••• Von Georg Sohler
Mehr als 200 Lebensmittelhersteller versorgen Österreich. Die Bandbreite reicht vom Familienbetrieb bis zum weltweit tätigen Player und reicht weit über die Grenzen Österreichs hinaus: Die Lebensmittelindustrie exportiert in rund 180 Länder. Unter dem Dach des Fachverbands der Lebensmittelindustrie sind über 30 Branchen vereint. Josef Domschitz ist seit mehr als vier Jahrzehnten im Verband und kennt die wirtschaftlichen Bedingungen sehr genau. Im Interview spricht der Geschäftsführer-Stellvertreter über die aktuellen Themen, die die Lebensmittelindustrie beschäftigen – und davon gibt es nicht gerade wenige.
medianet: Derzeit gibt es eine Vielzahl an Herausforderungen, mit der sich die Lebensmittelindustrie beschäftigen muss. Was ist die drängendste?
Josef Domschitz: Der Kostendruck beschäftigt alle Unternehmen. Das betrifft den Inlands- genauso wie den Exportmarkt. Gerade im Export müssen wir uns gegen alle ausländischen Unternehmen, die Lebensmittel und Getränke anbieten, behaupten.
medianet: Wo kommt dieser Druck her?
Domschitz: Das hat mit der Energiekrise vor dem russischen Überfall auf die Ukraine begonnen. Energie brauchen alle Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette und somit liegen die Preise für Lebensmittel und Getränke großteils über dem Niveau der allgemeinen Inflation. Die Preise haben sich zwar etwas stabilisiert, trotzdem sind diese – wie auch der Kostenfaktor Arbeitskraft – im Vergleich mit vielen anderen Ländern deutlich teurer. Das wirkt sich auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Österreichs aus.
medianet: Gab bzw. gibt es hier eine One-fits-it-all-Lösung?
Domschitz: Hier im Fachverband vertreten wir rund 30 Branchen und die Kalkulationen von Produkt zu Produkt sind meist total unterschiedlich. Bei einem Mineralwasserabfüller sieht eine Produktkalkulation anders aus als bei einem Hersteller von Convenience-Produkten, der täglich viele Rohstoffe organisieren und verarbeiten muss.
medianet: Wie reagiert die Industrie auf die Preissteigerung?
Domschitz: Indem gut kalkuliert wird und man sich auf aktuelle Herausforderungen vorbereitet. Das ist bei der enormen Handelskonzentration mit einer extremen Eigenmarkenpolitik und Aktionitis am laufenden Band für viele ein täglicher Kampf.
medianet: Die Eigenmarken sind ein Spagat für heimische Produzenten. Einerseits braucht man sie, andererseits macht man sich selbst Konkurrenz.
Domschitz: Stimmt, aber es ist eben ein wesentlicher Faktor für das Überleben und die Auslastung vieler Unternehmen. Lieber selber produzieren, als Regalfläche für ausländische Anbieter von Eigenmarken verlieren!
medianet: Oft wird auch die mediale Darstellung, wie über Teuerung berichtet wird, bemängelt.
Domschitz: In Zeiten der allgemeinen Teuerung wurde verstärkt darüber berichtet, dass wir uns das tägliche Leben und die Lebensmittel nicht mehr leisten können. Ein kritischer Blick auf die monatlichen Haushaltsausgaben zeigt aber, dass dabei der Anteil der Ausgaben für Ernährung und Getränke bei nur rund zwölf Prozent liegt. Zusätzlich waren die Österreicher noch nie so oft im Urlaub wie in den letzten zwei Jahren. Effekte der Teuerung waren, dass die Anteile an Eigenmarken und Aktionen im Lebensmittelhandel deutlich zugelegt haben und wir faktisch zu Aktionseinkäufern und Rabattmarkerl-Benützern erzogen wurden.
medianet: Kommt man sich da nicht wie im falschen Film vor, wenn man dafür herhalten muss?
