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© Christian Huber Fotografie

Redaktion 27.01.2023

„Zusammenhalt ist das Gebot der Stunde”

Vivatis-Vorstandsvorsitzender Gerald Hackl plädiert im Interview für politische Reformen – und ein Miteinander.

••• Von Georg Sander

 

Seit 1. Jänner 2013 ist Gerald Hackl Vorstandsvorsitzender der Vivatis Holding AG. Unter dem Holding-Dach befinden sich etablierte Markenartikelerzeuger ebenso wie spezialisierte Produktions- und Dienstleistungsunternehmen. Klingende Namen wie Gourmet, Gerstner, Senna, Karnerta, FW Trading, Maresi, Knabber Nossi, Inzersdorfer, Himmeltau, Siggi, Toni Kaiser, Bauernland, Ackerl, Wojnar’s, Daily und Purea zählen zum Markenprofil der Gruppe.

Im letzten Jahrzehnt ist die Welt aus dem Krisenmodus kaum herausgekommen – in Hackls Zeit fielen die Eurokrise, die sogenannte Flüchtlingskrise und zuletzt, mit erhöhter Schlagzahl, auch die Herausforderungen rund um die Coronapandemie sowie die Ukraine- und die damit einhergehende Energiekrise. Wie es ist, einen Betrieb mit mehr als einer Millarde Euro Umsatz (Stand 2022) und rund 3.400 Mitarbeitenden durch diese Zeiten zu führen, darüber spricht er im medianet-Interview.

Klarheit hilft in Krisen

„Vornweg: Es macht mir immer noch Spaß. Ich war ja schon vorher 15 Jahre in der Lebensmittelbranche tätig”, erinnert sich Gerald Hackl an die Zeit zurück, in der er anfing. „Als ich vor gut zehn Jahren ins Unternehmen kam, haben wir viel restrukturiert und neu aufgestellt, auch in der Führungsebene.” Die Verantwortung wanderte vermehrt vom Vorstand auf die Geschäftsführungsebene der Konzerngesellschaften.

In weiterer Folge wurde für die gesamte Gruppe eine Strategie entwickelt. Es gibt einen „One-Pager mit der Portfoliostrategie, der Positionierung des Unternehmens, den wichtigsten Zielen und wesentlichsten Maßnahmen, für einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren.” Die Strategie wird zudem jährlich mit allen Konzerngesellschaften diskutiert. Die neue Ausrichtung des Unternehmens führte rasch zu mehr Agilität und Flexibilität. Das, so Hackl, habe in Krisenzeiten, die hierzulande mit dem Ausbruch der Coronapandemie begannen, gefolgt von dem immer noch andauernden Ukrainekrieg samt Konsequenzen, vieles erleichtert. Und auch weiterhin blieben die Zeiten herausfordernd.
Der Ansatz, welcher bei der Neuaufstellung entwickelt wurde, wirkt wie eine einfache Rechnung: Die Fixkosten wurden reduziert und die sonstigen Kosten variabilisiert: „Das hat uns in den Coronajahren und insbesondere sowie viel mehr in der durch Russland ausgelösten Ukrainekrise sehr geholfen.” Die Krisen der letzten Jahre wirken stets sehr unterschiedlich, und bei 25 Konzerngesellschaften, von Gastronomie, über B2B, Gemeinschaftsverpflegung bis hin zum Lebensmittelhandel, ist diese Flexibilität auch vonnöten.

Keine Kündigungen

Denn die Gesellschaften waren recht unterschiedlich betroffen; das zeigte sich etwa bei den sogenannten Ausgangssperren im Frühjahr 2020. „Wir mussten die Maßnahmen von heute auf morgen umsetzen”, erinnert er sich. „Der Lebensmittelhandel macht 25 Prozent unseres Umsatzes aus, da haben wir Tag und Nacht produziert, um die Regale in den Supermärkten zu füllen.” Das heißt: sieben Tage die Woche, 24 Stunden. Auch nicht einfach, denn in der einen Konzerngesellschaft mussten die einen extra arbeiten, die anderen wurden aufgrund von Auftragseinbrüchen nach Hause geschickt.

Ein Beispiel: Gourmet. Mit dem Außerhauskonsum versorgt man normalerweise täglich 300.000 Menschen mit Essen. Schulen, Kindergärten, Betriebskantinen und Gastronomie waren bekanntlich weitgehend geschlossen – „wir haben von heute auf morgen 80 Prozent der Umsätze verloren”.
Auch die Restaurants und die Hotellerie war von heute auf morgen zu. Mit u.a. dem Ernst-Happel-Stadion, der Stadthalle, dem Rathauskeller oder dem Café Schwarzenberg macht die Gruppe 50 Mio. € Umsatz in der Gastronomie. Im ersten Pandemiejahr fehlten so 120 Mio. € Umsatz, 2021 ebenso. Aber: „Wir mussten niemanden kündigen!”
Die Pandemie hat in vielen Branchen zu Verwerfungen geführt, denn auch die seit einem Jahr andauernde Krise am Energiemarkt und die daraus resultierenden Teuerungen stellen Unternehmen vor anhaltende Herausforderungen.

