WIEN. Seit Anfang Juli ist die herkömmliche "Wiener Zeitung" Geschichte. Es handelt sich nicht länger um die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt, sondern um ein Onlinemedium, für das weit weniger Journalisten arbeiten. Auslöser war ein Gesetz der Bundesregierung, zu dem nun der Medienrechtler Hans Peter Lehofer Bedenken äußert. So soll mit dem Onlinemedium eine "unzulässige Beihilfenfinanzierung" vorliegen. Zudem sei die Umbenennung auf "WZ" "einfach gesetzeswidrig".
7,5 Mio. Euro sind laut Gesetz pro Jahr für den Betrieb des republikeigenen Onlinemediums vorgesehen. Den damit einhergehenden im Gesetz definierten Auftrag bezeichnete Lehofer in einem Blogeintrag als "einigermaßen dünn". So sei etwa nicht definiert, wie umfangreich das Angebot zu sein habe und welche konkreten Kanäle bespielt werden sollten. Letztlich sei die Unschärfe des Auftrags auch ein rechtliches Problem, da kein Mechanismus festgelegt worden sei, wie die Nettokosten berechnet und eine etwaige Überkompensation ausgeschlossen werde. "Damit liegt meines Erachtens eine unzulässige Beihilfenfinanzierung vor. Das neue 'Online-Medium' wird also - allenfalls nach Beschwerden anderer Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer - wohl demnächst wieder Geschichte sein", hielt Lehofer fest. Klarerweise könne die Republik noch nachbessern und den Auftrag schärfen, so der Medienrechtler.
"Die vorgebrachten Argumente sind nicht zutreffend und gehen ins Leere", hieß es zu den Bedenken Lehofers auf APA-Anfrage aus dem Medienministerium. Die Aufgaben der "Wiener Zeitung" lägen im öffentlichen Interesse und die Beihilfe falle unter den DAWI-Freistellungsbeschluss (Anm.: Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse). "Es besteht kein beihilfenrechtliches Thema", wurde versichert. Lehofer bezeichnete es in seinem Blog wiederum als "mutig", anzunehmen, dass eine "DAWI" vorliege. Und selbst wenn dies zutreffe, müsse das WZEVI-Gesetz dennoch eine Beschreibung des Ausgleichsmechanismus und Maßnahmen zur Vermeidung von Überkompensationen aufweisen.
Auch in einem zweiten Punkt ortet Lehofer Rechtswidrigkeit: Die Verkürzung des Namen von "Wiener Zeitung" auf "WZ". Der Wien-Fokus soll dadurch in den Hintergrund rücken und die Marke bei der bundesweiten Zielgruppe besser ankommen, erklärte "Wiener Zeitung"-Geschäftsführer Martin Fleischhacker Anfang Juli. Doch diese Idee sei "einfach gesetzeswidrig", meinte nun Lehofer. "Das WZEVI-Gesetz verlangt die Herausgabe der 'Wiener Zeitung' als Online-Medium. Wie die Redaktion oder die Eigentümerin das Ding nennen will, ist dabei vollkommen unerheblich." Medienministerin Raab könnte den Geschäftsführer darauf aufmerksam machen oder mit einer Gesetzesnovelle einen anderen Namen ermöglichen, regte Lehofer an. Fleischhacker betonte gegenüber der APA, dass die Wiener Zeitung GmbH weiterhin die "Wiener Zeitung" herausgebe. "Die Bezeichnung 'WZ' wird als Abkürzung im Außenauftritt verwendet. Davon wurde auch schon in der Vergangenheit des Öfteren Gebrauch gemacht", sagte der Geschäftsführer.
Ein Artikel, manchmal auch einige wenige, erscheinen derzeit pro Tag auf der aufgeräumt wirkenden Onlineseite der "WZ". Diese befassen sich etwa mit Grundstückdeals, echtem Fleisch aus dem Labor oder auch der Neutralitätsdebatte. Mitgeliefert werden zu den häufig umfangreichen Artikeln Infos zur Genese, mit wem gesprochen wurde, auf welche Quellen man sich stützt und welche andere Medien zu dem Thema berichtet haben.
Klassische Ressorts existieren nicht. Auch die Tagesaktualität ist passé. Neben der Rubrik "Lesen" gibt es auch solche für "Hören" und "Sehen", für die die "WZ" auf Unterstützung durch Hashtag Media und Missing Link setzt. "Warum es kaum lustige Komödien gibt" und "Wie hoch dürfen die Mieten steigen?" wird in den zwischen 30 und 45 Minuten langen Podcasts erörtert. Die derzeit veröffentlichten Videos sind an einer Hand abzählbar. Eines in der Dauer von zehn Minuten begleitet eine junge geflüchtete Ukrainerin durch ihren Tag in Österreich.
Als Zielgruppe wurden bei der Präsentation des neuen Produkts Anfang Juli "vor allem Menschen, die sich in Veränderungssituationen befinden", genannt. Am Beginn will die "WZ" auf 20- bis 30-Jährige fokussieren, was am deutlichsten beim Auftritt des Medienhauses in den sozialen Medien wird. Dieser fällt auf Instagram (14.200 Follower) und Tiktok (2.700 Follower) bunt und flott aus. Präsentiert werden die Nachrichten von jungen Personen. Eine große Erklärreihe widmet sich dem Ibiza-Skandal. 36 kurze, schnell geschnittene Videos sollen die komplexen Entwicklungen der vergangenen Jahre von "top to bottom" sowie "short und sweet" erklären. Dabei kommen etwa auch "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk und "profil"-Chefredakteurin Anna Thalhammer zu Wort. Abseits dessen werden die Seherinnen und Seher etwa zu einer Probe für eine "ImPulsTanz"-Performance oder auf die Donauinsel zu dort grasenden Schafen entführt.
Seit dem Launch des neuen Produkts habe man 1.700 neue Follower auf Instagram gewonnen, hielt "Wiener Zeitung"-Geschäftsführer Fleischhacker fest. Die Reels (Kurzvideos, Anm.) seien mehr als 340.000 Mal angesehen worden. Auf Tiktok, wo es bisher keine "WZ"-Präsenz gab, halte man bei mehr als 1 Mio. Views für die Videobeiträge. Mit den Zahlen zur Webseite sei man "sehr zufrieden", werde diese aber erst zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlichen, so Fleischhacker.
Zahlreiche Journalistinnen und Journalisten der alten "Wiener Zeitung" mussten mit der Umstellung auf das neue Produkt das Haus verlassen. Manche von ihnen denken laut einem Bericht des Branchenmediums "Österreichs Journalist:in" über ein neues gedrucktes, wie auch online erscheinendes Medium nach. Wer genau mit an Bord sei und wie das Produkt aussehe, stehe noch nicht fest. Aber man wolle eine Plattform für die Journalisten schaffen, welche die Zeitung verlassen mussten. Es solle sich nicht um eine Wiederbelebung der "Wiener Zeitung" handeln, hieß es. (APA)