Domschitz: Schon, aber die Verkaufspreise für Lebensmittel in Österreich werden vom LEH festgelegt und bilden auch die Basis für die Berechnung der monatlichen Inflation. Die zunehmende Konzentration im LEH führte letztendlich auch dazu, dass immer mehr Unternehmen der Lebensmittelindustrie ihre Chance im Export suchen müssen.
medianet: Diese Absatzmärkte sind wichtig, aber schwierig …
Domschitz: Der Außenhandel – 180 Exportländer stehen 180 Importländern gegenüber – ist grundsätzlich immer herausfordernd. Brexit, Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt, die angedrohten US-Zölle, Tierseuchen und vieles mehr machen diesen aktuell noch schwieriger. Unabhängig davon ist der Export für Österreich insgesamt lebensnotwendig.
medianet: Wie werden die Produkte im Ausland bewertet?
Domschitz: Immer mehr entsteht für mich der Eindruck, dass Lebensmittel ‚Made in Austria' im Ausland mehr geschätzt werden als hier bei uns. Die Unternehmen produzieren Lebensmittel von höchster Qualität auch für die ausländischen Konsumenten, die nicht nur unsere Produkte, sondern auch Österreich als Tourismusregion wertschätzen. Produkte, die man im Urlaub genießt, kauft man auch zu Hause. Das ist ein Grund dafür, dass Deutschland unser wichtigster Exportmarkt ist.
medianet: Welche Produkte aus Österreich konsumieren unsere Lieblingsnachbarn gern?
Domschitz: Wurst- und Käsespezialitäten, Süßigkeiten, Produkte der österreichische Mehlspeisküche, Getränke und vieles mehr.
medianet: Kommen wir zur Politik, die den Rahmen vorgibt. Was in der weiten Welt passiert, kann man auch am Ballhausplatz nicht beeinflussen. Aber wie bewerten Sie das Vorgehen der Politik in der Vergangenheit?
Domschitz: Die Lebensmittelindustrie konnte ihre Chance im Export mit dem EU-Beitritt nutzen. Seit dem Jahr 1995 stiegen die Umsätze im Export von 959 Mio. Euro auf 10,7 Mrd. Euro. Das ist ein Zuwachs von über 1.000 Prozent. Viele Exportaktivitäten wurden auch Dank politischer Unterstützung des Landwirtschaftsministeriums gemeinsam mit der Außenwirtschaft Österreich und der AMA-Marketing GmbH erfolgreich auf vielen Auslandsmärkten umgesetzt.
medianet: Der politische Umgang mit der Energiekrise hingegen wurde von vielen Seiten kritisiert.
Domschitz: Die Teuerung von Erdgas, Strom und Treibstoff hat für die gesamte österreichische Wirtschaft und die Haushalte große Herausforderungen gebracht. Alle Produkte wurden teurer, damit schlug auch die Inflation deutlich höher aus als in anderen EU-Ländern. Hier hätte man politisch eingreifen müssen, weil viele Bereiche der Wirtschaft Erdgas, Strom und Treibstoff für die Produktion und den Transport von Lebensmitteln und Getränken alternativlos benötigen.
medianet: Was sagen sie zum neuen Regierungsprogramm?
Domschitz: Ich habe in mehr als vier Jahrzehnten in diesem Geschäft noch nie ein so wirtschaftsfreundliches Regierungsprogramm gelesen. Es geht nun darum, die Leistung wieder in den Vordergrund zu stellen, damit wir den Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Österreich sowie ihre internationale Ausrichtung wieder nachhaltig stärken können. Wir werden – mit kritischem Blick auf Trump und die USA – dringend neue Handelsabkommen brauchen. Daher gibt es von meiner Seite auch ein klares Ja zu Mercosur.
medianet: Muss sich die EU bzw. Österreich breiter aufstellen, wenn nach Russland auch der US-Markt ausfallen sollte?
Domschitz: Der internationale Fokus der EU muss neben Europa auf Zukunftsmärkte gerichtet werden, eben auf die Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay sowie auf die großen Märkte Indien, China oder Australien.
medianet: Abkommen wie Mercosur gehen aber in beide Richtungen und stehen oft in der Kritik – diese Länder wollen ja auch exportieren.
