••• Von Julia Maier
WIEN. Täglich werden Ernährungsmythen und Skandale aus der Lebensmittelindustrie in den Medien vorgepredigt. Doch was sollen Konsumenten glauben, was dürfen sie essen und von welchen Lebensmitteln lieber die Finger lassen? Verbraucher finden sich in einem Dschungel aus Widersprüchen, Ratschlägen und ernährungsbezogenen Aussagen wieder, aus dem zu entkommen schier unmöglich erscheint.
Laut Ernährungswissenschaftler Jürgen König und Christoph Klotter von der FH Fulda ist es vor allem die verloren gegangene Ernährungskompetenz, die uns beim Essen ratlos und verunsichert am Tisch zurück lässt. Die stagnierende Anzahl der Bauern und die weite Distanz der Städter zur Lebensmittelproduktion stören das natürliche Verhältnis zu Lebensmitteln und deren Produktion. „Alle wollen Bio und regionale Produkte, aber keiner möchte etwas dafür tun, beispielsweise selbst Gemüse und Obst anbauen oder im Supermarkt mehr Geld für Lebensmittel bezahlen”, betont König. Ein weiteres Problem an unserem Essverhalten sehen die beiden in der Vielfalt an Food Cues und komfortablen Einrichtungen, die uns im Alltag offeriert werden. Denn warum sollte man im Supermarkt teurere Lebensmittel kaufen und sich nach der Arbeit zwei Stunden in die Küche stellen, um eine gesunde Mahlzeit zuzubereiten, wenn man am Heimweg bei einem Fast Food-Drive-In vorbeifährt oder sich gar mit nur einem Klick im Internet eine Pizza nach Hause liefern lassen kann?
Werden Convenience-Produkte kritisiert, geht dies, laut König, Hand in Hand mit der Kritik an der Gleichstellung zwischen Mann und Frau: „Ich kann mich nicht über das Angebot an Fertiggerichten und Fast Food beschweren und gleichzeitig dafür plädieren, dass sowohl Frau, als auch Mann ganztags arbeiten sollen. Nach einem 9-Stunden-Arbeitstag ist nicht immer die Lust da, noch ein gesundes 3-Gänge-Menü zu zaubern, das wissen wir alle.”
Was glauben wir?
Dass sich in den Medien oft widersprüchliche Themen, nicht nur hinsichtlich Ernährung, finden, ist allerorts bekannt. Und doch lassen wir uns viel zu oft von Schlagzeilen und Skandalen in Zeitung, Fernsehen und Co. beeinflussen und in die Irre führen. Zu groß scheint auch die Vielfalt an vermeintlich neuen Erkenntnissen, Tipps und Tricks, um sich im Meinungswirrwarr zurechtzufinden. „Mit Diätwundern oder Heilungsversprechen lassen sich Schlagzeilen machen. Es braucht deshalb eine Allianz der Vernunft all jener, die Empfehlungen rund ums Essen machen – also der Politik, von Gesundheitsexperten, der Wissenschaft und der Medien”, fordert Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser. Angespielt wird auf die unzähligen Mythen, die wir täglich mitbekommen und scheinbar ohne weiteres Zutun akzeptieren.
Das forum. ernährung heute, Verein zur Förderung von Ernährungsinformation, führte im August 2015 mittels quantitativer Online-Umfrage und qualitativer Studie mit Live-Chat einen Mythen-Check durch, der im Rahmen des 6. Symposiums zum Thema „Über Mythen, Widersprüche und Skandalisierung zum Essen” vor rund 150 Ernährungsexperten vorgestellt wurde. Ziel war die Eruierung, welche Weisheiten und Meinungen in der österreichischen Bevölkerung kursieren und wie es um das Informationsverhalten steht. Bekannte Mythen, die beispielsweise das Frühstück als wichtigste Mahlzeit des Tages lobpreisen und die Kohlenhydrate am besten ganz von unserem Speiseplan streichen (da diese ja der wahre Grund für Übergewicht sind), sind im österreichischen Volksmund weit verbreitet. „Diese Weisheiten stimmen so nicht und sie können nicht verallgemeinert werden. Grundsätzlich machen Kohlehydrate natürlich nicht dick, solange man nicht übertreibt und sich bewusst und ausgewogen ernährt”, weiß Marlies Gruber, wissenschaftliche Leiterin des forum. ernährung heute.
Erstaunlich ist, dass längst von der Wissenschaft widerlegte Sager, wie „Eier erhöhen den Cholesterinspiegel” und „Schnaps hilft bei der Verdauung” immer noch von etwa zwei Drittel der Befragten geglaubt werden. „66,1 Prozent der Umfrageteilnehmer sind nach wie vor davon überzeugt, dass Spinat viel Eisen enthält, obwohl längst bekannt ist, dass sich bei einer Ernährungstabelle vor vielen Jahren ein Fehler eingeschlichen hat, und das Komma falsch gesetzt wurde”, so Gruber. Solche Irrtümer verbleiben offensichtlich lang in unseren Köpfen und werden durch das wiederholte Aufgreifen der Medien noch fester verankert.
Die wohl problematischste Quelle hinsichtlich Ernährungsweisheiten ist das Internet. Hier wird gefunden, was gesucht wird, mit Garantie. Auch wenn widersprüchliche Inhalte angezeigt werden, wird das geglaubt und im Bewusstsein behalten, was einem inhaltlich gefällt; gegensätzliche Meinungen werden aus dem Gedächtnis verdrängt. „Ratschläge verschiedener Ernährungsberater und -wissenschaftler, die sich an die Allgemeinheit richten, sind sowieso mit Vorsicht zu genießen. Auch hier gilt ‚One size does not fit all' – man kann nicht behaupten, dass alle Lebensmittel mit hohem Kaloriengehalt grundsätzlich schlecht sind. Das richtet sich natürlich auch nach den anderen Inhaltsstoffen und vor allem auch danach, wer das Produkt zu sich nimmt”, betont Jürgen König.
Vorsicht bei Studien
Auch Ernährungsstudien, so glaubwürdig die Quelle scheinen mag, müssen nicht unbedingt einen hohen Wahrheitsgehalt aufweisen. In der Regel bestehen sie nur aus statistischen Zusammenhängen, Kausalitäten können wissenschaftlich meist gar nicht belegt werden. „Studienautoren, wissenschaftliche Institutionen sowie Medien sind deshalb gefordert, Ergebnisse und ihre teils fragwürdigen Interpretationen kritisch zu betrachten”, so Uwe Knopp, deutscher Ernährungswissenschaftler.
Ebenfalls nicht blind vertraut werden sollte Skandalisierungen. Für die Medien bieten Missstände, vor allem in Bezug auf Essen, emotionalen Zündstoff. Die oft bewusst gewollte Panikmacherei darf aber hier nicht einfach hingenommen werden. „Wir alle erinnern uns an den BSE-Skandal. Bei 125 Rindern wurde 2001 in Deutschland die Krankheit diagnostiziert. Dass aber 2,8 Mio. Rinder getestet wurden und somit die Wahrscheinlichkeit einer Infizierung bei 0,004% lag, berichtete kaum ein Medium”, gibt Hans Mathias Kepplinger von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz zu bedenken. Bei Skandalen ist daher Transparenz darüber, wer wirklich betroffen ist und wie dagegen vorgegangen werden kann, enorm wichtig.
