WIEN. Die Erste Stiftung hat erstmals in Anteile eines Unternehmens mit einer gesellschaftlichen Zielsetzung investiert: Plūrālis. Die niederländische Gesellschaft mit beschränkter Haftung will die Medienvielfalt in Osteuropa bewahren, indem sie gezielt in Medien investiert. Sie sieht starke Eigentümer als beste Voraussetzung dafür, die redaktionelle Unabhängigkeit von Medien zu garantieren. Das ist ein völlig neuer Ansatz, der die Erste Stiftung überzeugt hat: Sie hat sich deshalb mit 2,5 Millionen Euro an Plūrālis beteiligt.
Plūrālis wurde 2021 mit dem Ziel gegründet, rund 100 Millionen Euro aufzustellen, um sich gezielt an osteuropäischen Medien zu beteiligen. Bisher wurden rund 50 Millionen Euro an gemischtem Kapital (Aktien, Anleihen und Förderungen durch andere Stiftungen) gesammelt. Die Beteiligungen haben zum Ziel, dass in jedem europäischen Land wenigstens ein unabhängiges Medium überleben kann.
Derzeit sind drei Medienunternehmen im Portfolio von Plūrālis: das polnische Verlagshaus Gremi Media, das unter anderem die Tageszeitung Rzeczpospolita herausgibt, der slowakische Verlag Petit Press, Herausgeber der Tageszeitung SME, und die kroatische Nachrichtenplattform Telegram.hr. Weitere Investitionen sind in Planung
Diskussion mit Boris Marte (Erste Stiftung), Patrice Schneider (MDIF/Pluralis), Beata Balogová (SME), Oscar Bronner (Der Standard) und Clemens Pig (APA)
Am Montagabend diskutierte eine Runde von Experten im Presseclub Concordia in Wien die Hintergründe, die eine Investitionsgesellschaft wie Pluralis nötig machen, und welche Herausforderungen sich aus einem immer kleiner werdenden Angebot an vertrauenswürdigen Medien ergeben.
EU-Zugehörigkeit garantiert keinen unabhängigen Journalismus
Zum Auftakt gab Beata Balogová, Chefredakteurin der slowakischen Tageszeitung SME, einen Einblick in den Alltag einer Tageszeitung, die viele Jahre unter dem Einfluss eines interessengeleiteten Eigentümers stand, nun aber zum Portfolio von Pluralis gehört. Ihr sehr persönlicher Bericht aus Bratislava, wenige Wochen nach der Wiederwahl von Robert Fico und seiner SMER Partei, war düster. „Seit der Wahl hat die neue Regierung die Tageszeitung SME bereits auf eine schwarze Liste gesetzt. Der Premierminister weigert sich, unsere Fragen zu beantworten, stattdessen akkreditieren sie Verschwörungsmedien, laden Leute von russischen Propagandaseiten zu Pressekonferenzen ein und bevorzugen sie gegenüber meinen Journalisten. Leider bietet die Zugehörigkeit zu einem EU-Land keine Sicherheit für unabhängigen Journalismus. Deswegen brauchen wir integre, an gutem Journalismus interessierte Medieneigentümer und gute Journalisten.“
Patrice Schneider ist CSO des Media Investment Development Fund und Generalsekretär von Pluralis. Die Prämisse von Plūrālis sei einfach, erklärte er: stabile Eigentümer garantieren unabhängige Redaktionen, unabhängige Redaktionen produzieren ausgewogenen, vertrauenswürdige Nachrichten, die wiederum eine positive Wirkung auf die Gesellschaft haben. Er betonte, dass Plūrālis ausdrücklich überparteilich sei. „Pluralis investiert in unabhängige, erfolgreiche Medienunternehmen, die verantwortungsvollen Qualitätsjournalismus betreiben, ungeachtet ihrer redaktionellen Ausrichtung.“ Demokratien lebten von der gesellschaftlichen und politischen Vielfalt ihrer Bevölkerungen, die sich im breiten Meinungsspektrum und dem Medienangebot spiegeln sollte. Ein freier Markt könne den Wettbewerb zwischen den Anbietern von unterschiedlichen Medieninhalten gewährleisten.
