WIEN Die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) nach der Ibiza-Affäre erschüttern die Medienbranche. Nachdem vor wenigen Tagen Chat-Auszüge bekannt geworden waren, stellte "Presse"-Chefredakteur und -Herausgeber Rainer Nowak seine Leitungsfunktionen am Montag ruhend. Kurze Zeit später trat ORF-TV-News-Chefredakteur Matthias Schrom einen "Urlaub" an. In beiden Medienhäusern wurden interne Untersuchungen eingeleitet.
Ausschlaggebend für die Auszeit der beiden war ein Bericht der WKStA. In diesem sind Chats von Nowak mit Thomas Schmid, dem damaligen Generalsekretär im Finanzministerium, enthalten. Der "Presse"-Chefredakteur hegte offenbar Ambitionen auf den ORF-Chefsessel und erhoffte sich Unterstützung von Schmid. So schrieb Schmid etwa: "Jetzt du noch ORF-Chef"/"Alter - dann geht's aber ab"/"Danke für alles." Nowak reagierte mit: "Ehrensache. Jetzt musst du mir bitte beim ORF helfen." Schmid: "Unbedingt." Darüber hinaus gab Nowak Schmid Wording-Tipps für die Kommunikation mit seiner Redaktion. Eine anonyme Anzeige rund um wohlwollende Berichterstattung und Interventionen für seine Partnerin dürfte unterdessen vor der Zurückstellung stehen, wie der Anwalt Nowaks mitteilte.
Nowak hielt fest, dass es nie einen Deal mit Schmid gegeben habe. Auch wandte er sich an die Leserinnen und Leser der "Presse" und entschuldigte sich für die "Tonalität und unangemessene Nähe" der Chatverläufe. Er betonte, dass kein Interventionsversuch in der Berichterstattung Niederschlag gefunden haben soll und die Vorwürfe ihn und nicht die Redaktion beträfen.
Die Styria Media Group hat aufgrund der Vorwürfe nun doch entschieden, eine interne Prüfung einzuleiten. Bis zum Vorliegen der Untersuchungsergebnisse führt Florian Asamer, stellvertretender Chefredakteur der "Presse", die Chefredaktion.
Schrom brachten Chats aus dem Frühjahr 2019 in Erklärungsnotstand. Als damaliger ORF 2-Chefredakteur schrieb er mit Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zur inhaltlichen Ausrichtung der ORF-Berichterstattung und Personalwünsche der FPÖ. So missfiel Strache etwa ein "ZiB 24"-Bericht. Schrom reagierte darauf mit Zustimmung: "Das ist natürlich unmöglich." Zur inhaltlichen Ausrichtung der ORF-Sender schrieb er: "Es ist schon bei uns genug zu tun und jeden Tag mühsam, aber langsam wird's, und die, die glauben, die SPÖ retten zu müssen, werden weniger." Der ORF 1-Redaktion unterstellte er eine linke Gesinnung.
Schrom räumte bereits ein, dass der im WKStA-Akt enthaltene Chat-Verlauf "zugegebenermaßen keine glückliche Außenwirkung" habe. Die Unterhaltung habe jedoch vor dem Hintergrund massiver Angriffe durch die FPÖ auf den ORF stattgefunden. "Die Aufrechterhaltung einer Gesprächsbasis zu einer Regierungspartei, die dem ORF nicht nur kritisch, sondern ablehnend gegenüberstand, war wichtig - vor allem, da Personalwünschen nie Rechnung getragen wurde", so Schrom.
ORF-Generaldirektor Roland Weißmann bezeichnete die Optik der Chats als "verheerend" und ersuchte den hauseigenen Ethikrat um Prüfung. Zudem betonte er, dass die Berichterstattung des ORF unbeeinflussbar sei. Das liege auch daran, dass die bisherige Amtsführung von Schrom "fachlich unumstritten war".
Der ORF-Redaktionsrat sah das öffentliche-rechtliche Medienhaus bereits vor wenigen Tagen "in eine mehr als unangenehme Situation" gebracht und forderte eine "ordentliche Aufarbeitung". Am Montag erneuerte er die Kritik an Schrom. Dieser habe gegen ORF-Gesetz und Programmrichtlinien "eklatant verstoßen". Der ORF-TV-News-Chefredakteur habe journalistische Mitarbeiter in ein schlechtes Licht gerückt und sie politisch punziert.
"Redaktionsleiter müssen den eigenen Journalist:innen gegen Interventionen aus der Politik den Rücken stärken - und ihnen nicht in den Rücken fallen", so der Redaktionsrat, der die Beurlaubung Schroms und die Prüfung des Vorfalls durch den Ethikrat begrüßte.
Geht es nach der Redaktionsvertretung müssten weitere Schritte folgen: "Politische Analysen auf Sendung oder die Moderation der Runde der Chefredakteur:innen oder ähnliche Auftritte im Programm sind nach dem nun bekannt gewordenen politischen Naheverhältnis mit der Glaubwürdigkeit der Berichterstattung nicht mehr vereinbar". Für Donnerstag ist eine Redaktionsversammlung geplant, wo über das weitere Vorgehen beraten werden soll.
Die JournalistInnengewerkschaft forderte angesichts der enthüllten Chats eine Verschärfung des bestehenden Ehrenkodex für die österreichische Presse. Es müsse die Unabhängigkeit der Redaktionen gegen Einflussnahme gestärkt werden. "Eines der wirksamsten und wesentlichen Elemente dafür ist die dringend gebotene Verpflichtung zu Redaktionsstatuten, die nicht nur klare Richtlinien beinhalten, sondern neben der Wahl eines Chefredakteurs auch die Abwahl von Chefredakteuren möglich machen", so Eike-Clemens Kullmann, Vorsitzender der JournalistInnengewerkschaft in der GPA, in einer Aussendung. (red)