Heftiger Gegenwind für die Zuckerlobby
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RETAIL Redaktion 31.01.2020

Heftiger Gegenwind für die Zuckerlobby

Initiiert von Spar, sagen 38 Mitglieder der zucker-raus-Allianz dem hohen Zuckerkonsum den Kampf an.

••• Von Christian Novacek

Es ist nicht ganz lange her, nämlich in den 70ern, da war die Zuckerlobby mächtig und der Zucker unschuldig. So wurde beispielsweise in den USA empfohlen, vor dem Mittagessen doch herzhaft Süßes zu naschen, weil das den Hunger verringert. Ein leckeres Eis voraus und der Appetit nimmt ab, und die Botschaft dazu: Wenn du schlank werden willst, iss mehr Zucker, vor allem vor den Mahlzeiten.

Legenden dieserart sind heute medizinisch widerlegt. Die Zuckerlobby ist aber immer noch mächtig. Und die Lösungsansätze in der Industrie (Süßstoffe) gelegentlich fragwürdig.
Den Gegenwind für die süßen Zuckerbäuschchen, die mal mehr mal weniger versteckt durch die Lebensmittelindustrie schweben, produziert hierzulande seit 2017 die Handelskette Spar mit ihrer „zucker-raus-initiative”. Spar-Vorstandssprecher Gerhard Drexel zur Motivation dahinter: „Die Zuckerlobby übernimmt keine Verantwortung für gesunde Ernährung. Wir als Spar agieren daher prälegislativ, wir haben uns die Verantwortung selbst gegeben.”
Dass das gut ist, belegt der Händler anhand einer in seinem Auftrag durchgeführten Umfrage von Marketagent (1.001 Personen zwischen 16 und 69 Jahren). Demnach unterschätzen 92% der Österreicher ihren eigenen Zuckerkonsum drastisch. Ungewollt liebäugeln sie mit Folgeerkrankungen wie Diabetes, Adipositas, nicht alkoholischer Fettleber, Herz-Kreislauferkrankungen und sogar Demenz.
Dabei wäre ihr Zugang zum eigenen Zuckerkonsum durchwegs redlich, sprich: Die Konsumenten wünschen sich eine Zuckerreduktion in Nahrungsmitteln. In erster Linie bei Getränken (13,7%), bei Joghurt (10,8%) und Cerealien bzw. Müsli (9%). Auffälligerweise nicht bei Süßwaren – die deklarierte Sünde darf zuckerhältig bleiben.

Systematisch überzuckert

Faktisch schaut die Ernährungssituation derzeit alles andere als zuckerfrei aus: Durchschnittlich konsumiert der Österreicher jährlich 33,3 kg Zucker in Rohform, verarbeiteten Lebensmitteln oder Getränken; das entspricht 91 g am Tag. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dagegen empfiehlt maximal 50 und idealerweise 25 g Zucker täglich.

Vorgabe erfüllt

Das Abgraben des Zuckerbergs via Spar plus Allianzpartner schlägt sich indes bereits mit 6.700 t eingespartem Zucker zu Buche. Allein bei den Spar-Eigenmarken (40% Umsatzanteil) wurden früher als erwartet, nämlich jetzt statt erst per Jahresende, 1.000 t eingespart. Entsprechend ambitioniert ist die neue Vorgabe: „Die Ergebnisse aus den aktuellen medizinischen Studien sowie aus der Meinungsumfrage sind für uns Antrieb, Motivation und auch Bestätigung, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen”, resümiert Drexel und stellt klar: „Wir haben daher unser Ziel erneuert und wollen bis Ende 2021 insgesamt 2.000 Tonnen Zucker einsparen.”

Das soll übrigens konform mit den Vorlieben der Konsumenten gehen: „Wir konnten genau in den von den Konsumenten gewünschten Produktgruppen Getränke, Molkereiprodukte und Cerealien am meisten Zucker reduzieren”, führt der Spar-Chef aus und verweist darauf, dass allein 43% der 1.000 t Zucker bei den Getränke-Eigenmarken eingespart wurden.
Die erfolgte Zuckerreduktion zeitigte infolge Reaktionen, mit denen nicht zwingend zu rechnen war. Via Social Media (Facebook) zeigten sich viele Konsumenten geschmacklich positiv überrascht. Das heißt wiederum für Spar, dass hier die Bewusstseinsbildung in Richtung gesunder Ernährung beim Konsumenten durchaus greift; schwieriger sei das hingegen in der Lebensmittelindustrie.

Süßer Holzweg

Speziell die Getränkeindustrie geht bei der Zuckervermeidung einen zweifelhaften (dennoch erfolgreichen) Weg: Zucker wird durch Süßstoff ersetzt, die Entwicklungen von Coke Zero und Pepsi Max sind expansiv eindrucksvoll. Für die zucker-raus-initiative ist das bedenklich: „Der Zusatz von künstlichen Süßungsmitteln ist nicht hilfreich”, betont Friedrich Hoppichler, Vorstand des vorsorgemedizinischen Instituts SIPCAN (Special Institute for Preventive Cardiology And Nutrition). Der medizinisch nahegelegte Zusammenhang zwischen Süßstoff und Sterblichkeit liegt nicht zuletzt daran, „dass der Konsument durch den Süßstoffkonsum keine Chance mehr hat, die Gesamtzuckerkonsumation einzuschätzen”.

Vöslauer als Partner der Initiative distanziert sich von den Süßstoffen; Geschäftsführerin Birgit Aichinger: „Der Geschmack ist bei uns immer zu 100 Prozent natürlich. Künstliche Süßstoffe setzen wir bei unseren Produkten gar nicht ein.” Ihrem Kind gibt sie „Kitzelwasser” statt Limonande – und leistet damit der Evolution des Geschmacks vorbildlich Vorschub.

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