Verlust von Medienfreiheit ist bedrohlich für uns alle
Boris Marte, CEO der Erste Stiftung, gab das Investment in Pluralis offiziell bekannt und erläuterte, warum die Kernaktionärin der Erste Group diesen Schritt unternommen hat: „Seit wir die Stärkung der Demokratien in Mittel- und Osteuropa fördern, also von Beginn an, haben wir auch in unabhängigen Journalismus investiert, vor allem in die Aus- und Weiterbildung von Journalistinnen und Journalisten. Jetzt stellen wir fest, dass diese gut ausgebildeten Medienprofis immer weniger Medien haben, in denen sie veröffentlichen können. Dabei brauchen wir unbedingt vertrauenswürdige Nachrichtenquellen. Ohne Vertrauen kein Mut, die Zukunft zu gestalten. Und den brauchen wir in diesen Zeiten multipler Krisen mehr denn je. Der Verlust von Medienfreiheit hat Konsequenzen für jede und jeden von uns.“
Lange Zeit haben professionelle Nachrichtenmedien die Versorgung mit vertrauenswürdigen Informationen sichergestellt. Doch Qualitätsmedien hätten es heute schwer, so Moderatorin Tessa Szyszkowitz. Ihre Geschäftsmodelle leiden weltweit am Wegfall von Werbeeinnahmen, an der geringen Bereitschaft, für verlässliche Informationen zu bezahlen und an der Konkurrenz einer Flut von Desinformationskampagnen unterschiedlichster Herkunft auf Sozialen Medien. Auf diese für die Demokratie gefährliche Situation hatte auch die Generalsekretärin des Presseclub Concordia, Daniela Kraus, bei der Begrüßung hingewiesen.
Sollten unabhängige Medien eine Sache des Gemeinwohls sein?
Zu den von Beata Balogová erwähnten integren Medieneigentümern zählt in Österreich sicher Oscar Bronner, der Gründer und ehemaliger Herausgeber der österreichischen Zeitschriften "Trend", "Profil" und der Tageszeitung "Der Standard", deren Herausgeber er bis heute ist. Er gedachte zuerst des am Vortag verstorbenen Karl Schwarzenberg, „einem großen Freund der Medien“, der ihm Kreditwürdigkeit verschaffte, als Bronner in jungen Jahren Magazine gründete. Er wies außerdem darauf hin, wie schwierig es heute auch in wohlhabenden Ländern sei, wirtschaftlich erfolgreich Medien zu produzieren. Österreich sah er auf dem Weg in eine „Medienwelt, die jener Orbans gleicht“. Medienfinanzierung brauche einen radikalen Systemwechsel. Fraglich sei allerdings, ob der vergleichbar sein sollte mit jenem in der europäischen Filmindustrie, die inzwischen ein subventioniertes Kulturgut ist, eine Sache des Gemeinwohls. Es gäbe aktuell kein Geschäftsmodell für guten Journalismus.
Clemens Pig, Geschäftsführer der APA, hat gerade ein ganzes Buch zum Thema Medien und Demokratie veröffentlicht: "Democracy dies in Darkness". Staatliche Subventionierung hält auch er für eine unzureichende Lösung. Die vielen staatlichen Nachrichtenagenturen etwa seien eben nicht frei von Beeinflussung. Lösungen sieht er in einem kooperativen Zugang der Branche und einer klugen Nutzung technischer Entwicklungen, speziell bei den Möglichkeiten, die künstliche Intelligenz eröffnet. Jedenfalls sollten Medien mit ihren Nutzeren kommunizieren und für deren Bedürfnisse produzieren. Daraus ergäben sich auch Potentiale für gewinnbringende Businessmodelle.
Plūrālis soll ein Anfang sein
In seinem letzten Statement nach einer lebhaften Diskussion, die auch das Publikum einbezog, wies Boris Marte darauf hin, dass Initiativen wie Pluralis nur ein Anfang sein könnten. Wichtig sei die Vorbildwirkung für andere Investoren sich im Bereich Medienfreiheit zu engagieren. Überzeugt habe ihn vor allem das Konzept, dass Plūrālis selbst auf einer Vielfalt von Investoren beruhe. „Es gibt keinen Mehrheitsaktionär. Wir befinden uns in der guten Gesellschaft von anderen gemeinnützig orientierten Stiftungen, bedeutenden europäischen Verlagen, die Know-How einbringen können und weiteren Impact Investoren. Plūrālis ist also nicht eine Art „guter Oligarch“, sondern eine Investorengruppe mit einem vielfältig besetzen Kontrollgremium, das darüber wacht, dass das Wirkungsziel – redaktionelle Unabhängigkeit von Medien in Osteuropa zu stärken – immer im Zentrum steht.“