeitskultur im Umgang miteinander und mit unseren Kunden.” Den Anfang macht die Managementebene, die die neue Kultur nach unten trägt. „Ich bin außerdem der Meinung, wenn ich es nicht vorlebe, dann kann es keiner nachmachen.” Dazu holt Aon Österreich auch regelmäßig Kundenfeedback ein. „Wir können auf Grundlage dieser Befragungen auch unsere Honorierung abhängig machen”, erklärt Kleiter-Bingel. „Ich bin in der Lage, dem Kunden am Anfang des Jahres zu sagen: Wenn du am Ende des Jahres mit meiner Leistung nicht zufrieden bist, musst du weniger bezahlen. Wir machen das schon seit drei Jahren und wir haben noch nie weniger bekommen.” „Zusätzlich gehen wir jetzt mit Triple-A und der Triple-A-Methode völlig neue Wege in der Marktbearbeitung. Das heißt: Unsere Projekte für Kunden und mit Kunden sind messbar, berechenbar und bilanzwirksam. So gehen wir als Themenführer mit neuen Geschäftsmodellen auf unsere Kunden zu.”
„Und wenn andere denken ‚Wenns mir gut geht, dann geht’s dem Unternehmen gut', dann bin ich davon überzeugt: Wenn's dem Unternehmen gut geht, geht’s auch mir gut”, sagt Kleiter-Bingel abschließend. Die Ergebnisse, davon ist er überzeugt, werden für sich sprechen.