WIEN. Die geplante Einführung der ORF-Haushaltsabgabe und die Ergebnisse der ORF-Digital-Novelle werden sich ab Jänner 2024 sichtbar im Angebot des öffentlich-rechtlichen Senders niederschlagen. "Die Vorarbeiten für die Digitalisierungsprojekte sind so weit gediehen, dass wir im ersten Halbjahr 2024 mit einem großen, guten und neuen Portfolio antreten könnten", sagte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann im APA-Interview.
Zu diesem Zeitpunkt soll etwa auch die zum digitalen ORF-Player weiterentwickelte TVthek loslegen. Für das ORF-Publikum werde es eine Reihe von Weiterentwicklungen geben. "Wenn das Gesetz kommt, werden wir zeitnah mit neuen Angeboten starten", so Weißmann.
Die Verlängerung der Abrufdauer von Sendungen in der ORF-TVthek bringe dem Publikum mehr Public Value. "Unsere Produkte sind länger abrufbar, und wir können eine längere Verweildauer erreichen: Nachrichten 30 Tage, alle anderen Produktionen in der Regel sechs Monate, Kindersendungen oder Dokus noch länger." Dazu komme ein digitales Kinderprogramm, und der "Sportscreen" im Digitalangebot werde zugleich um Inhalte von ORF Sport+ angereichert. "Und wir werden mehr österreichischen Spitzensport auch in ORF 1 bringen. Mit der Fußball-Frauen-EM haben wir das schon erfolgreich gemacht."
Für das umstrittene Internet-Angebot ORF.at kündigte der ORF-Chef ebenfalls Veränderungen an. "Es wird die blaue Seite auch in Zukunft geben. Vom Volumen her wird sie gleich groß bleiben, aber es wird eine Transformation von derzeit überwiegend Text zu mehr Bewegtbild stattfinden." Das Angebot einer Meldungsobergrenze von 350 Artikeln pro Woche sei ein Kompromiss mit den Zeitungsverlegern, weil Forderungen nach der kompletten Einstellung des Webangebots im Raum standen. Journalismus werde auf ORF.at aber auch stattfinden, wenn diese Obergrenze in allfälligen Ausnahmesituationen erreicht wird.
Die massive Kritik aus der Medienbranche, die sich durch die digitalen Möglichkeiten des ORF in ihrer Existenz bedroht sieht, beurteilte der ORF-General diplomatisch. Private Medienmacher forderten zuletzt wiederholt die Abschaffung von ORF.at und bezeichneten die blaue Seite gar als "Massenvernichtungswaffe". Weißmann: "Es war emotional, es ist emotional, und es wird weiter emotional sein. Als größtes Medium des Landes stehen wir in der Auslage und werden intensiv diskutiert. Das spricht auch für die Relevanz des ORF. Am Ende des Tages ist es als ORF-Generaldirektor aber meine Aufgabe, ein möglichst gutes Verhandlungsergebnis für den ORF und damit ein breites Angebot für das Publikum zu erreichen. Und es ist ja beim besten Willen nicht so, dass alles durchgegangen ist, was der ORF an digitalen Entwicklungsmöglichkeiten - auch im internationalen Vergleich - benötigen würde."
Oberstes strategisches Ziel sei gewesen, eine nachhaltige Finanzierung sicherzustellen. Mit der ORF-Haushaltsabgabe würde dies gelingen und damit sei auch die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Senders langfristig abgesichert. Zweites Ziel war laut Weißmann eine Digitalnovelle, um dem Sender den Einstieg in die digitale Transformation zu ermöglichen. Bisher sei der ORF hier "grosso modo ausgeschlossen" gewesen.
Mit dem Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) und dem Privatsenderverband (VÖP) "hat es in den vergangenen zwei Jahren - ich habe nicht mitgezählt - aber sicher 20 Verhandlungsrunden zu den Themen gegeben", so Weißmann. "Niemand hat 100 Prozent seiner Forderungen durchgesetzt. Ich halte das Paket für einen guten Kompromiss für den Medienstandort Österreich. Wir bekennen uns zum dualen System, und wir werden in Zukunft auch noch mehr mit Privaten kooperieren. Es ist eine herausfordernde Zeit für alle. Das verstehe ich."
Mehr Möglichkeiten für den ORF im digitalen Raum und in sozialen Medien sei "demokratiepolitisch wichtig", argumentierte Weißmann. "Europas öffentlich-rechtliche Sender sind die Medienquellen, denen das Publikum am meisten vertraut. In Zeiten, wo Desinformation und Fake News in sozialen Medien überhandnehmen und sich Menschen immer schwerer tun, zwischen Fakten und Fake News zu unterscheiden, kommt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und anderen Qualitätsmedien auch und gerade auf diesen Plattformen eine wichtige Funktion zu. Der ORF kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, vom Rundfunk der Gesellschaft zur Plattform der Gesellschaft."
Tadel von Medienexperten an der fehlenden Gremienreform und Entpolitisierung des ORF wollte Weißmann nicht beurteilen. "Ich bin für die Unabhängigkeit der journalistischen Arbeit verantwortlich. Ich habe mit dem Redaktionsbeirat erst im vergangenen Jahr ein neues Redaktionsstatut ausgearbeitet, das diese Unabhängigkeit weiter stärkt. Journalistische Arbeit im ORF ist unabhängig und weisungsfrei. Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit sind unser höchstes Gut. Als Geschäftsführer des ORF möchte ich mich aber nicht über die Zusammensetzung meines Aufsichtsrats äußern."
Aus dem Titel der Haushaltsabgabe rechnet der ORF-Chef in den kommenden Jahren mit rund 710 Millionen Euro, zuletzt erhielt der Sender um die 670 Millionen. Die 710 Millionen entsprechen laut Weißmann den Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags. Sollte der Sender durch den ORF-Beitrag mehr einheben, komme diese Summe auf ein Sperrkonto. Im Gegenzug würden von 2023 bis 2026 etwa 325 Millionen Euro bei Personal- und Sachkosten eingespart. "Es sind harte Zeiten für alle. Wir werden in den kommenden Jahren gute Programme machen können und zugleich genau aufs Geld schauen müssen." 500 Abgänge durch Pensionierungen werde man "nur sehr restriktiv nachbesetzen", Kündigungen seien "aus heutiger Sicht kein Thema".
Für den überwiegenden Teil des ORF-Publikums werde der ORF-Beitrag künftig jedenfalls günstiger - von 18,59 auf 15,30 Euro. Zugleich hofft Weißmann, dass der Sender in Zukunft noch mehr Menschen adressiert. "Wir erreichen täglich 6,4 Millionen Menschen mit unseren Programmen. 95 Prozent der Bevölkerung nutzen die Programme des ORF jeden Monat. Wir sind sehr stark in unseren linearen Produkten und bei klassisch konsumierenden älteren Menschen. Wir sind auch bei jungen Menschen die erfolgreichsten, aber durch neue digitale Möglichkeiten wird es uns noch besser gelingen, junge Schichten anzusprechen und vielleicht auch jene, die wir bisher gar nicht erreicht haben."