••• Von Christian Novacek
WIEN. Spar-Vorstand Markus Kaser warnt: „Eine mögliche Einführung des Nutri-Scores in Österreich liegt auf dem Tisch, und wir sehen, dass dieses sehr mangelhafte System die Konsumentinnen und Konsumenten in die Irre führen wird, anstatt sie bei einer gesunden Ernährung zu unterstützen. Wir brauchen daher dringend eine Überarbeitung des Nutri-Scores, einen ergebnisoffenen Diskurs und vielleicht sogar ein gänzlich neues Kennzeichnungssystem.” Und im Nachgang salopper formuliert: „Auskennen wird sich mit dem Nutri-Score keiner, also braucht es Besseres – das ist aber kein Projekt für die nächsten zwei Monate, sondern für mehrere Jahre!”
Erfunden, etabliert, kritisiert
Den Nutri-Score erfand die französische Gesundheitsbehörde 2017 auf Basis des Nährwertprofils der britischen Food Standards Agency. Mehrere europäische Länder haben ihn eingeführt, und aufgrund der Importwaren blitzt die Ampel (Kennzeichnung durch fünfstufige Farbskala von grün bis rot; in Buchstaben von A bis E) auch immer öfters in den heimischen Supermarktregalen auf.
Im Wesentlichen werden den guten Nahrungsbestandteilen eines verarbeiteten Produkts die negativen gegengerechnet. Berechnet wird immer auf 100 g bzw. 100 ml – was durchaus kritisch gesehen werden kann.
Berglandmilch-Chef Josef Braunshofer führt das vor Augen: „Diese Berechnungsmethode führt beispielsweise dazu, dass das reine Naturprodukt Butter, von dem ich mir niemals 100 Gramm auf einmal aufs Brot schmiere, schlecht bewertet ist. Und das gesundheitlich aus meiner Sicht bedenkliche Joghurt mit künstlichen Süßstoffen erhält eine bessere Nutri-Score-Bewertung.”
Schlichtweg würden sich Süß-,Farb-, Konservierungsstoffe und auch Palmöl nicht negativ auf den Nutri-Score auswirken – was Kaser zum Anlass nimmt, einen beinah erzürnten Vergleich zu ziehen, nämlich den von Olivenöl (Nutri-Score: C, also fast schon böse) zu Coke Zero (Nutri-Score: B, also fast schon gesund). Das Resümee des Spar-Vorstands: „Wir haben große Erfahrung, wenn es um die Qualität von Lebensmitteln geht, und wir sagen daher ganz deutlich, dass wir kein Kennzeichnungssystem übernehmen wollen, das nur einen Bruchteil aller Aspekte der Lebensmittelqualität berücksichtigt.”
Scheuklappensicht?
Ein weiterer, wesentlicher Kritikpunkt, den die Anti-Nutri-Score-Allianz zum Zeitpunkt der Präsentation diese Woche, bestehend aus Kaser, Braunshofer, Friedrich Hoppichler (Vorstand der Inneren Abteilung und Ärztlicher Direktor der Barmherzigen Brüder Salzburg sowie Vorstand von SIPCAN) und Vivatis-Chef Gerald Hackl, vorbringt: Der Nutri-Score informiert über den Wert eines Produkts im Vergleich zu anderen Produkten in derselben Lebensmittelkategorie, sagt also genau genommen nichts darüber aus, ob das Produkt an sich gesund oder ungesund ist.
Das heißt: Konsumenten dürfen nur Pizza mit Pizza und Joghurt mit Joghurt vergleichen. „In der Theorie klingt das Nutri-Score-Kennzeichnungssystem logisch, aber in der Praxis besteht die Gefahr, dass die Menschen die Farbgebung mit ‚essen' und ‚nicht essen' assoziieren”, erläutert Hoppichler, der den Nutri-Score auch im wissenschaftlichen Gutachten unter die Lupe genommen hat.
Er ergänzt: „Die Ausklammerung von Süßstoffen sehe ich kritisch, da der Nutri-Score quasi dazu auffordert, statt Zucker Süßstoffe zu verwenden, um eine bessere Bewertung zu erhalten. Wir wissen aber aus Studien, dass es einen Zusammenhang zwischen einem regelmäßigen Konsum süßstoffhaltiger Lebensmittel und erhöhten Gesundheitsrisiken – von Bluthochdruck bis hin zu Diabetes – gibt.” Die Ampel der Weisheit steht also auch hier vorerst auf rot.