Domschitz: Neue EU-Handelskommen müssen Chancen für beide Seiten bieten und fair abgeschlossen werden. Wir benötigen auch Produkte, mit denen wir uns nicht selbst versorgen können, wie Südfrüchte oder Soja. ‚Angst schüren' mit EU-Handelsabkommen ist meist unangebracht. Denken wir an das CETA-Abkommen mit Kanada oder die jüngsten EU-Handelsabkommen mit Japan oder Neuseeland, die keine Einbrüche für Österreichs Exporte und auch keine Schlechterstellung der österreichischen Landwirtschaft gebracht haben. Das geplante zollfreie Einfuhrkontingent für die gesamte EU von Rindfleisch aus den Mercosur-Staaten wird nicht zu einem Bauernsterben führen, zumal Österreich dieses Volumen alleine selbst pro Jahr in andere Länder exportiert.
medianet: Hat sich Europa hierbei in vielerlei Hinsicht einfach zurückgelehnt und gehofft, dass nichts passiert? Haben alle Stakeholder diesen Knall gehört?
Domschitz: Tatsache ist, dass die Agrar- und Lebensmittelwirtschaft versorgungs- und systemrelevant ist. Es werden auch in Krisenzeiten sichere, qualitativ hochwertige und leistbare Produkte für die Versorgung der österreichischen Bevölkerung produziert. Meist sehnt man sich in der Krise nach etwas Besonderem. Seit der Corona- und Energiekrise hat die ‚Krisenvorsorge' für die Unternehmen der österreichischen Lebensmittelindustrie sehr an Bedeutung gewonnen.
medianet: Sprechen wir noch über weitere wichtige Themen. Ist man in Sachen Tierseuchen gut aufgestellt?
Domschitz: Die kleinen landwirtschaftlichen Strukturen in Österreich helfen uns dabei. Zuletzt hat uns die Vogelgrippe mit der Tötung von rund 200.000 Tieren in Atem gehalten. Aktuell sind es die Fälle der Maul- und Klauenseuche in den Grenzregionen zur Slowakei und zu Ungarn. Obwohl Österreich bis dato keinen Fall hatte, sind wir im Export bestimmter tierischer Erzeugnisse gesperrt. Jeder Ausbruch einer Tierseuche bedeutet Tierleid und große wirtschaftliche Probleme für das jeweilige Land.
medianet: Der Klimawandel wird uns auch vor große Herausforderungen stellen …
Domschitz: Wir spüren diese Entwicklung schon seit vielen Jahren, auch durch volatile Rohstoffpreise und wechselnde Quantitäten und Qualitäten bei wichtigen Rohstoffen. Die Wetterkapriolen werden weiter zunehmen, dazu kommen Schädlinge, die die Ernteerträge insgesamt weiter beeinträchtigen werden. Das betrifft nicht nur Österreich, sondern alle Anbaugebiete dieser Welt. Etwa beim Kakao, wo sich die Preisspirale weiter nach oben dreht. Auch Südfrüchte werden im Ertrag durch Wetterextreme geschmälert. Die hohen Preise bei Kaffee führen aktuell dazu, dass man sich auf Verbandsseite für eine Reduktion der Mehrwertsteuer von 20 auf 10 Prozent einsetzt. Große Herausforderungen werden künftig in der Verfügbarkeit von Wasser für die Produktionsprozesse in der Lebensmittelindustrie gesehen. Darauf werden wir uns als Branche vorbereiten müssen.
medianet: Wir haben eine Reihe schwieriger Themen besprochen. Was lässt Sie positiv in die Zukunft blicken?
Domschitz: Ich bin seit vielen Jahren Interessenvertreter der österreichischen Lebensmittelindustrie und ich weiß, dass auch unsere Unternehmen trotz der vielen Herausforderungen positiv in die Zukunft blicken. Ich kann Ihnen daher versichern, dass die Unternehmen der österreichischen Lebensmittelindustrie auch in Zukunft beste Produkte herstellen werden – für unser Land, für Europa und alle anderen Exportmärkte dieser Welt, die unsere Produkte schätzen.