Mehr Personal notwendig

Allerdings muss man als Unternehmer immer auch mit Umsatzausfällen rechnen, so auch die Vivatis-Gruppe. Alles andere sei unverantwortlich. „Ich bin ein totaler Verfechter von Reserven. Aktuell in der Energiekrise sieht man ja, wie enorm wichtig das ist”, führt Hackl aus. Dabei gebe es großzügige Hilfen der öffentlichen Hand. Hackl findet hierbei nicht alle Instrumente der Regierung gut, zu bequem dürften es sich weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer machen. Bei der Gruppe scheint die gewählte Vorgehensweise jedenfalls aufzugehen – nicht nur musste man keinen Stellenabbau machen, der Personalstand ist höher als 2019, es könnten noch mehr sein.

In der vorweihnachtlichen Grippezeit konnten teilweise Schichten nicht voll besetzt werden. 100 bis 200 Stellen sind aktuell vakant. Der sich ändernde Arbeitsmarkt ist letztlich auch eine Auswirkung der Pandemiejahre. Konnten sich Unternehmen zuvor die Bewerber aussuchen, so ist es nun oftmals so, dass Jobsuchende aus mehreren Stellen auswählen können. Das ist derzeit in nahezu allen Branchen spürbar.

Große Reform muss her

Mit diesen Problemen ist die Vivatis-Gruppe keinesfalls allein. „Die Arbeitsmarktreform ist leider wieder gescheitert”, blickt Hackl mit Sorge auf die derzeitigen Entwicklungen. „Wenn jemand etwas leistet, muss der- bzw. diejenige netto genug zum Leben haben.” Das sei eben nicht immer der Fall.

Im Gegensatz dazu gebe es immer wieder Beschäftigungslose, die in Unternehmen der Vivatis-Gruppe vorstellig werden, letztendlich aber absagen, mit der Begründung, dass sie mit einer Kombination aus Arbeitslosengeld und geringfügiger Beschäftigung mitunter mehr im Börsel haben. Am anderen Ende der Skala gebe es neben solchen auch die, die gerne arbeiten würden, aber beispielsweise wegen schlechter Kinderbetreuungsangebote nicht wirklich voll arbeiten könnten. Darüber hinaus solle es, so Hackl, aber auch nicht so sein, dass Menschen durch das soziale Netz fallen.
Es hakt also an allen Enden, ohne dass aktuell eine adäquate Lösung gibt. Seine Gruppe versucht, individuelle Notlagen konzernintern abzufedern, zahlt etwa Teuerungsprämien zielgerichtet an die aus, die es im Betrieb brauchen; dazu bemüht man sich um moderne Arbeitszeitmodelle. Dieser Verantwortung müssten sich Unternehmen stellen – aber auch der Staat.
Im Lichte der stattfindenden Kollektivvertragsverhandlungen hofft Hackl auf mehr Geld für die Arbeitnehmer, gerade bei der hohen Inflation. Er mahnt aber ein: „Es kann nicht sein, dass es immer zulasten der Unternehmen geht. Gut ist, dass die ‚Kalte Progression' abgeschafft wird, aber wenn ein Mitarbeiter hundert Euro mehr bekommt, muss ich die als Unternehmer auch erst einmal haben.” Ohne eine echte Reform sei die Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr.
Auf den Punkt gebracht: Das Nicht-Handeln der Politik sei „unverantwortlich”, wenn die, die arbeiten wollen, nicht ordentlich davon leben können. Die Rahmenbedingungen könnten einfacher sein. Doch trotz aller Herausforderungen bleibt die Vivatis-Gruppe ihren Grundsätzen treu: Man will Qualität bieten, in Österreich produzieren und Arbeitsplätze ­schaffen sowie langfristig gesund ­wachsen. Dazu passt auch die letztjährige Akquise von Wojnar.

Gesundes Wachsen

„Die Wertschöpfung soll in Österreich geschehen”, meint Hackl, „das heißt nicht, dass im Ausland alles schlecht ist, absolut nicht, aber wir sind ein kleines, feines Land und sollen unsere Lebensmittel auch hier herstellen.” Soweit es möglich ist, will man in Österreich produzieren. Arbeitskräfte aus dem Ausland gibt es natürlich und auch das Angebot an Menschen aus der Ukraine, mitzuarbeiten: „Wer arbeiten will, soll das tun können – wir leben jedenfalls unsere Philosophie Wertschöpfung durch Wertschätzung, und das tagtäglich.”

Und auch wenn man, wie schon erwähnt, nach wie vor Arbeitskräfte sucht und etwa die Gastronomie in der Öffentlichkeit nicht immer das beste Image als Arbeitgeber hat, arbeiten die Menschen gerne bei der Vivatis-Gruppe, was sich unter anderem in der jüngsten Mitarbeiterbefragung aus dem Jahr 2022 widerspiegelt.

Mehrbelastung

Während so manches ­Problem der Branche hierzulande durchaus gelöst werden könnte – Stichwort Arbeitsmarktreform –, ist man bei Themen wie etwa den wegen des russischen Angriff auf die Ukraine steigenden Energiekosten nur Zuschauer. Der Gruppe entstehen durch den anhaltenden Krieg hohe Mehrkosten. „Das Thema Energie und Rohstoffe betrifft ja viele. Normalerweise haben wir zwischen zehn und 20 Millionen Euro Mehrkosten, für 2023 prognostizieren wir 150 Millionen. 80 bis 90 Millionen sind alleine die Rohstoffe”, erklärt Hackl. Er rechnet vor: Statt einen mittleren sechsstelligen Betrag kosten die Speiseöle jetzt mehrere Millionen. Strom kostet beinahe das Zehnfache, Gas das Fünf-, Sechsfache – „das kannten wir bislang nicht, das sind ganz neue Dimensionen. Es bedarf vieler Gespräche mit unseren Kunden. Aber wir müssen das weitergeben.”

Er möchte allerdings mit dem Mythos aufräumen, dass sich die Lebensmittelbranche in der Krise eine goldene Nase verdient: „Wir haben das Budget reduziert und werden nicht so viel verdienen können. Jedoch muss ich das verdienen dürfen, was ich für Mitarbeiter, Anlagen, Aus- und Fortbildung oder Technologie reinvestieren muss. Oft heißt es: Wir schaffen uns ein Körberlgeld.” Es sei ihm bewusst, dass es für einige Menschen eng sei, und ein Brot, das statt einem Euro nun 1,40 € kostet, ist um 40% teurer. Aber vor fünf, sechs Jahrzehnten hätten die Menschen bis zu 50% ihres Haushaltsgelds für Lebensmittel ausgegeben, nun wären es rund zehn Prozent: „Für Alkohol, Tabak oder Lotterie wird verhältnismäßig wesentlich mehr ausgegeben. Da ist der Fokus ein falscher, wenn es dann heißt: Ihr bösen Lebensmittelproduzenten.”
Er erinnert zudem daran, wie viele Menschen vom Rohstoff bis zum Kauf im Supermarkt an der Wertschöpfungskette beteiligt sind – da wären einige Preissteigerungen bei den Produkten schon verständlich.
Die Vivatis-Gruppe und andere in der Branche verstünden sich als Partner, gegenüber Kunden und Menschen. Preise mittels Gießkannenprinzip zu erhöhen, das wolle man nicht; dort, wo es sein muss, müsse es eben sein.
Auch hier gelte wieder: Lebensmittel und deren Preissteigerungen stehen mehr im Fokus als etwa gestiegene Preise für Autos: „Das Problem ist zu einem Großteil hausgemacht, denn schließlich haben wir ja die Konsumenten zu Schnäppchenjägern erzogen, mit 1+1-Gratisaktionen auf den allgegenwärtigen Flugblättern, Rabatten und Co. Ich persönlich finde die Diskussion nicht immer angemessen, weil die Steigerungen natürlich spürbar, aber dennoch großteils moderat sind.”

Blick in die Zukunft

Was verrät ein Blick in die Zukunft? „Ich bin ein grenzenloser Optimist”, sagt Hackl. „Wichtig ist eine baldige friedliche Lösung in der Ukraine, auf die ich sehr hoffe. 2023 wird sicher ein schwieriges Jahr, weil viele Kosten aus 2022 erst wirksam werden.” Die Inflation werde auch noch einige Zeit hoch bleiben, das bringe Unsicherheit, wie es weitergeht.

„Zusammenhalt ist für mich in Österreich das Gebot der Stunde”, führt er aus. „Wir selbst haben die Milliarden-Umsatz-Marke geknackt, da gilt es weiter dranzubleiben. Man lernt in jeder Krise, nicht nur wir, sondern auch viele andere. Gerade jetzt braucht es Leadership – wenn die Sonne scheint und das Meer ruhig ist, ist der Kapitän – und wir haben 30 Geschäftsführer in der Gruppe – selten auf der Brücke. Bei schlechtem Wetter und rauer See braucht es die Managerinnen und Manager, die ruhig bleiben und Zuversicht geben.” Denn: Irgendwann lege sich jeder Sturm – die Hoffnung auf „eine krisenfreie bzw. krisenfreiere” Zeit lebt.

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